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WASSER/221: Auf dem Weg zu einem World Water Quality Assessment (UFZ-Newsletter)


Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
UFZ-Newsletter März 2016

Die Qualität des Wassers

von Kilian Kirchgeßner


Wie sich die Wasserqualität verändert, hat entscheidenden Einfluss auf die Gesundheit der Anrainer und auf ganze Ökosysteme. In einer groß angelegten Studie lässt die Weltumweltorganisation UNEP jetzt erstmals Wissen zusammentragen und analysieren, das zeigt, wie es um die Qualität der Fließgewässer weltweit bestellt ist und welche Folgen das hat. Die Vorstudie, die dazu gerade fertiggestellt wurde, haben Wissenschaftler des UFZ koordiniert.

Die Datenmenge ist gewaltig, die Prof. Dietrich Borchardt von seinem Büro in Magdeburg aus überblickt: Umweltinformationen aus vielen tausend Messstationen weltweit sind in das Global Environmental Monitoring System (GEMS) eingeflossen, das bei den Vereinten Nationen angesiedelt ist. Das sind vor allem Datensätze über die Wasserqualität - jene Informationen, an denen der Leiter des UFZ-Departments Aquatische Ökosystemanalyse besonders interessiert ist. Borchardt arbeitet mit seinen Kollegen an einem Projekt, das in der Wasserforschung neu ist: Sie haben in einer Vorstudie im Auftrag der Umweltorganisation der Vereinten Nationen (UNEP) den Weg zum geplanten World Water Quality Assessment (WWQA) aufgezeigt, das nicht nur die Wasserqualität beschreibt, sondern auch die Ursachen für Verschmutzungen identifiziert, Konsequenzen aufzeigt und gezielte Handlungsoptionen benennt.

"Bei allen internationalen Studien stand bislang vor allem die Wasserquantität im Mittelpunkt", erläutert Dietrich Borchardt. Wie schnell sich die Schere zwischen der Menge an verfügbarem Süßwasser und dem Bevölkerungswachstum öffnet - das ist die Leitfrage, an der sich bislang die Wissenschaftler orientiert haben. "Wir lenken den Blick auf die Wasserqualität, die Ursachen nachteiliger Veränderungen und stellen die Verbindung zur menschlichen Gesundheit, der Nahrungssicherheit sowie zum Einfluss auf die Ökosysteme her. Und wir benennen wirksame Maßnahmen. Ein so angelegtes, weltweites Assessment hat es bisher noch nicht gegeben", sagt Borchardt. Die Informationen gerade zur Wasserqualität sind indes hochgradig relevant, um eine richtig gesteuerte Wasserpolitik zu gestalten. "Schon heute leben mehr Menschen mit einem Mobiltelefon als mit einer sicheren Wasserversorgung", so Borchardt. "Die Kerze brennt dabei von zwei Seiten - sowohl mit Blick auf die Quantität als auch auf die Qualität."

In der zweijährigen Arbeit seiner Forschungsgruppe, an der auch Kollegen vom Center for Environmental Systems Research (CESR) der Universität Kassel maßgeblich beteiligt waren, haben die Wissenschaftler zunächst das bestehende Datenmaterial gesichtet. Die Schwierigkeit dabei: Die GEMS-Daten beispielsweise, eine der zentralen Quellen der Vorstudie, werden direkt aus den jeweiligen Ländern in die internationale Datenbank eingespeist - und welche Informationen konkret erhoben werden und wie viele Messpunkte es gibt, das variiert von Land zu Land. "Die vorhandenen Zeitreihen und die geografische Abdeckung im Datenmaterial sind sehr lückenhaft", sagt Dietrich Borchardt. Diese Informationen auf ihre Verwendbarkeit zu überprüfen, war deshalb eine der zentralen Aufgaben in der Vorstudie.

