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CHEMIE/266: Umweltschaden durch Gifteinsatz gegen Schädlinge - Genehmigungspraxis prüfen (BN)


Bund Naturschutz in Bayern e.V. - München, 28. Juli 2010 / Kategorie: Wald

Gift-Skandal in Weisendorf, Lkr. Erlangen-Höchstadt

Bund Naturschutz wendet sich wegen Dimilin-Einsatz an Innenminister Herrmann


Der Bund Naturschutz (BN) hat wegen sich des Umweltschadens in einer Heuschreckenzuchtanlage in Weisendorf, Landkreis Erlangen-Höchstadt nach dem Einsatz des Dimilin-Wirkstoffes Diflubenzuron zur Bekämpfung des Eichen-Prozessionsspinners am 27.7.10 an das Innenministerium gewandt. Der Naturschutzverband fordert Aufklärung durch Innenminister Joachim Herrmann, welche Schritte das Ministerium sowie die nachgeordneten Behörden zur Abwehr weiterer Fälle treffen werden.

"Wir brauchen eine Überprüfung der Schädlingsbekämpfung, insbesondere mit dem Dimilin-Wirkstoff Diflubenzuron durch Gemeinden, Behörden und Private in Bayern, inwieweit die Bevölkerung und betroffene Grundstücksbesitzer vorab informiert wurden, wie viele Bekämpfungsaktionen es in den letzten fünf Jahren in welcher Gemeinde gab und ob überhaupt eine Abwägung verschiedener Bekämpfungsmethoden mit der Nichtbekämpfung stattfand", so Richard Mergner, Landesbeauftragter des BN.

Der BN bittet in seinem Schreiben den Minister für den Fall weiterer Verstöße gegen Sicherheitsauflagen beim Ausbringen mit Diflubenzuron um Mithilfe zur Rücknahme der Zulassung bzw. zu einem Verbot des Ausbringens in Bayern.

"Weisendorf ist in Sachen Dimilin weder schlechter noch besser als andere Gemeinden und auch kein Ausnahmefall. Die Bürger und Naturschutzverbände haben aber jetzt die Möglichkeit, die Genehmigungspraxis für solche gefährlichen Gifteinsätze zu prüfen. Wir sind Herrn Seuberth dankbar, dass er die schlimmen Folgen öffentlich gemacht hat", so Alfons Zimmermann, 2. Vorsitzender der BN-Kreisgruppe Höchstadt-Herzogenaurach.


Skandal Weisendorf

Vor wenigen Wochen, am 21.05.10, wurde in Weisendorf, Lkr. Erlangen-Höchstadt im Rahmen einer von der Gemeinde Weisendorf angeordneten und durch die Fa. Innex Erlangen durchgeführten Sprühaktion mit Diflubenzuron gegen den Eichen-Prozessionsspinner eine benachbarte landwirtschaftlich genutzte Fläche kontaminiert. Die mit dem Futtergras der Fläche gefütterte gewerbliche Heuschreckenzucht der Firma HZS Terraristik (Inh. Robert Seuberth) wurde dadurch schwer geschädigt.

Neben der ökonomischen Schädigung der Firma HZS Terraristik liegt vermutlich ein Umweltschaden vor bzgl. Kontamination der Pflanzen und Pflanzenrückstände auf dem Acker und im sonstigen Umkreis der Sprühaktion, Kontamination des Bodens durch Diflubenzuron und seine schwer abbaubaren Metaboliten, evtl. eine Kontamination der MitarbeiterInnen des Betriebes HZS durch intensiven Kontakt mit dem kontaminierten Futtergras und evtl. eine Schädigung streng geschützter Arten wie Zauneidechse oder Laubfrosch, die in der Nähe vorkommen,. Dazu kommen mögliche grobe Verstöße gegen Sicherheitsrichtlinien beim Ausbringen des Wirkstoffes selbst. Es wurden offenbar keinerlei Sicherheitsmaßnahmen angewandt. Hier sind möglicherweise Kontaminierungen von Kindern eines Spielplatzes, deren Betreuungspersonen und ggf. weitere Personen zu besorgen.


