Schattenblick → INFOPOOL → UMWELT → LANDWIRTSCHAFT


ANBAU/165: Der Pinot noir - ein Auslaufmodell? (Spektrum der Wissenschaft)


Spektrum der Wissenschaft 2/16 - Februar 2016

Klimaerwärmung
Der Pinot noir - ein Auslaufmodell?

Von Kimberly A. Nicholas


Winzer und Kellermeister weltweit fürchten um die Zukunft des Qualitätsweinbaus. Denn mit höheren Jahrestemperaturen verändern sich Aromen und Zuckergehalt der Trauben.


AUF EINEN BLICK
 
Klimastrategien für Winzer

1. Die Klimaerwärmung könnte manche Weinbauregion hart treffen, denn steigende Temperaturen verändern die chemischen Prozesse in den Trauben und damit den Geschmack beziehungsweise über die Zuckersynthese auch den Alkoholgehalt des Weins.

2. Versuche, den Anbau einer bestimmten Sorte in eine heute eigentlich zu kühle Zonen zu verlegen, beispielsweise in eine höhere Lage, sind umstritten, weil auch die Bodenverhältnisse den Geschmack bestimmen.

3. In gewissen Grenzen können Winzer einer regionalen Klimaerwärmung vor Ort begegnen, zum Beispiel durch eine sonnenabgewandte Ausrichtung der Rebenreihen oder eine stärkere Beschattung der Trauben durch die Blätter.

*

Als ich vor Kurzem Stichproben in Carneros nahm, einer Weinbauregion im Sonoma Valley in Kalifornien, entdeckte ich etwas Ungewöhnliches: Auf dem zweieinhalb Hektar großen Weinberg wuchsen wie erwartet Pinot-noir-(Spätburgunder-)Reben Reihe neben Reihe, doch etwas abseits standen einige andere Sorten. Anhand ihrer Blätter und Trauben identifizierte ich die Rotweine Cabernet Franc, Petit Verdot, Syrah und Malbec sowie den Weißwein Sauvignon Blanc.

»Das ist mein kleines Experiment«, erklärte mir Ned Hill, der einige der besten Weingüter in der Region leitet. »Hier ist es inzwischen ziemlich warm für den Pinot. Im Moment erzielen wir damit noch einen sehr guten Preis, aber schon sehr bald brauchen wir andere Sorten, die besser an den Klimawandel angepasst sind.« Für einen amerikanischen Weinfreund klingt eine solche Aussage geradezu ketzerisch. Denn dort, wo sich Sonoma und Napa Valley zur Bucht von San Francisco vereinigen, ist traditionell Pinotgebiet. Milde Tage und kalte Nächte, frische Seeluft und lehmige Böden verleihen den Rotweinen der Regionen Aromen von frischen Erdbeeren, Kardamom und Zimt. Dieser Geschmack macht sie einzigartig und wertvoll.

Gut 9000 Kilometer weiter östlich haben Staats- und Regierungschefs der ganzen Welt gerade erst auf der UN-Klimakonferenz in Paris darüber beraten, wie der globale mittlere Temperaturanstieg zu beschränken sei. Wenn der Trend anhält, wird der Geschmack der Carneros-Weine nicht mehr der gleiche bleiben. Winzer müssen dann womöglich zu anderen, den Bedingungen besser angepassten Sorten wechseln, wie Hill sie versuchsweise bereits anbaut. Sie könnten ihre Unternehmen auch nach Norden in kühlere Gebiete verlagern, doch der Geschmack hängt auch von Boden, Feuchtigkeit und Niederschlägen ab. Derartige Maßnahmen würden einen Bruch mit Traditionen bedeuten und bergen das Risiko massiver Umsatzeinbußen.

Der Klimawandel bereitet Winzern weltweit Sorgen, ob in Kalifornien oder Burgund, in Südafrika oder Australien. Manche befürchten quantitative Ernteeinbußen, etwa in Fresno im kalifornischen Central Valley, wo 30 Tonnen Trauben pro Hektar das Maß aller Dinge sind, um dank großer Mengen einen preiswerten Wein auf den Markt zu bringen.