Studie mit Brückenfunktion

"Aus einer einzigen Wasserprobe lassen sich hunderte verschiedene Eigenschaften oder Inhaltsstoffe analysieren. Wir mussten also zunächst einmal herausfiltern, welche davon für das World Water Quality Assessment mit seinen Zielen entscheidend sind", erläutert Borchardt. Welche das sind, ergibt sich unter anderem daraus, dass die Studie eine wichtige Brückenfunktion übernehmen soll: Bei den Vereinten Nationen etwa sind eine ganze Reihe von Organisationen für ihre Arbeit auf Informationen zur Wasserqualität angewiesen, von der Weltgesundheitsorganisation bis zur Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation. Sie alle benötigen indes spezifische Daten. "Wer sich die Wasserqualität mit Blick auf die menschliche Gesundheit anschaut, kann auf Hinweise etwa zum enthaltenen Phosphor verzichten und wird sich eher auf pathogene Mikroorganismen konzentrieren", sagt Dietrich Borchardt. "Wenn es hingegen um die Wasserversorgung für die Landwirtschaft geht, ist gerade der Phosphorgehalt eine wichtige Information." Herauszufinden, welche Daten am dringendsten benötigt werden, war deshalb eine weitere Aufgabe der Vorstudie.

Bei ihrer Arbeit haben sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zunächst auf Lateinamerika, Afrika und Asien konzentriert. Das sind die Regionen, in denen vielfach die größten Lücken in den verfügbaren Messdaten bestehen. "Es gibt noch echte weiße Flecken", sagt Dr. Ilona Bärlund, die als Managerin an dem Projekt mitarbeitet. Um dennoch eine flächendeckende Aussage treffen zu können, haben die Forscher eine Methodenkombination gewählt: Wo Daten vorliegen, haben sie auf eine intelligente statistische Auswertung gesetzt. Zugleich haben sie ein integriertes globales Modellierungssystem eingesetzt, das die Oberflächenwassersysteme mit hoher Auflösung abbildet. Mithilfe der Modellberechnungen können Aussagen dann auch für Regionen abgeleitet werden, aus denen keine konkreten Messdaten verfügbar sind. "In der Vorstudie haben wir auch geklärt, worauf in einer gezielten Datenerhebung künftig geachtet werden muss, um die Lücken zu schließen", erläutert Ilona Bärlund. Insbesondere die satellitengestützte Analyse, so die Hoffnung der Forscher, könnte dabei dank der rasanten technischen Fortschritte helfen.

Gewaltige Tragweite der Veränderungen

Neben den methodischen Klärungen hat die Vorstudie aber auch greifbare Ergebnisse zutage gefördert. Sie analysiert drei Arten von Verschmutzung - pathogene Verschmutzungen, vor allem durch Fäkalien, organische Verschmutzungen sowie Versalzung. "Von 1990 bis 2010 haben auf den drei untersuchten Kontinenten die pathogene und die organische Verschmutzung demnach bei mehr als 50 Prozent der Flussläufe zugenommen, die Versalzung ist in einem Drittel der Flussläufe angestiegen", heißt es in der Studie. Auf konkrete Auswirkungen heruntergerechnet, wirken die Zahlen noch erschreckender: In Lateinamerika sind etwa ein Viertel aller Flusskilometer durch Fäkalien verschmutzt, also etwa 300.000 Kilometer. In Afrika sind es zwischen zehn und 25 Prozent und in Asien bis zur Hälfte, was allein fast 800.000 Kilometern entspricht. Gewaltig groß ist auch die Zahl der Menschen, die dadurch gefährdet sind: Zwischen 8 und 25 Millionen sind es in Lateinamerika, 32 bis 164 Millionen in Afrika und 31 bis 134 Millionen in Asien - "wobei die große Spannweite der Schätzungen zeigt, dass es noch eine Rechnung mit vielen Unbekannten ist", wie es in der Vorstudie heißt.

Aus den Daten zur Wasserqualität auch Rückschlüsse zu ziehen, welche Folgen sie für Menschen und Ökosysteme hat, war eines der zentralen Anliegen. "Aus meiner Sicht enthalten unsere Ergebnisse eine gute und eine schlechte Nachricht", so fasst es Dietrich Borchardt zusammen: Schlecht sei, dass viele Millionen Menschen mit Wasser in Kontakt kommen, das potenziell gefährlich sei. "Die gute Nachricht wiederum ist, dass sehr viele Flusskilometer auf diesen drei Kontinenten noch unbelastet sind. Die Regenerationsfähigkeit der Ökosysteme ist also vielfach noch nicht überfordert. Jetzt ist es deshalb wichtig, den Zug in die richtige Richtung umzuleiten", sagt Borchardt.