Dimilin-Einsatz in Franken

Der BN hat bereits mehrfach den großflächigen Gifteinsatz auf etwa 3.000 Hektar in Frankens Eichenwäldern, entlang von Straßen und in Parkanlagen gegen den Eichenprozessionsspinner und andere Schmetterlingsraupen öffentlich kritisiert.

Die Gifteinsätze bringen keinen dauerhaften Erfolg, dabei sind aber massive ökologische Schäden zu befürchten. Zum einen bleiben die Nester mit den problematischen Haaren mehrere Jahre erhalten. Zum anderen werden die begifteten Wälder sehr schnell wieder besiedelt, weil die Eichenprozessionsspinner als Offenlandart mittlerweile fast ganze Landkreise besiedeln wie z.B. den Landkreis Kitzingen. Obwohl Eichenwälder in warm-trockenen Regionen Frankens bereits seit 1975 regelmäßig mit dem Gift Dimilin besprüht werden, wurde es bislang versäumt, die Notwendigkeit und die Auswirkungen der Gifteinsätze langfristig wissenschaftlich zu untersuchen und zu dokumentieren.

Angesichts des Klimawandels wird man sich wie in anderen wärmeren Regionen Europas darauf einstellen müssen, dass man mit dem Eichenprozessionsspinner leben muss. Eine jährliche Begiftung lehnt der BN kategorisch ab.


Die Eiche als El Dorado für Insekten wird regelmäßig begiftet

Der Häutungshemmer Dimilin ist ein Breitbandmittel, das verhindert, dass sich die Haut der Raupen erneuert. Diese muss bei der heranwachsenden Schmetterlingsraupe mehrfach neu gebildet werden, weil Chitin nicht dehnungsfähig ist. Dimilin sorgt dafür, dass auch viele andere Insektenarten, die an der Eiche leben, sich nicht mehr häuten und dann zu Tode kommen. D.h. alle Larven, die sich im Verlaufe ihres Wachstums häuten müssen und etwas von dem Fraßgift Dimilin aufnehmen, gehen zugrunde. Das gilt z.B. für alle Schmetterlingsarten, Blattkäferlarven, Grashüpfer und andere Arten, für die Eichen den Lebensraum bilden. Dies ist umso gravierender als die Eiche die Baumart mit dem höchsten natürlichen Insektenreichtum aller Waldbäume ist. Auf keiner anderen heimischen Baum- oder Pflanzenart leben mehr Insekten als auf der Eiche. Allein aus den bekannten Insektengruppen leben etwa 400 Schmetterlingsarten, mehr als 50 Bockkäferarten sowie etwas 10 Borken- und Kernkäferarten direkt bzw. indirekt an und von der Eiche, dazu kommen noch Dutzende Arten von Zweiflüglern und Hautflüglern.


Massive Auswirkungen der Begiftung nicht langfristig untersucht

Der BN kritisiert, dass Hinweisen auf schädliche Auswirkungen nicht ausreichend nachgegangen wurde. So ist nach Kenntnis des BN der vom Aussterben bedrohte Maivogel, dessen Raupen an Eschen leben, nach der Spritzung von 1993/94 am Hohenlandsberg bei Weigenheim ausgefallen und dauerhaft verschwunden. Andere Arten haben sich erst nach Jahren erholt. Außerdem belegen Untersuchungen von Vogelbruten in Nistkästen, dass in begifteten Waldgebieten die Zweitbruten vollständig ausfallen bzw. verhungern. Außerdem sind anscheinend Flächen bereits mehrfach begiftet worden, ohne dass die Auswirkungen der Mehrfachbegiftungen untersucht wurden. All diesen Kritikpunkten hätte in langfristigen Untersuchungen nachgegangen werden müssen. Ebenso fehlt die spezielle artenschutzrechtliche Prüfung (saP), die für Natura 2000-Arten (FFH-Anhang IV-Arten und Arten der Vogelschutzrichtlinie) in allen betroffenen Wäldern vorgeschrieben ist sowie die Verträglichkeitsprüfungen für FFH-Gebiete.