Nur 200 Meilen nördlich davon steht der Anbau im Zeichen der Qualität. Im Napa Valley schneiden die Winzer ihre Reben im Winter so, dass jeder Trieb nur wenige, dafür aber hochwertige Früchte trägt. Den ganzen Sommer hindurch kontrollieren sie die Pflanzen und schneiden minderwertige Trauben heraus. Ein Hektar Rebfläche ergibt dann zwar »nur« ungefähr zehn Tonnen an Früchten, doch das daraus gewonnene Getränk erzielt einen zehnfach höheren Preis. Könnte man in Fresno nicht auf die gleiche Strategie umschwenken? »Selbst ein Genie bringt in Fresno keinen guten Pinot zu Wege«, erklärte mir dazu ein Winzer. »Es ist dort im Jahresdurchschnitt um ein paar Grad heißer, und das ist einfach zu viel.«

Denn Wein besteht zwar zu mehr als 80 Prozent aus Wasser und zu ungefähr 12 bis 15 Prozent aus Alkohol, doch es sind die verbleibenden fünf Prozent, die einen besonderen Geschmack ausmachen. Obwohl der Herstellungsprozess viel Erfahrung voraussetzt, räumen die meisten der von mir interviewten Kellermeister ein, dass das Potenzial eines Weins bereits in seinen Trauben festgelegt ist. Zwar entstehen einige der möglichen Geschmacksstoffe beim Keltern, zum Beispiel durch die unterschiedlichen Hefen, die Zucker in Alkohol umwandeln, durch das Reifen in Eichenfässern beim Barriqueausbau oder dank anderer Finessen. Doch wenn der Weingarten wenig Potenzial bietet, vermag der Kellermeister kein Spitzenergebnis herbeizuzaubern. Und an dieser Stelle kommt das Klima ins Spiel.

Winzer unterscheiden das Makroklima einer ganzen Anbauregion wie zum Beispiel Carneros vom Mesoklima eines einzelnen Weinbergs und vom Mikroklima, das am Rebstock und um die Trauben herrscht. Ersteres wird durch größere geografische Zusammenhänge beeinflusst, die Temperatur und Niederschlag sowie die Anbausaison vorgeben - und damit auch, welche der Tausenden heutigen Rebsorten sich für eine bestimmte Region eignet. So passen solche für spritzige Weißweine zu den kürzeren Wachstumsperioden und kühleren Temperaturen in Deutschland, während kräftige Rotweine ihren Geschmack eher während eines langen, heißen und trockenen Sommers in Spanien oder Südfrankreich entwickeln. Auch zu viel Feuchtigkeit kann schaden, da sie in Kombination mit Wärme den Pilzbefall fördert. Zu viele Niederschläge zur falschen Zeit können daher Trauben faulen lassen, während lang anhaltende Trockenheit die Reben stresst. Viele Weinanbauregionen in der Neuen Welt, einschließlich Kalifornien, werden daher intensiv bewässert; Studien, die ich in einem Team unter der Führung von Kollegen der Stanford University durchgeführt habe, zeigten jedoch, dass die Erträge dennoch von den natürlichen Niederschlägen abhängen. Einer der wichtigsten Umweltfaktoren auf Makro-, Meso- und Mikroebene ist die Temperatur. Sie steuert, wann Reben aus der Winterruhe erwachen und wie die Trauben reifen. In dieser letzten Phase akkumuliert Zucker in den Früchten, bei reifen Weintrauben trägt er mit ungefähr einem Viertel zu ihrem Gewicht bei; zum Vergleich: bei einem reifen Pfirsich ist es nur ein Achtel. Eigentlich ist Wärme in dieser Zeit willkommen, denn sie steigert den Zuckergehalt um ein oder zwei Prozent pro Woche und damit - nach der Gärung des Traubensafts - den Alkoholgehalt. Doch allzu viel schadet der Qualität: Höherprozentige Weine schmecken vielen Kennern etwas zu bitter und unausgewogen, weil der Alkohol manche feinen Aromen überdeckt.

Wann soll man ernten?

Wenn die Traube reift, steigt der Zuckergehalt, und der Säureanteil fällt. Das ideale Verhältnis für einen guten Wein bildet sich ungefähr vier Monate nach der Blüte heraus. Auch der Geschmack, durch andere Stoffe beeinflusst, hat sein Optimum ungefähr zu diesem Zeitpunkt. Das ergibt ein enges Zeitfenster für die beste Erntezeit. Wenn die globalen Temperaturen steigen, entsteht das gewünschte Verhältnis aber schon früher und ebenso, jedoch nicht zur gleichen Zeit, das Geschmacksoptimum. Die Trauben könnten aber auch so schnell reifen, dass sich Aromen und Farbe erst gar nicht optimal entwickeln können.
(2 Grafiken der Originalpublikation im Schattenblick nicht veröffentlicht.) 


