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STIMMEN/007: Nicht nur der Temperaturanstieg spielt eine Rolle - Interview mit WMO-Chef Michel Jarraud (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 9. Juli 2015

Klima: "Nicht nur der Temperaturanstieg spielt eine Rolle" - Interview mit dem WMO-Chef Michel Jarraud

von Fabíola Ortiz


Bild: © Fabíola Ortiz/IPS

Michel Jarraud, Generalsekretär der Weltorganisation für Meteorologie WMO, am 7. Juni bei der Eröffnung der Konferenz 'Our Common Future Under Climate Change' in Paris
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PARIS (IPS) - In Zeiten des Klimawandels kommt Tatenlosigkeit die Welt teuer zu stehen. Die bisherigen CO2-Reduktionszusagen der Staatengemeinschaft seien unzureichend, kritisierte der Generalsekretär der Weltorganisation für Meteorologie, Michel Jarraud, im Exklusivinterview mit IPS. Wie er betonte, ist es wichtig, die Klimafinanzierung nicht als Ausgabe, sondern als Investition zu betrachten.

Am Rande der Wissenschaftskonferenz 'Our Common Future Under Climate Change' vom 7. bis 10. Juli am Hauptsitz der Weltkulturorganisation UNESCO in Paris sprach er von der Notwendigkeit, bereits im Vorfeld des kommenden Weltklimagipfels, der im Dezember in der französischen Hauptstadt stattfinden wird, auf "ehrgeizigere Zusagen" zurückgreifen zu können.

Der Klimaschutz müsse zudem Teil des Katalogs der zurzeit verhandelten UN-Nachhaltigkeitsziele (SDGs) werden. "Bei dem Klimawandel geht es um mehr als nur einen Temperaturanstieg", sagte er. Es folgen Auszüge aus dem Interview.

IPS: Wird die Wissenschaftskonferenz dazu beitragen, den Weg zu einer tragfähigen Einigung auf dem Klimagipfel im Dezember zu ebnen?

Michel Jarraud: Alle sechs Jahre dokumentiert die Wissenschaftsgemeinschaft den neuesten Kenntnisstand in einem Prüfbericht des Weltklimarats. Den letzten Bericht haben wir vor einem Jahr erstellt. Um die Vertragsstaatenkonferenz in Paris vorzubereiten, war es wichtig, Entscheidungsträgern und Unterhändlern die aktuellsten Informationen zugänglich zu machen. Bei der Konferenz geht es auch darum, Wissenschaftler mit Entscheidungsträgern in Verbindung zu bringen.

IPS: Halten Sie ein Pariser Abkommen zur Eindämmung des Klimawandels für möglich?

Jarraud: Wir müssen das Ganze als einen Prozess betrachten. Viele Menschen betrachten den Gipfel in Kopenhagen 2009 als einen Fehlschlag. Dort wurde allerdings vereinbart, den Anstieg der globalen Temperaturen auf zwei Grad Celsius zu begrenzen. Jede Vertragsstaatenkonferenz kommt bei der Definition der Klimaziele und bei der Suche nach Lösungen einen Schritt weiter.

In Paris wird hoffentlich ein ehrgeiziger Plan beschlossen, mit dessen Hilfe die Treibhausgasemissionen jetzt und in Zukunft signifikant reduziert werden können. Die bisherigen Zusagen der Staaten reichen nicht aus, um das Ziel von zwei Grad Celsius zu erreichen. Wir hoffen aber, dass sich die Fortschritte beschleunigen lassen und dass wir uns in Paris so weit wie möglich unseren Zielen nähern können.

IPS: UN-Generalsekretär Ban Ki-moon hält die nationalen Klimabeiträge (INDC) für nicht ausreichend, um die Ziele auf globaler Ebene zu erreichen.

Jarraud: In dieser Phase ist das zutreffend. Er meint, dass wir bereits vor Beginn des Gipfels in Paris ehrgeizigere Versprechen brauchen. Noch haben wir Zeit. Wir müssen das Tempo beschleunigen und weiterkommen. China hat vor kurzem seine Zusagen verkündet. Wenn wir in Paris nicht genug erreichen, müssen wir die CO2-Emissionen danach weiter und schneller drosseln.

