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POLITIK/510: Den UN-Klimaverhandlungen droht eine Hängepartie (Haus Rissen)


HAUS RISSEN
Internationales Institut für Politik und Wirtschaft

And the Heat Goes on
Den UN-Klimaverhandlungen droht eine Hängepartie

Aktuelle Analyse vom 07.12.2009
Von Thomas Rausch


Die Experten haben ihr Urteil schon im Voraus fast einhellig gefällt: Wenn die Vertragsparteien des UN-Klimarahmenabkommens von 1992 (United Nations Framework Convention on Climate Change, UNFCCC) in den kommenden Tagen in Kopenhagen zu ihrer 15. jährlichen Konferenz zusammenkommen, werden sie sich nicht zu verbindlichen CO2-Ausstoßgrenzen durchringen können.

Einige Verhandlungsteilnehmer haben daher die Erwartungshaltungen vorsichtshalber nach unten geschraubt. Für Bundesumweltminister Norbert Röttgen gilt die Konferenz jetzt schon als Erfolg, wenn sich die Teilnehmer auf eine Begrenzung der Erderwärmung von höchstens zwei Grad Celsius verglichen mit dem vorindustriellen Zeitalter einigen können - also auf die Maßzahl, die die meisten Klimaforscher als ökologisch wie ökonomisch gerade noch verkraftbar einschätzen; auf die Maßzahl, auf die sich im Juli in L'Aquila die G8-Staaten und einige großen Schwellenländer schon verständigt haben. Nach dem Willen des dänischen Verhandlungsführers und Ministerpräsidenten Lars Løkke Rasmussen sollen in Kopenhagen zumindest Richtlinien und Fristen aufgestellt werden, die rechtlich aber nicht bindend sind. Sie sollen dann als Vorstufe für einen verbindlichen Vertrag dienen, der im nächsten Jahr verabschiedet werden soll. Kopenhagen würde damit bestenfalls zu "Bali plus", denn auf der indonesischen Insel hatte man vor zwei Jahren einen Fahrplan ausgearbeitet, der nun eigentlich in der dänischen Hauptstadt in ein verbindliches Abkommen münden sollte. Wo hängt's?

Fünf Gründe für die Skepsis liegen auf der Hand:

Erstens: Der Verhandlungsgegenstand ist sehr komplex und mittlerweile auch sehr umfangreich. Die Verhandlungen über die Emissionsbeschränkungen einzelner Staaten, also über die "Verschmutzungsrechte" jedes einzelnen Landes, sind zwar der zentrale, aber beileibe nicht der einzige Streitpunkt. Darüber hinaus geht es auch um ein wirkungsvolles und umfassendes Emissionshandelssystem (Cap and Trade) und Möglichkeiten zur Steigerung der Energieeffizienz. Außerdem werden Maßnahmen zur Verhinderung von Rodungen bzw. zur Aufforstung des Regenwalds sowie zur finanziellen und technischen Unterstützung der Entwicklungs- und Schwellenländer bei der Umstellung ihrer Energieversorgung auf CO2-neutrale Techniken und bei der Anpassung an den Klimawandel diskutiert werden.

Zweitens: Die "Großwetterlage" für einen Durchbruch bei den Klimaverhandlungen ist äußerst ungünstig. Die in Folge der Finanz- und Wirtschaftskrise angespannte Lage privater und öffentlicher Haushalte schränkt die Spielräume der Verhandlungsparteien empfindlich ein und bietet für ohnehin unwillige Delegationen eine willkommene Ausrede. Obwohl sich insbesondere in westlichen Industrienationen eine klare Mehrheit der Bevölkerung nach wie vor zu notwendigen Maßnahmen gegen den Klimawandel bekennt, wird dieses Problem doch heute meist als weniger dringlich empfunden als noch vor zwei oder drei Jahren. Kurzfristig teuere Investitionen oder hohe Belastungen für Vermeidungs- und Anpassungsmaßnahmen sind da nicht einfach zu vermitteln - zumal in den wohlhabenden Gebieten der Erde Veränderungen durch den Klimawandel heute noch wenig spürbar sind, die Handlungsnotwendigkeit also weniger offensichtlich ist.

