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ANBAU/147: "Jeder weitere Hektar ist zu viel" - Ein Interview zum Thema Energiepflanzen (Naturschutz heute)


NATURSCHUTZ heute - Heft 4/11
Mitgliedermagazin des Naturschutzbundes (NABU) e.V.

"Jeder weitere Hektar ist zu viel"
Ein Interview zum Thema Energiepflanzen


Sind Energiepflanzen, Holz und organische Reststoffe die Energiequellen von morgen? 33,5 Milliarden Kilowattstunden Strom sowie 127 Milliarden Kilowattstunden Wärme wurden 2010 aus Biomasse erzeugt. Doch der neue Energielieferant fordert viel Platz und sorgt für Unruhe auf den globalen Agrarmärkten. Jasmin Singgih sprach darüber mit NABU-Landwirtschaftsexperte Florian Schöne.


Welche Arten von Biomasse sind in Deutschland relevant?

Noch liegt der Biodiesel-Raps mit knapp einer Million Hektar Ackerfläche vorne. Danach kommt schon der Mais, der in den letzten Jahren einen gewaltigen Zuwachs erlebt hat. Hier erkennt man, wie die gesetzliche Förderung nachwachsender Rohstoffe und der Maisanbau für Biogasanlagen unmittelbar zusammenhängen. Während 2005 nur 70.000 Hektar Energiemais angebaut wurden, waren es 2011 schon fast eine Million Hektar.

Nach Raps und Mais kommt erst mal lange nichts, dann folgen Kulturen wie Getreide oder Zuckerrüben. Andere, ökologisch interessantere Kulturen wie Leindotter, Kleegras, Luzerne oder Wildpflanzen spielen bislang fast keine Rolle.

Bleiben wir beim Anbau. Was sind die größten Gefahren dieser Entwicklung?

Deutschland ist dicht besiedelt. Also gibt es eine große Konkurrenz um die Fläche zwischen Siedlung, Infrastruktur, Naturschutz, Erholung und Nahrungsmittelproduktion. Jetzt tritt ein ganz neuer Akteur auf den Plan, der quasi über Nacht zwei Millionen Hektar Agrarfläche beansprucht. Das hat gravierende Folgen: Artenreiches Grünland wird häufiger gemäht oder in Ackerland umgewandelt, Brachen gehen verloren und wechselnde Fruchtfolgen werden durch Monokulturen ersetzt. Außerdem steigen immer mehr Landwirte aus langjährigen Förderprogrammen des Vertragsnaturschutzes aus, weil der Energiepflanzenanbau höhere Rendite verspricht.

Nehmen wir das Beispiel Mais. Inwiefern hat der Naturschutz da zu kämpfen?

Der Maisanteil hat sich in einigen Regionen zur dominierenden Ackerkultur entwickelt. Es gibt Landkreise, in denen auf 60 Prozent der Ackerfläche nur noch Mais angebaut wird. Wir verlieren die klassische Vielfalt an Ackerkulturen, was einen höheren Aufwand an Pestiziden bedeutet. Und je weniger unterschiedliche Nutzpflanzenarten wir in der Landschaft haben, desto ärmer ist sie für zahlreiche Tiere und Pflanzen.

Der Mais ist auch der Haupttreiber für den Grünlandverlust in Deutschland. Oft wird dabei feuchtes Grünland umgebrochen, das aufgrund der Kohlenstoffspeicherung auch eine besondere Bedeutung für den Klimaschutz hat. Wer eine solche Entwicklung gesetzlich fördert, betreibt Klimaschutz paradox!

Der NABU setzt sich für einen naturverträglichen Anbau von nachwachsenden Rohstoffen ein.

Wir haben schon 2008 massiv auf eine Obergrenze für den Maisanteil in Biogasanlagen gedrängt. Damals nahm man uns nicht ernst. Nun hat das Bundesumweltministerium im Frühjahr von sich aus vorgeschlagen, einen sogenannten Maisdeckel einzuführen. Ab 2012 dürfen neue Anlagen noch 60 Prozent Mais oder Getreidekorn verwenden. Außerdem wird eine größere Vielfalt von Energiepflanzen mit erhöhter Vergütung gefördert. Das Problem ist damit zwar erkannt, aber nicht gebannt. Maisanbau darf nicht mehr zusätzlich gefördert werden - jeder weitere Hektar Energiemais ist einer zu viel.

Während 2005 nur 70.000 Hektar Energiemais angebaut wurden, waren es 2011 schon fast eine Million Hektar.

Global betrachtet, wird es noch komplexer. Die Konkurrenz zwischen Tank, Welthunger und Artenvielfalt ist real.

Wir leben in einer Welt mit immer mehr Menschen und steigenden Konsumansprüchen, so dass wir die Flächen effizienter nutzen müssen. Dies heißt aber nicht, dass wir weiter intensivieren und in industriellen Umfang produzieren, während dem Naturschutz nur noch ein Nischendasein eingeräumt wird. Wir brauchen eine standortangepasste Landwirtschaft und müssen stärkere Synergieeffekte zwischen Naturschutz und Bioenergie schaffen.

So könnte man eine Biomasseproduktion gezielt in die Flächen lenken, wo es jetzt schon Auflagen des Gebiets- und Gewässerschutzes gibt. Energieholzplantagen oder mehrjährige Kulturen könnten entlang von Gewässerläufen entstehen. In Zeiten des Klimawandels brauchen wir zudem vernetzte Lebensräume, damit die Arten schädlichen Klimafolgen ausweichen können. Die Botschaft muss daher lauten: "Teller, Tank und Tagfalter" gehören zusammen.

Was fordert der NABU für die Zukunft der Biomassenutzung?

Bei den herkömmlichen Energiepflanzen sind die Grenzen des Wachstums erreicht. Vier Millionen Hektar Anbaufläche, wie von Seiten der Bundesregierung angepeilt, sind bei weitem zu viel und mit massiven ökologischen Schäden verbunden. Die Zukunft der Biomasse liegt bei Bioabfällen, Reststoffen aus der Lebensmittelindustrie und Gülle aus der Landwirtschaft. Gerade bei der Gülle ist ein sehr großes Potenzial vorhanden, das bislang nur zu rund zehn Prozent genutzt wird. In der Zukunft sollte jede Anlage mindestens 50 Prozent Reststoffe und sonst nur noch naturverträgliche Energiepflanzen einsetzen.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Ob für das Futtersilo oder für die Biogartenanlage: Flächendeckender Maisanbau legt sich wie ein dichter, die Artenvielfalt erstickender Teppich über die Landschaft.

Grauammer

Rotschenkel


http://www.nabu.de/nabu/nh/2011/4/14250.html


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Quelle:
Naturschutz heute - Heft 4/11, Seite 14-15
(Text in der Internet-Fassung)
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"Naturschutz heute" ist das Mitgliedermagazin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Januar 2012