Die europäische Analogie

Das ist der Punkt, an dem der Forscher immer wieder auf die europäischen Gewässer schaut. "Rhein und Elbe beispielsweise waren stark verschmutzt, beim Rhein lag der Tiefpunkt etwa um das Jahr 1975", sagt er. "Wir konnten und können uns in Deutschland die teure Sanierung leisten, aber anderswo reicht dafür das Geld nicht aus. Wichtig ist also, jetzt zu handeln und vor allem auch auf Prävention zu setzen." Es dürfe nicht der Weg sein, zunächst die Industrie ohne Rücksicht auf den Gewässerschutz aufzubauen und dabei zu hoffen, dass der Wohlstand so stark ansteigt, dass man anschließend eine Sanierung bezahlen kann. Von vornherein die Wasserqualität im Blick zu behalten, das müsse das Ziel sein - "und das europäische Beispiel zeigt ja, dass sich Wirtschaftswachstum und Industrialisierung auf der einen und guter Gewässerschutz auf der anderen Seite nicht ausschließen."

Eine Gefahr stelle aber nicht nur die Industrialisierung dar, sondern auch der Umgang mit Abwässern. "Ich sehe in vielen Ländern starke Analogien zu dem, was in der Vergangenheit hier in Europa passiert ist", sagt Dietrich Borchardt. Erst nach großen Epidemien im 18. und 19. Jahrhundert haben die Forscher dank der Erfindung des Mikroskops Mikroorganismen entdeckt - und damit den Zusammenhang zwischen verseuchtem Trinkwasser und der Verbreitung von Cholera, Typhus und anderen tödlichen Krankheiten herstellen können. Die Konsequenz war der Versuch, den Trink- und Abwasserpfad zu trennen. Trotzdem kam es selbst zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch zu Seuchen, weil das Abwasser nicht ausreichend gereinigt wurde. "Die erste mechanische Kläranlage in Deutschland entstand 1880 in Frankfurt", sagt Dietrich Borchardt, "die erste biologische Anlage 1925 in Essen." Genau diese fehlende Trennung von Trink- und Abwasser drohe sich jetzt in vielen armen Ländern zu wiederholen - paradoxerweise angefeuert durch die ehrgeizigen Milleniumsziele der Vereinten Nationen, in denen unter anderem gefordert wird, die Zahl der Menschen, die keinen Zugang zu sanitären Anlagen haben, zu halbieren. "Und wenn man da jetzt Abwasserwege baut, ohne Kläranlagen einzusetzen, passiert genau das gleiche, was vor 120 Jahren an Elbe, Themse oder Seine passiert ist - es kommt zu Seuchen, obwohl man dachte, die Situation dank der Kanalisation verbessert zu haben." Sein Fazit: In Europa habe es 150 Jahre gedauert, bis man den Gewässerschutz halbwegs in den Griff bekommen habe. In den Entwicklungsländern könne man sich nicht so viel Zeit lassen - habe aber eben auch die große Chance, einen deutlich effektiveren Weg einzuschlagen: "Wir wissen, dass es technisch machbar ist, und bezahlbar ist es auch. Nur: Es muss auch entsprechend gehandelt werden!"

Kombination aus Analyse und Beratung

In die Hauptstudie, die starten kann, sobald die Finanzierung durch die UNEP geklärt ist, sollen deshalb auch Sozialwissenschaftler eingebunden werden, um den Bereich der Politikberatung mit abzudecken. "Viele der betroffenen Länder bekommen Geld von internationalen Gebern, um ihre Wasserinfrastruktur aufzubauen. Da geht es dann also konkret um die Frage, wie internationale Programme gestaltet sein müssen, um Fehler zu vermeiden - und beispielsweise auch darum, wie sich Nachbarstaaten am selben Flusslauf absprechen sollten", erläutert Borchardt. Konkret sollen Fachleute für drei Bereiche dabei sein: Erstens für ökonomische Fragestellungen wie Wasserpreise, zweitens für rechtliche Instrumente und drittens für Institutionen, Verwaltung und Wassermanagement.