Drittens: Der Verhandlungsrahmen ist nicht für eine Einigung förderlich. Auf der Konferenz treffen sich die 192 Mitgliedstaaten der UNFCCC sowie eine Reihe von staatlichen und nicht-staatlichen Beobachtern und bilden so nicht nur eine große, sondern auch eine sehr heterogene Gruppe. Die einzelnen Staaten haben sich außerdem zu verschiedenen, teilweise überlappenden Interessenkoalitionen - zum Beispiel den G77, in der sich mittlerweile 130 Entwicklungsländer informell absprechen, und der Allianz der kleinen Inselstaaten (Alliance of Small Island States, AOSIS) - zusammengeschlossen. Angesichts dieser Unübersichtlichkeit scheint fraglich, ob die Präsenz einiger einflussreicher Regierungschefs, wie zum Beispiel Angela Merkel oder Barack Obama, an den letzen Verhandlungstagen ausreichen wird, um Einstimmigkeit für ein gemeinsames Abschlussdokument zu erzielen.

Viertens: Die Unterhändler einer ganz zentralen Vertragspartei, der USA, sind nur mit einem sehr schwachen Verhandlungsmandat ausgestattet. Der amerikanische Senat hat sich in Sachen nationaler Klimapolitik bis zum Jahr 2010 vertagt. Viel mehr als die im Waxman-Markey-Gesetzentwurf des Repräsentantenhauses angesetzten 17 Prozent Einsparungen bis 2020 und 83 Prozent bis 2050 verglichen mit dem Basisjahr 2005 werden die USA in Kopenhagen kaum anbieten können. Sollten sie sich zu weit darüber hinaus wagen, könnte aus Kopenhagen auch schnell "Kyoto II" werden. Da die Clinton-Regierung 1997 ein Protokoll unterzeichnete, das auf die Befindlichkeiten des Kongresses wenig bis keine Rücksicht nahm, zog der Senat eine Ratifikation dieser Vereinbarung nie ernsthaft in Betracht und schloss so ausgerechnet den damals größten CO2-Emittenten aus dem nahezu "omnilateralen" Klimaregime aus.

Fünftens: Die einzelnen Verhandlungsparteien haben sehr unterschiedliche Positionen bezüglich der Verteilungsfrage Nr. 1 - Wer darf wie viel ausstoßen? Hier stehen sich vor allem die Industriestaaten und die großen Schwellenländer gegenüber. Letztere mit China und Indien an der Spitze pochen auf gemeinsame, aber differenzierte Pflichten (common but differentiated responsibilities). Sie verweisen darauf, dass sie selbst noch nicht finanziell wie technisch in der Lage sind, sich auf emissionsarme Energieerzeugung umzustellen. Darüber hinaus nehmen sie für sich das gleiche Recht auf Entwicklung in Anspruch wie die Staaten, die mit ihrem auf fossile Energieträger basierendem Wirtschaftsmodell den Klimawandel verursacht haben. Daher sehen sie auch die Industriestaaten in der Pflicht, den Löwenanteil an den Reduktions- und Vermeidungsmaßnahmen zu übernehmen. Sie bieten selbst keine absolute Deckelung ihres CO2-Austoßes an, sondern wollen nur die Energieeffizienz ihrer Volkswirtschaften steigern. Diese Position wollen jedoch insbesondere die USA nicht akzeptieren. Eine Mehrheit der amerikanischen Senatoren hat - angetrieben von massiver Lobby-Arbeit der amerikanischen Handelskammer - bereits durchblicken lassen, dass sie ein Abkommen nur dann unterstützen werden, wenn es auch konkrete Reduktionszahlen für die großen Schwellenländer einschließt. Wie weiter?

Wenn auch Kopenhagen selbst noch nicht den Durchbruch bringt, so bieten sich für Deutschland und die Europäische Union (EU) mittelfristig mehrere Möglichkeiten, das "Klima" für ein verbindliches Abkommen zu verbessern. Die Bundesregierung und ihre europäischen Partner sollten dabei an drei Stellschrauben besonders ausgiebig drehen:

EU-intern - Die Entwickung von Carbon Capture and Storage (CCS)-Technologien fördern: Die EU verschenkt auf internationalen Klimakonferenzen Einfluss und Gestaltungsspielraum durch interne Abstimmungsschwierigkeiten, die eine einheitliche Position und damit ein geschlossenes Auftreten erschweren. Ein wichtiger Grund dafür sind die Spannungen zwischen ost- und westeuropäischen Mitgliedstaaten, die vor allem in der stärkeren CO2-Lastigkeit der osteuropäischen Industrien begründet sind. Durch die Unterstützung der Forschung und Weiternetwicklung von CCS-Technologien zur Marktreife kann die Bundesregierung hier eine Brückenfunktion einnehmen. Diese Technologien zum Auffangen und Speichern von CO2 können nicht nur den deutschen, sondern vor allem auch den osteuropäischen Ausstoß reduzieren. So wird es zukünftig für Länder wie Polen und die Tschechische Republik einfacher, sich auf nach Emissionen gestaffelte Finanzierungsmodelle für die Unterstützung von Entwicklungsländern einzulassen. Ganz nebenbei werden so für deutsche Technologie-Unternehmen neue Märkte erschlossen.