Zucker und Säure austarieren

Die Wirkung des Mesoklimas ist weniger offensichtlich, in erster Linie beeinflusst es das Verhältnis von Zucker und Säure in den Trauben. Unreife Früchte enthalten viel Säure, die sich während des Reifeprozesses abbaut. In kühleren Regionen kultiviert man Sorten, die in der relativ kurzen Wachstumssaison schnell reifen und doch einen nicht zu hohen Säuregehalt aufweisen. Es kommt auf das richtige Maß an: Einem Weißwein verleiht die Säure Frische und Spritzigkeit, was für den in Deutschland beliebten Riesling charakteristisch ist (siehe »Made in Germany« am Ende des Artikels).

Erst seit wenigen Jahren richten Önologen (Weinforscher) ihr Augenmerk auch auf weniger hervorstechende Komponenten. So ist der Traubensaft der meisten Rebsorten eigentlich farblos; ein Rotwein wird daraus, wenn er nach dem Pressen auf den Beeren gären darf. Aus diesen treten Anthozyane aus, Moleküle mit Kohlenstoffringen und angehängten OH-Gruppen. Solche »phenolischen Verbindungen« färben auch Blaubeeren blau und Auberginen lila. Die Farbe eines Weins ist nämlich nicht nur schmückendes Beiwerk - sie prägt unsere Erwartung und damit die Geschmackswahrnehmung. Einen tiefroten spanischen Rioja werden wir niemals auf die gleiche Weise erleben wie einen Spätburgunder. Diese chemischen Verbindungen entstehen in Folge der Umwandlung von Sonnenenergie. Trotzdem zeigen Weine aus bereits wärmer gewordenen Klimazonen eher weniger die erwünschte Farbe. Vermutlich kann ein Temperaturanstieg über einen Schwellenwert Prozesse anstoßen, welche die Anthozyankonzentration oder die Farbkomplexbildung verringern. Weißweintrauben enthalten übrigens weniger Phenole in den Schalen und werden normalerweise auch nicht mit ihnen weiterverarbeitet.

Das Mikroklima am Rebstock beeinflusst unter anderem weitere phenolische Verbindungen: die Tannine. Der Name rührt aus alten Zeiten, als diese Stoffe zum Verarbeiten von Leder dienten: das französische Wort »tanin« bedeutet Gerbstoff. Die Moleküle verbinden sich mit Proteinen des Speichels und trocknen so Zunge und Zahnfleisch, was ein raues, pelziges Gefühl im Mund verursacht; zudem schmecken sie bitter. Weine mit einem ausgewogenen Tanningehalt passen sehr gut zu herzhaften Speisen. Tannine polymerisieren bei der Reifung des Weins in Eichenholzfässern und bei der Flaschenreife, was ihre Wirkung mildert. Deshalb empfiehlt es sich bei manchen Rotweinen, sie eine Zeit lang zu lagern: Das Ergebnis ist ein samtig weicher Wein.

Den Unterschied zwischen einem passablen Tischwein und einem edlen Tropfen mit einzigartigem Charakter machen aber vor allem jene Bestandteile aus, die in nur sehr geringen Konzentrationen auftreten: die Aromen. Beim Schwenken des bauchigen Glases steigen sie auf und binden an die Geruchsrezeptoren in unserer Nase; von dort gelangen Signale direkt in unser Gehirn. Wenn wir Wein schmecken, haben wir ihn eigentlich gerochen. Aus diesem Grund erscheint einem Erkälteten selbst ein schwerer Rotwein oft fade. Die Aromen gelangen auf Grund des vermehrt gebildeten Schleims erst gar nicht zu den Rezeptoren.

Insbesondere in den späteren Stadien des Reifens bilden sich immer mehr dieser Verbindungen. Würde ein Wein aus unreifen Trauben gewonnen, fände er daher nicht viele Freunde. Denn anfangs schmecken Trauben wie grüne Früchte oder Gemüse, später wie rote Früchte (Himbeere), dann wie schwarze (Brombeere) und schließlich wie Rosinen. Vermutlich entstehen die Aromen nicht in gleichem Maß, wie der Zuckergehalt steigt. Deshalb lesen einige Winzer die Trauben nicht mehr einfach dann, wenn ein bestimmter Öchslegrad erreicht ist. Vielmehr verkosten sie die Früchte vom Stock und entscheiden dann, ob die vorhandenen Geschmacksstoffe das Potenzial für einen großen Wein haben. Manchmal bleiben die Trauben dann länger hängen, allerdings verlieren sie dabei Wasser und damit Gewicht - der an der Saftmenge gemessene Ertrag sinkt. Durch die längere Reifezeit steigt überdies der Zuckergehalt. Das mag bei einem Eiswein erwünscht sein, mitunter zwingt es aber den Kellermeister, Most mit Wasser zu verdünnen, um den Alkoholgehalt auf dem gewünschten Niveau zu halten.

