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WIRTSCHAFT/056: ISO-Normung "Nachhaltige Biomasse" - Billigung von Zwangsarbeit? (BBU WASSER-RUNDBRIEF)


BBU-WASSER-RUNDBRIEF Nr. 1049, vom 28. Nov. 2014 - 34. Jahrgang

regioWASSER e.V. - Freiburger Arbeitskreis Wasser im Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V. (BBU)

ISO-Normung: "Nachhaltige Biomasse" für energetische Zwecke



Seit mehreren Jahren sind die Länder, die in der internationalen Standardisierungsorganisation ISO zusammenarbeiten, bemüht, eine Norm über die einzuhaltenden Nachhaltigkeitskriterien für Biomassen zu kreieren, die für energetische Zwecke eingesetzt werden. Das können beispielsweise Palmöl zur Verbrennung in Blockheizkraftwerken, Gummibaumschnipsel zur Verbrennung in Heizkraftwerken, Holz zur Umwandlung in Pellets, Mais zur Vergärung in Biogasanlagen und natürlich Rizinus, Stroh oder Zuckerrohr zur Konversion in Agrotreibstoffe betreffen. Mit welchem Standpunkt die deutsche Delegation zu den Sitzungen des zuständigen ISO-Projektkomitees PC 248 nach Rio, Nairobi oder Stockholm fliegt, wird in dem Norm-Ausschuss NA 172-00-10 AA des Deutschen Instituts für Normung (DIN) vorverhandelt. In diesem Ausschuss wird die "Umweltbank" von einem BUND-Vertreter sowie von uns vertreten - während der WWF auch auf internationaler Ebene direkt im ISO-PC 248 mitarbeitet. Die vorgesehene ISO-Norm 13056 ist zunächst nur eine riesige Stoffsammlung von Themen, die für die Auswahl von Nachhaltigkeitskriterien maßgeblich sein könnten. Eine Nachhaltigkeitszertifizierung ist mit der ISO Norm 13056 ausdrücklich nicht vorgesehen. Die Norm hat also den Charakter einer Vorlage, die von interessierten Staaten oder Zertifizierungsorganisationen erst noch in einen zertifizierungsgeeigneten Standard umgesetzt werden muss.

ISO: Wie viel Prozent Zwangsarbeiter dürfen es denn bitteschön sein?

Als Wasserfreaks arbeiten wir in mehreren "Biomasse-Ausschüssen" auf DIN-Ebene mit, um ein Auge darauf zu werfen, dass in der Normsetzung Aspekte des Wasserbedarfs und des Gewässerschutzes bei Biomasse-Anbau und -Weiterverarbeitung gebührend berücksichtigt werden. Ferner kümmern wir uns um eine Blockade des Water-Grabbings und um die Respektierung indigener Wasserrechte. Bei der Durchsicht des zuvor genannten Normentwurfs der ISO zu den möglichen Nachhaltigkeitsanforderungen für energetisch nutzbare Biomassen ist uns in Anhang A unter Ziffer 5.2.1.1.2. ein merkwürdiger Satz in ganz anderer Hinsicht aufgefallen: "Percentage of employees who have the ability to terminate their own employment without intended hindrance by the employer. (Prozentualer Anteil der Arbeitnehmer, die die Möglichkeit haben, ihre eigene Beschäftigung ohne absichtliche Behinderung durch den Arbeitgeber zu beenden.)" Da muss man erst mal darüber nachdenken, was diese Passage im Umkehrschluss zu bedeuten hat? Es geht schlicht weg um die Billigung von Sklaven- und Zwangsarbeit: Bei wie viel Prozent der Belegschaft handelt es sich um Sklaven bzw. um Zwangsarbeiter ohne Kündigungsrecht. Lt. ISO-Normentwurf geht es dabei um einen "quantitativen Indikator" den der "Wirtschaftsteilnehmer" (beispielsweise ein Großplantagenbesitzer oder ein Zuckerrohrbaron) anhand von "Beschäftigungsnachweisen" und anhand von "Rechtsaufzeichnungen in der Wirtschaftsabteilung des Wirtschaftsteilnehmers" doch bitteschön in eine Tab. A1 eintragen solle - zusammen mit dem Anteil der Arbeiter, die nicht den Überstundenzuschlag bekommen, der ihnen eigentlich zusteht und zusammen mit den Kindern, die zu regulärer Arbeit missbraucht werden. In der Menschenrechts-Terminologie geht es um eine »Skalierung von Menschenrechten« nach dem Motto:

Wie viel Prozent Sklaven oder Kinderarbeiter sind noch tolerabel?
Rote Linien bei den Menschenrechten!