Transatlantisch - Mit großen amerikanischen Bundesstaaten kooperieren: Auch wenn sich die amerikanische Bundesregierung sehr unbeweglich zeigt, bietet sich eine politische Ebene tiefer eine viel versprechende Möglichkeit, die USA in eine klimafreundlichere Richtung zu lenken. US-Bundesstaaten verfügen bisher über weit reichende Spielräume, ihre Klimapolitik eigenständig zu gestalten - und nutzen dies auch aus. Kalifornien setzt so stark wie kein anderer Bundesstaat auf Solarenergie und diskutiert derzeit die Einführung eines - allerdings noch wenig ambitionierten - Cap and Trade Systems. Texas wandelt sich allmählich vom Öl- zum Windstaat; schon heute sorgt dieser Energieträger für fünf Prozent der Versorgung - Tendenz stark steigend. Europäischen Staaten müssen diese Trends aufgreifen und durch stärkere klimapolitische Kooperation unterstützen. Bestehende Abkommen wie die zwischen Florida, Deutschland und Großbritannien können ausgebaut werden. Auf diese Weise wird in den USA eine "kritische Masse" von Bundesstaaten entstehen, die als Vorreiter der Klimapolitik fungieren und später auch andere Bundesstaaten und die amerikanische Bundesregierung in ihren Sog ziehen - so wie dies auch bei der Einführung von Effizienzstandards für Autos geschah.

Global - Schwellen- und Entwicklungsländer stärker in globale Ordnungsstrukturen einbinden: Ein nicht unerheblicher Teil des internationalen Institutionensystems krankt an der mangelnden Beteiligung von Schwellen- und Entwicklungsländern an Entscheidungsprozessen. Wollen die Industrienationen das für sie günstige Gefüge bewahren, müssen sie aufstrebende Staaten stärker einbinden. Die Klimapolitik als institutionell bisher noch wenig formell verregeltes Politikfeld bietet sich hier als Ansatzpunkt an. Als Gegenleistung für ein Entgegenkommen bei den Emissionszahlen von China oder Indien sollten sich Deutschland und die EU für eine Reform der mit Klima- und Entwicklungspolitik befassten Institutionen stark machen. Durch eine bessere Repräsentation von Schwellen- und Entwicklungsländern in den Entscheidungsgremien der Weltbank, die dann möglicherweise auch die Zuweisung von finanziellen Mitteln für Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel vornehmen könnte, oder eine stärkere Verlagerung der Klimapolitik in den Rahmen der G20 wird für diese Staaten ein Anreiz geschaffen, mehr internationale Verantwortung beim Klimaschutz zu übernehmen.

Wenn die Klimaverhandlungen selbst auch vorerst eine Hängepartie bleiben, so können Maßnahmen auf diesen drei Ebenen die Wartezeit bis zur Verabschiedung eines verbindlichen Abkommens sinnvoll ausfüllen und sogar verkürzen.


Thomas Rausch ist Programmmitarbeiter Transatlantische Beziehungen am HAUS RISSEN HAMBURG. Er referiert zu amerikanischer Innen- und Außenpolitik, transatlantischen Beziehungen und internationaler Ordnungspolitik.

HAUS RISSEN HAMBURG vereint seit seiner Gründung 1954 die Arbeit eines Bildungsinstituts mit der einer überparteilichen Denkfabrik. Es widmet sich sicherheits- und geopolitischen Themen und war unter anderem Gründungssitz des deutschen Club of Rome. Heute bietet HAUS RISSEN HAMBURG maßgeschneiderte Fortbildungen für Militär, Unternehmen, Verwaltung und Schulen - in über 100 Seminaren, Briefings, Vorträgen und Veranstaltungen jährlich.


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Quelle:
Aktuelle Analyse Nr. 193 vom 07.12.2009
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Dezember 2009