Wissenschaftler versuchen, die Einflüsse der mehr als tausend verschiedenen Aromastoffe auf den Geschmack besser zu verstehen. Ein schwieriges Unterfangen, denn einerseits kommen manche davon in extrem geringen Konzentrationen vor, andererseits nehmen wir sie ganz unterschiedlich wahr. So können wohl mehr als 200 Komponenten die Assoziation »Erdbeere« wecken, doch sind sie keine Garantie dafür, dass ein Kunde die Frucht herausschmeckt. Ein Meilenstein auf diesem Forschungsgebiet gelang der Wahrnehmungsforscherin Hildegarde Heymann von der University of California in Davis in den 1980er Jahren. Sie entdeckte, dass Sonnenlicht Methoxypyrazin zerstört, das einem Cabernet Sauvignon ein unerwünschtes Paprikaaroma verleiht. Kalifornische Winzer ließen ihre Reben daraufhin so wachsen, dass die Blätter den Früchten weniger Schatten spendeten; ihr Cabernet wurde deutlich besser. Forscher in Australien, Chile und Deutschland identifizierten die Substanz Rotundon als Quelle des beim Syrah erwünschten Geschmacks von schwarzem Pfeffer. Doch hier zeigt sich erneut der Einfluss des Klimas: Offenbar reichert sich dieses Molekül in kühleren Anbaugebieten oder in kühleren Jahren stärker an.

Seit Generationen im Familienbesitz

Erst wenn alle derartigen Einflüsse bekannt sind, können Winzer auf die globale Veränderung adäquat reagieren. Ob es sinnvoll wäre, beispielsweise Anbaugebiete von Kalifornien nach Oregon zu verlegen, lässt sich derzeit nicht vorhersagen, denn hochwertige Weine wachsen nur auf Böden mit den richtigen Nährstoffen und bei angemessenen Niederschlagsmengen. Zudem benötigt ein neuer Weinberg fünf bis sechs Jahre, bis er volle Erträge bringt, und es kann bis zu 20 Jahre dauern, bis man einen Gewinn erzielt. Viele Winzer hängen überdies an ihren Weingärten, weil die seit Generationen im Familienbesitz sind. Gebiete, die in naher Zukunft warm genug sein werden, um dort Wein anzubauen, mögen außerdem heute noch unbekannte Herausforderungen wie Schädlinge und Pflanzenkrankheiten bergen. Letztlich entwickelt eine Weinbauregion auch einen Stil und eine Identität, die nicht einfach zu verpflanzen sind. Die Konsumenten nehmen das ebenfalls so wahr: Wer die Rotweine Kaliforniens für sich entdeckt hat, wird nicht ohne Weiteres solche aus Oregon wertschätzen.

Statt mit den vorhandenen Rebsorten deren bevorzugten Umweltbedingungen hinterherzuziehen, könnte man natürlich umgekehrt auch Sorten verwenden, die dem erwarteten Klima bereits angepasst sind. Winzer haben im Lauf der Geschichte tausende Varietäten für bestimmte Umgebungsbedingungen gezüchtet. Aber auch mit dieser Strategie wird es Zeit und einen langen Atem brauchen, um trotz unvermeidlicher Fehlschläge letztlich das richtige Gesamtkonzept für eine Lage zu entwickeln.

Bei Grundnahrungsmitteln wie Getreide züchten Forscher bereits neue Sorten für steigende Temperaturen. Doch dieser Ansatz eignet sich nur bedingt für Reben. Bis das Ergebnis feststeht, braucht es zehn oder mehr Jahre, zudem gibt es kulturelle Beschränkungen. Französische Gesetze beispielsweise schreiben vor, dass in bestimmten Regionen nur bestimmte Sorten angebaut werden dürfen, wenn sie ein geschütztes Label wie Bordeaux tragen sollen. Zwar ist der Marselan, eine Kreuzung zwischen Cabernet Sauvignon und Grenache, in den 1990er Jahren als Côtes du Rhône erfolgreich zugelassen worden, doch Weinliebhaber hängen oft an ihren Lieblingssorten und blockieren damit den Markt für neue.