Das Umweltbundesamt hat in einem Schreiben vom 23.06.10 eingeräumt, dass die Bewertung von Diflubenzuron noch nicht abgeschlossen ist. Derzeit würde vorgeschlagen, das Mittel unter "N R50/53 (Gefährlich für die Umwelt, sehr giftig für Wasserorganismen/lkann in Gewässern längerfristig schädliche Wirkungen haben)" einzustufen. Es sei "nicht leicht biologisch abbaubar."


Forstliche Monokulturen mitverantwortlich für Raupenvermehrung

Die blattfressenden Schmetterlingsraupen an der Eiche sind zudem ein Hinweis auf die Schwachstellen in unseren Waldökosystemen im warm-trockenen Franken. Ein Grund für die hohen Befallszahlen sind die aus der früheren Waldwirtschaft hervorgegangenen Eichenreinbestände, die aus der Mittel- oder Niederwaldwirtschaft (Stockausschlagbewirtschaftung) entstanden sind. In diesen baumartenarmen Wäldern vermehren sich die blattfressenden Schmetterlingsraupen wegen des warmtrockenen Bestandsklimas besonders gut. Von Natur aus würden z.B. im kollinen, wärmebegünstigten Bereich der Fränkischen Platte und des Steigerwaldvorlandes Laubmischwälder wachsen, in denen neben den Eichen auch Hainbuchen, Ahornarten, Ulmenarten, Elsbeeren, Mehlbeeren und Vogelkirschen wachsen. Bei etwas tiefgründigeren und feuchteren Böden (z.B. Nordhänge) käme auch sehr schnell die Buche als Mischbaumart dazu.


Zu hoher Rehwildverbiss mitverantwortlich für Raupenvermehrung

Zu der forstlichen Altlast kommt noch eine jagdliche Altlast historischen Ausmaßes hinzu. Der immense Rehwildverbiss verhindert vielerorts seit Jahrzehnten, dass sich eine standortstypische Vegetation aus verschiedenen Baum-, Straucharten und Bodenpflanzen ausbilden kann. Der Aufwuchs aus den Baum- und Straucharten würde das Kleinklima zu Ungunsten der wärmeliebenden "Schadinsekten" ändern. Aufgrund des starken Rehwildverbisses fehlen aber häufig krautartige Pflanzen, die für die natürlichen Gegenspieler der blattfressenden Raupen eine wichtige Nahrungsgrundlage darstellt. Gerade in Zeiten niedriger Populationen der blattfressenden Raupen dient diese krautartige Vegetation dann als Ausweichnahrung für Gegenspieler wie Erz- und Brackwespen oder Igelfliege. Die zu hohen Rehwildbestände tragen somit dazu bei, dass das Waldökosystem nicht in der Lage ist, die Massenvermehrung blattfressender Insektenarten abzupuffern.


Klimawandel mitverantwortlich für Raupenvermehrung

Die regelmäßigen Massenvermehrungen blattfressender Schmetterlingsraupen an Eichen sind eine Folge der Klimaänderung. Die CO2-Immissionen aus Industrie, Verkehr und Haushalten führen zu Temperaturerhöhungen und zu einer Abnahme der Niederschläge. Davon profitieren insbesondere die blattfressenden Insekten wie die Eichenprozessionsspinner, die warm-trockenes Klima lieben.


Mechanische Maßnahme bei hygienischen Problemen bevorzugen

Der BN kann akzeptieren, dass in Stadtnähe, Spielplatznähe oder bei häufig begangenen Wanderwegen gegen den Prozessionsspinner vorgegangen wird, weil dessen Haare tatsächlich allergische Reaktionen auslösen können. Dabei sollen jedoch mechanische Verfahren, wie das Absammeln, Abflammen oder Besprühen der Nester mit Wasserglas bevorzugt werden. Dies wird andernorts seit Jahren erfolgreich praktiziert wird.

Autor: Tom Konopka


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Quelle:
Presseinformation München PM 082/10, 28.07.2010
Herausgeber:
Bund Naturschutz in Bayern e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Juli 2010