In einer Stellungnahme an den DIN-Ausschuss haben wir moniert, dass sich die Internationale Standardisierungsorganisation mit der Tolerierung von Leibeigentum und Sklavenarbeit über die universellen Menschenrechte stellt:

"Dass so was überhaupt in Erwägung gezogen wird, geht schon mal gar nicht. Der Indikator erkennt an, dass es bei einem Wirtschaftsteilnehmer, der sich an einem Nachhaltigkeitscheck entsprechend dieser Norm beteiligt, lebenslanges Leibeigentum und Sklavenarbeit geben kann. Leibeigentum und Sklavenarbeit müssen von vornherein ein k.o.-Kriterium sein. Wird bei einem Nachhaltigkeits-Check deutlich, dass einem "prozentualem Anteil der Arbeitnehmer" ein Kündigungsrecht verweigert wird, ist der Nachhaltigkeits-Check ultimativ zu beenden!"

Ferner argumentierten wir:
"Wenn TTIP mit der Intention zur Aufhebung aller nicht tarifärer Handelshemmnisse durchkommen sollte, dann sind diese ISO-Normen die unterste Auffanglinie - soll heißen: Dann ist alles möglich!" Wenn die Erneuerbare Energien-Richtlinie der EU (2009/28/EG) (vgl. RUNDBR. 986/2-3, 957/3, 915/1-3, 909/2, 899/1-2, 890/1-3). mit ihren quasi gesetzlichen Nachhaltigkeitsanforderungen für Agrotreibstoffe im Jahr 2020 auslaufen wird, wäre der ISO-Standard in TTIP-Zeiten möglicherweise die letzte Barriere gegenüber Sozial- und Öko-Dumping - oder eben gerade nicht!

Relativierung der Menschenrechte: Ein Schritt in die richtige Richtung?

Merkwürdig war, dass außer uns, weder die anderen Ausschuss-Mitglieder im DIN-Gremium (siehe Kasten auf Seite 1) noch im ISO-PC 248 Anstoß an der fest eingeplanten Relativierung der Menschenrechte genommen hatten. Es muss befürchtet werden, dass ohne unsere Intervention der oben zitierte "Menschenrechts-Relativierungs-Indikator" anstandslos den ISO-Norm-Schaffungsprozess passiert hätte. Auf Grund unserer Kritik wurde der ISO-Normentwurf dann auch noch mit dem Argument verteidigt, dass die ISO 13065 zu einer direkten 1:1-Anwendung auf einer Biomasseplantage oder in einer "Bioraffinerie" eh nicht vorgesehen sei. Ein auf der ISO-Ebene beteiligter Akteur mailte uns: "Erforderlich ist eine Übersetzung durch einen auditierbaren Standard bzw. durch ein Gesetz. Dies ist auch so in der Einleitung dargelegt. Natürlich sind die Indikatoren teilweise seltsam - aber in einer ISO-Norm gibt es keine k.o.-Kriterien, dies gibt es nur in Zertifizierungsstandards. Insgesamt ist es ein Erfolg, dass wir global überhaupt einen Konsens erreicht haben, welcher Menschenrechte und soziale Kriterien mit einschließt. Das ist schon einen Schritt in die richtige Richtung (nicht umsonst haben Argentinien, Iran, Pakistan, China und die USA den [ersten] Entwurf abgelehnt). Man kann sehr geteilter Meinung über diesen Normentwurf sein und natürlich löst er keines der großen Probleme die wir im Biomasse-Anbau haben. Aber ich habe diesmal zugestimmt, diesen Entwurf weiterzubringen - da ich ihn global gesehen als einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung erachte."