IPS: Sie haben von einer "Anpassungslücke" gesprochen. Was meinen Sie damit?

Jarraud: Eine der beiden Facetten der Klimagespräche ist die Abmilderung der Folgen des Klimawandels. Es ist wichtig, den Treibhausgasausstoß so weit und so schnell wie möglich zu senken, um das Ausmaß der Klimaveränderungen zu begrenzen. Da sich viele Treibhausgase seit geraumer Zeit in der Atmosphäre befinden, müssen wir uns auf Folgen wie den Anstieg der Meeresspiegel, die Auswirkungen auf Landwirtschaft und Gesundheit sowie auf extreme Wetterphänomene einstellen.


Bild: © Fabíola Ortiz/IPS

WMO-Generalsekretär Michel Jarraud
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Industrie- und Entwicklungsländer verfügen nicht über die gleichen finanziellen, personellen und technischen Kapazitäten, um diese Anpassungen zu vollziehen. Wie können wir diese Kluft überbrücken und gleichzeitig einen angemessenen Technologietransfer und Finanzmechanismen sicherstellen? Das ist einer der schwierigsten Teile der Verhandlungen, den wir zuerst angehen müssen.

IPS: Reicht der Grüne Klimafonds (GCF) aus, um die Finanzierungslücke zu schließen?

Jarraud: Für den Fonds sind mehr als zehn Milliarden US-Dollar zugesagt worden. Ab dem Jahr 2020 sollen etwa 100 Milliarden Dollar jährlich fließen. Wir befinden uns noch in einer frühen Phase. In Paris kommen wir hoffentlich auf der Suche nach möglichen Finanzquellen rasch voran. Es ist wichtig, diese Finanzierung nicht als Ausgabe, sondern als Investition zu betrachten. Nichts zu tun, wird teurer sein als zu handeln.

IPS: Was sind die größten Befürchtungen der Forscher mit Blick auf die weltweiten Folgen des Klimawandels?

Jarraud: Es geht um viel mehr als nur den Temperaturanstieg. Betroffen ist auch der Wasserkreislauf. Es wird mehr an niederschlagsreichen Orten und weniger in Trockengebieten regnen. Die Regionen, die schon jetzt unter Wasserstress stehen, werden künftig mehr Dürren und Hitze erleben, und umgekehrt. Extreme Wetterphänomene wie Hitzewellen und Tropenstürme werden an Häufigkeit und Intensität zunehmen.

IPS: Um welche Weltregion machen sich die Wissenschaftler die größten Sorgen?

Jarraud: Extreme Wetterereignisse können eine Region in ihrer Entwicklung um Jahre zurückwerfen. Der Anstieg der Meeresspiegel ist ein großes Problem für die Inseln im Indischen Ozean, im Pazifik und in der Karibik, ebenso für die Küstengebiete. In Ländern mit großen Flussdeltas wie Ägypten und Bangladesch wird der Anstieg der Meeresspiegel die Anfälligkeit der Länder für den Klimawandel erhöhen. In mehreren Regionen von Subsahara-Afrika sowie in Teilen Lateinamerikas, Zentralasiens und im Mittelmeerraum wird zudem das Risiko der Wüstenbildung steigen. Der Temperaturanstieg verläuft nicht überall gleich und wird beispielsweise besonders in großen Höhen extremer ausfallen.

IPS: Sollte der Kampf gegen den Klimawandel in die Nachhaltigkeitsziele aufgenommen werden?

Jarraud: Es kann keine nachhaltige Entwicklung geben, wenn die Schäden durch den Klimawandel nicht in Betracht gezogen werden. Zurzeit wird darüber diskutiert, den Klimawandel bei allen anderen Zielen mit zu berücksichtigen. (Ende/IPS/ck/09.07.2015)


Link:

http://www.ipsnews.net/2015/07/qa-climate-change-is-about-much-more-than-temperature/

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IPS-Tagesdienst vom 9. Juli 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Juli 2015

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