Reben richtig erziehen

Winzer können den makroklimatischen Veränderungen aber auch mit diversen Maßnahmen im Weinberg begegnen: Sie können zum einen die Richtung der Pflanzreihen so ändern, dass sich die Pflanzen stärker beschatten. Auch die »Erziehung« der Reben, also die Technik, ihr Holz durch Stützkonstruktionen, durch Beschnitt und Anordnung der Triebe in die gewünschte Form zu bringen, kann die Früchte vor der Sonne schützen. Beispielsweise ist es in Südafrika üblich, Schatten spendende Halbdächer zu formen und in steilen Hanglagen Südtirols pflegt man Reben zu einer Pergola zu erziehen. Winzer können auch Wurzelstöcke als Unterlagen verwenden, um darauf wärmeresistenteren Sorten zu pfropfen; bislang erfolgt eine derartige Veredelung vor allem als Maßnahme gegen die Reblaus. Dergleichen wird normalerweise nur einmal durchgeführt, nämlich wenn man einen Weinberg anlegt.

Darüber hinaus lässt sich das Mesoklima in engen Grenzen durch Bewässern mit Sprengern verändern - auf diese Weise senkt man dank der Verdunstung die Temperatur im Weingarten. Außerdem gehört es zur Kunst des Rebschnitts, durch die Zahl und Position der Blätter das Mikroklima der reifenden Trauben zu beeinflussen.

In den Weinbergen um Carneros zeigten meine Messungen an Trauben von mehr als 500 Pinot-noir-Reben, dass die Sonneneinstrahlung in den letzten Jahren um mehr als das Dreifache gestiegen ist. Dort habe ich die Wirksamkeit solcher Maßnahmen gemeinsam mit Kollegen von der Stanford University und der University of California in Davis untersucht. Alle Triebe und Blätter waren oberhalb der Trauben an Drähten hochgebunden, damit die Luft besser zirkulieren konnte, was Erkrankungen vorbeugt. Jedes Prozent zusätzliches Licht hatte einen zweiprozentigen Rückgang der Tannine und Anthozyane zur Folge. Banden wir die Reben aber so, dass die Blätter die Früchte mehr beschatteten, konnten diese kühler heranreifen und ihre Aromastoffe bewahren. Doch diese Maßnahmen haben ihre Grenzen. Eine Temperaturerhöhung von mehr als einem Grad Celsius im Frühjahr dürfte die Ernteerträge erheblich schmälern, und mit sinkender Qualität wird obendrein der Preis fallen.

Obwohl die meisten Aromen aus der Traube kommen, können Kellermeister den Geschmack noch zusätzlich beeinflussen. Wenn Säuren durch die Klimaerwärmung zu schnell abgebaut werden, kann man nach dem Pressen welche zugeben; akkumulieren die Trauben zu viel Zucker, entfernt Umkehrosmose einen Alkoholüberschuss. Dies sind aber drastische Maßnahmen, die nur bedingt den ursprünglichen Geschmack bewahren und den Wein zum Industrieprodukt machen, was sich auf den Preis auswirken dürfte.

»Es dauert eine Generation, um ein Weingut aufzubauen. Die nächste findet bereits einen Weg, es besser zu machen, die Generation der Enkel aber macht es dann wirklich gut.« Jason Kesner, Manager eines der besten Weingüter Kaliforniens, weiß genau, wovon er spricht. »Auf genau diese Weise sind die grandiosen Weingüter in der alten Welt entstanden - durch eine Menge harte Arbeit und die Erfahrung vieler Jahre.« Manche Experten glauben, dass die Anbauregionen der Neuen Welt wie Napa und Sonoma ihr Potenzial noch gar nicht voll entwickelt haben. Winzer und Kellermeister können zwar mit einigen technischen Möglichkeiten und Migration gen Norden oder auf höheres Terrain auf die veränderten Bedingungen reagieren, es bleibt aber offen, ob dies ausreichen wird.

*

KASTEN

Ausweichen oder anpassen?