Das Know-how, das für die Kombination von solchen sozioökonomischen Aspekten und naturwissenschaftlichen Untersuchungen nötig ist, gibt es am UFZ. Schon heute arbeiten Forschergruppen weltweit an regionalen Projekten, in denen Maßnahmen zum Gewässerschutz umgesetzt werden - im Jordan-Gebiet etwa, das ein politisches Pulverfass ist, in Zentralasien, das besonders vom Klimawandel betroffen ist, und in China, wo derzeit das vom BMBF geförderte Cluster "Megawasser" anläuft. "Wir konzentrieren uns in diesen geografisch weit verteilten Projekten - jedes für sich höchst relevant - bewusst auf die modellhafte Implementierung in Flussgebieten, Metropolregionen oder Städten - aber eben eingebettet in den globalen Kontext", erläutert Dietrich Borchardt. Die Erfahrungen aus diesen Projekten kommen den Wissenschaftlern dann bei der Betrachtung von größeren Zusammenhängen zupass - zum Beispiel, wenn das World Water Quality Assessment in die zweite Runde geht.

UFZ-Ansprechpartner:
Dr. Ilona Bärlund
Prof. Dr. Dietrich Borchardt
UFZ-Department Aquatische Ökosystemanalyse
e-mail:
ilona.baerlund[at]ufz.de
dietrich.borchardt[at]ufz.de
Weitere Informationen zum WWQA:
www.wwqa-documentation.info


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

• Das World Water Quality Assessment soll nicht nur die gegenwärtige Wasserqualität beschreiben, sondern darüber hinaus die Ursachen für Verschmutzungen identifizieren, Konsequenzen aufzeigen und gezielte Handlungsoptionen benennen. (Foto: © Simon Dannhauer/Fotolia.com)

• Weltweit bestehen große Lücken bei den verfügbaren Messdaten zur Wasserqualität. Diese Grafik zeigt die Analyse der zugänglichen Daten in der GEMStat-Datenbank: zeitliche Abdeckung (grau schattiert) und Stationsdichte pro Einzugsgebiet (Größe der Kreise). Datenquelle: GEMStat, 2014; GIS-Datenquelle: GRDC, 2007 Abkürzungen: GEMS - Global Environmental Monitoring System / GRDC - Global Runoff Data Centre

• Schema der Datenanwendung und -generierung in der WWQA Vorstudie zur kombinierten datenund modellgetriebenen Analyse. (GEMS - Global Environmental Monitoring System)

Weltweite Belastung von Gewässern mit fäkalcoliformen Bakterien
Statistische Verteilung der gemessenen Konzentrationen coliformer Bakterien
Laut der statistischen Verteilung der sehr begrenzten Daten (Karte S. 3) in der Zeitperiode 2000 bis 2010 liegt der Medianwert für Afrika über dem Grenzwert für hohe Belastung (1000 cfu/100 ml), wohingegen dieser für Lateinamerika und Asien darunter liegt.
Beim Vergleich der Ergebnisse der datengetriebenen Analyse (oben) und der modellgetriebenen Analyse (rechts) wird der Nutzen des im WWQA entwickelten Ansatzes deutlich: Die flächendifferenzierte Karte weist andere Gebiete mit hohen Belastungen aus als die räumlich aggregierte statistische Analyse. Diese Diskrepanzen liefern wichtige Hinweise, wo die Validität der Messdaten aus den Monitoringnetzwerken oder die Modellierung durch regional verbesserte Eingangsdaten oder Prozessbeschreibungen verbessert werden muss.

• Februar 2008-2010 Fäkalcoliforme Bakterien (koloniebildende Einheit KBE/100ml)

Hotspots:
- Mittelamerika
- Westküste Lateinamerika
- Hochland-Flussgebiet an argentinischer Grenze
- Ostküste Lateinamerika
- Nordwest-Afrika
- Flussgebiet Nil
- Einige Flussabschnitte in Südafrika
- Mittlerer Osten
- Flussgebiet Ganges
- Einige Flussabschnitte in Südindien
- Zahlreiche Flussabschnitte in Ostasien

Quellen der Belastung
Berechnete Belastungen mit fäkalcoliformen Bakterien in Lateinamerika, Afrika und Asien für die Jahre 1990 und 2010. Der Vergleich zeigt, dass vor allem häusliche und industrielle Belastungen in den letzten 20 Jahren stark zugenommen haben.

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Quelle:
UFZ-Newsletter März 2016, Seite 1-5
Herausgeber:
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
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Tel.: 0341/235-1269, Fax: 0341/235-450819
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. August 2016

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