Sklaven- und Zwangsarbeit kann prinzipiell nicht nachhaltig sein!

Der zuvor zitierte "Pragmatismus" war allerdings im DIN-Ausschuss nicht mehrheitsfähig. Beschlossen wurde, die von der ISO vorgesehene "Skalierung" der »unteilbaren« Menschenrechte mit einer Anmerkung zu versehen:
"Anmerkung: Während bei anderen Nachhaltigkeitsaspekten die Leistungsniveaus nach Maßgabe der Anwender des Standards zu definieren und entsprechend zu erfüllen sind, ist eine Verletzung universeller Menschenrechte grundsätzlich als »nicht-nachhaltig« zu bewerten."

Oder in englischer Übersetzung zur Integration in den ISO-Normentwurf 13065:
"Note: While in other aspects of sustainability the performance levels have to be defined according to the users of the standard and shall be fulfilled accordingly, a violation of universal human rights is generally evaluated as »unsustainable«."

ISO 13065 "Nachhaltige Biomasse" - Wie geht es jetzt weiter?

Der Entwurf zur ISO-Norm 13065 wurde von den stimmberechtigen ISO-Mitgliedsländern im Nov. 2014 mit einer Stimmenmehrheit von 76 Prozent angenommen (22 Länder von 29 abstimmenden Ländern) Zur Annahme hätte eine Zwei-Drittel-Mehrheit (66,6%) gereicht. Gegen den Entwurf haben folgende sieben Länder (24%) gestimmt: USA, Iran, Kanada, China, Dänemark, Frankreich und Indonesien. Zusammen mit Deutschland haben sich u.a. Spanien und Italien der Stimme enthalten. Ob der oben stehende deutsche Vorschlag für eine Anmerkung ("note") berücksichtigt wird, soll auf einer internationalen Sitzung des ISO-Projektkomitees 248 im Januar 2015 in Berlin verhandelt werden. Auf der ISO PC 248-Sitzung Anfang nächsten Jahres wird eine Fülle weiterer Kommentierungen zum Normentwurf zur Entscheidung anstehen.

Auskunft zum Stand der Dinge gibt es bei:
Herrn Reiner Hager
Secretary of ISO/PC 248
Sustainability criteria for bioenergy
E-mail of Secretary: reiner.hager@din.de
Tel.: 030 2601-2187

Wer arbeitet im DIN-Arbeitsausschuss "Nachhaltigkeitskriterien für Biomasse" mit?

Zur Mitarbeit in dem seit Jahren tagenden Normausschuss, waren zuletzt VertreterInnen folgender Firmen, Verbände und Institutionen nominiert:

  • Bundesverband der Deutschen Industrie e. V. (BDI)
  • ifeu - Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg GmbH
  • Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV)
  • Verein Deutscher Ingenieure (VDI)
  • GUT Certifizierungsgesellschaft für Managementsysteme mbH
  • UFOP - Union zur Förderung von Öl- und Proteinpflanzen
  • Verband der ölsaatenverarbeitenden Industrie in Deutschland (OVID)
  • Verband der Deutschen Biokraftstoffindustrie e. V.
  • Öko-Institut e. V.
  • Deutsches Biomasseforschungszentrum (DBfZ) gGmbH
  • Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE)
  • Umweltbundesamt (UBA)
  • Südzucker AG
  • Bundesverband der deutschen Bioethanolwirtschaft e. V.
  • Nordzucker AG
  • Volkswagen AG
  • World Wildlife Fund Deutschland (WWF)

Dazu kommen noch Dr. LUDWIG GLATZNER für den BUND, NIKOLAUS GEILER für den BBU sowie die DIN-Mitarbeiterin, Frau ANNE DAHLKE, die den Arbeitsausschuss organisatorisch am Laufen hält.

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Quelle:
BBU-WASSER-RUNDBRIEF Nr. 1049
Herausgeber:
regioWASSER e.V. - Freiburger Arbeitskreis Wasser
im Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V. (BBU),
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© Freiburger Ak Wasser im BBU


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Dezember 2014