Weltweit wird Wein vor allem zwischen dem 30. und 50. Breitengrad auf der Nordhalbkugel sowie zwischen dem 30. und 40. Breitengrad auf der Südhalbkugel angebaut. Das entspricht durchschnittlichen Jahrestemperaturen von 12 bis 22 Grad Celsius. Die Temperatur steuert die Konzentrationen von Zucker, Säure und Geschmacksstoffen in den Trauben. Eine Studie (siehe Bildnachweis) zeigt die mögliche Auswirkungen der Klimaveränderung auf bestimmte Regionen.

(Abbildungen zu Nachhaltigkeit weltweit bestehender Weingebiete bis 2050 und möglicher neuer Weingebiete bis 2050 nur in der Originalpublikation nicht im Schattenblick veröffentlicht.)

Grundlage: Temperaturanstieg bis 2050, wenn die Emissionen der Treibhausgase wie bisher ansteigen. Wahrscheinliche bis unwahrscheinliche Anpassung weltweit.

- Die kalifornischen Weinbauern in Napa und Sonoma experimentieren mit Möglichkeiten, die Klimaveränderung zu kompensieren; sie könnten zum Beispiel ihre Weinberge in andere Gegenden verlegen.

- Frankreich, Spanien und Italien müssen möglicherweise dafür kämpfen, den traditionellen Geschmack ihrer Weine zu erhalten. In Südengland könnte der Weinbau profitieren.

- Die Weinbauern in Chile könnten in kühlere Regionen im Süden oder auf höher gelegenes Terrain ausweichen. Für Argentinien mögen Rebsorten aus wärmeren Regionen wie Spanien geeignet sein.

- Südafrikanischen Winzern bleiben nur arbeitsintensive Techniken, um ihre Trauben gegen Hitze zu schützen.

- Steigende Temperaturen und Dürren in Australien könnten den Alkoholgehalt der Weine übermäßig steigen lassen, während sich Tasmanien zu einem Zentrum des Weinanbaus entwickelt.

*


DIE AUTORIN
Kimberly A. Nicholas ist Associate Professor of Sustainability Science an der Universität Lund in Schweden. Sie berät Winzer und Kellermeister auf der ganzen Welt. Aufgewachsen ist sie auf einem Weingut in Sonoma, Kalifornien.

QUELLEN
Hofmann, M. et al.: Klimawandel und Weinbau. In: Geographische Rundschau 3, 2016 (in Vorbereitung)

Nicholas, K.A., Durham, W.H.: Farm-Scale Adaptation and Vulnerability to Environmental Stresses: Insights from Winegrowing in Northern California. In: Global Environmental Change 22, S. 48-494, 2012


Dieser Artikel im Internet:
www.spektrum.de/artikel/1382048


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. S. 73:
Seidig und elegant, Noten von roten und schwarzen Früchten, dazu erdige Töne - beim Pinot noir geraten Weinliebhaber ins Schwärmen. Doch die hier zu Lande als Spätburgunder bekannte Rebsorte stellt Ansprüche, die sich in Folge der Klimaerwärmung mancherorts künftig wohl nicht mehr erfüllen lassen.

Abb. S. 75:
Winzer versuchen höhere Temperaturen auszugleichen, indem sie die Trauben stärker durch die Blätter beschatten lassen oder die Reihen in einer anderen Richtung pflanzen.

Abb. S. 78:
Winzer von Robert Sinskey Vineyards in Napa lassen die Maische mit der Haut der Beeren gären, um ein Maximum an Farbe und Tanninen zu extrahieren.


Der Artikel ist als PDF-Datei mit Abbildungen abrufbar unter:
http://www.spektrum.de/pdf/072-079-sdw-02-2016-pdf/1393750


© 2016 Kimberly A. Nicholas, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg

*

Quelle:
Spektrum der Wissenschaft 2/16 - Februar 2016, Seite 72 - 78
URL: http://www.spektrum.de/pdf/072-079-sdw-02-2016-pdf/1393750
Herausgeber: Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
Slevogtstraße 3-5, 69126 Heidelberg
Telefon: 06221/9126-600, Fax 06221/9126-751
Redaktion:
Postfach 10 48 40, 69038 Heidelberg
Telefon: 06221/9126-711, Fax 06221/9126-729
E-Mail: redaktion@spektrum.com
Internet: www.spektrum.de
 
Spektrum der Wissenschaft erscheint monatlich.
Das Einzelheft kostet 8,20 Euro, das Abonnement 89,00 Euro pro Jahr für 12
Hefte.


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. März 2016

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang