Schattenblick → INFOPOOL → UMWELT → LANDWIRTSCHAFT


CHEMIE/303: Glyphosat - das Risiko wächst (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 184 - Februar/März 2015
Die Berliner Umweltzeitung

Glyphosat ... Risiko wächst
Warum Glyphosat so gefährlich ist

Von Jörg Parsiegla


In der Oktober/November-Ausgabe (2014) des RABEN RALF gab es unter der Rubrik Infodienst Gentechnik die Aufsehen erregende Meldung, dass das Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat, Hauptbestandteil des Totalherbizids Roundup, weiterhin erfolgreich ist. Gegenüber einem derzeitigen Umsatz von rund sechs Milliarden Dollar könnte zum Ende des Jahrzehnts, laut Marktschätzungen, ein Volumen von circa neun Milliarden Dollar erreicht werden - eine Steigerung um satte 50 Prozent! Selbst die Tatsache, dass fast die Hälfte des Spritzmittels auf Gentechnik-Feldern landet, die weltweit nur 12 Prozent der Ackerfläche ausmachen, lässt da wenig Beruhigung aufkommen.

Anwendungsprocedere

Seit 1974 von Monsanto auf den Markt gebracht und inzwischen das meist verwendete Pflanzenvernichtungsmittel der Welt, wird das sowohl nicht-selektiv als auch systemisch wirkende Glyphosat in Deutschland auf schätzungsweise 40 Prozent der Ackerfläche ausgebracht und steht außerdem Hobbygärtnern zur Verfügung. Bei der pfluglosen Bodenbearbeitung - zum Schutz vor Bodenerosion und übermäßiger Bodenverdichtung - wird der Wirkstoff, mit Ausnahme Süddeutschlands, standardmäßig verwendet.

Beim Anbau von Getreide und anderen Ackerfrüchten wird Glyphosat zu zwei Zeitpunkten eingesetzt: kurz nach der Saat, aber noch vor dem sichtbaren Durchbruch der Pflanzen aus dem Boden (Vorauflauf), sowie bei der Sikkation (Austrocknung), bei der das Herbizid kurz vor der Ernte versprüht wird, um die Abreife der Kulturpflanze zu beschleunigen - Erntemaschinen sollen so effektiver arbeiten können, was wiederum den Ernteertrag steigert. Besonders die zuletzt genannte Anwendungsart ist umstritten. Die Sikkation soll zwar in Deutschland insgesamt nicht von großer Bedeutung sein, allerdings werden in Küstennähe geschätzte 65 Prozent der Wintergerstenbestände aufgrund häufiger auftretender Unkräuter behandelt. Und in den östlichen Bundesländern werden in nassen Jahren bis zu 20 Prozent der Wintergetreide und -rapsflächen behandelt, in Restdeutschland weniger als fünf Prozent. Das Verheerende an der Sikkation: Glyphosat wird quasi "ins reife Korn" gespritzt, der weitere Weg zum Verbraucher - über Backwaren - ist extrem kurz. Die ausgebrachte Wirkstoffmenge bei den einzelnen Anwendungen liegt in Deutschland meist zwischen 0,84 und 2,52 Kilogramm Glyphosat pro Jahr und Hektar.

Alte und neue Kritik

Viele Jahre als ertragssteigerndes Mittel gefeiert, wurden Bedenken gegen den Wirkstoff und seine Abkömmlinge lange nicht zur Kenntnis genommen. So sind deutschen Regierungsstellen die Gefahren, die mit dem Gebrauch von Glyphosat in Verbindung gebracht werden, etwa seit 1998 bekannt, entsprechenden Gremien der EU, wie der Europäischen Lebensmittelsicherheitsbehörde EFSA (European Food Safety Authority), seit 1999. Seither wurden zudem dem jetzigen Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV), dem Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL), dem Umweltbundesamt (UBA) sowie dem Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) durch wissenschaftliche Publikation immer wieder neue Erkenntnisse über die Gefahren von glyphosathaltigen Pflanzenschutzmitteln zugänglich gemacht, darunter eine von der EFSA totgeschwiegene Studie der Universität Caen in Frankreich (2012).

Die Ergebnisse dieser an Ratten vorgenommenen, bisher umfassendsten und durch Experten begutachteten zweijährigen Studie erklärt auf verblüffende Weise viele der mit der Glyphosatanwendung in Verbindung gebrachten tierischen und menschlichen Krankheits- und Todesfälle - seien es nun mit Gen-Soja gefütterte, an Botulismus verendende Rinder, vornehmlich Milchkühe (seit 1996 in Deutschland beobachtet) und erkrankte Landwirte oder missgebildete Neugeborene und eine menschliche Todesfallserie in Argentinien (2010).

Die Studie kommt, kurz gefasst, zu dem Schluss, dass Glyphosat insbesondere die Enzyme im menschlichen Körper hemmt, die eine entscheidende Rolle bei der Entgiftung von Xenobiotika (körperfremde chemische Stoffe) spielen. Somit verstärkt Glyphosat als eine Art hormoneller Booster die toxische Wirkung anderer chemischer Rückstände, die durch chemiebelastete Lebensmittel oder anderer Umweltgifte in den Körper gelangen (abgesehen davon ist Glyphosat bei einer Vielzahl von Menschen längst direkt im Organismus angekommen und konnte beispielweise, wie Untersuchungen (2013) des Teams um Prof. Dr. Monika Krüger von der Universität Leipzig zeigen, im Urin eines Großteils der Bevölkerung nachgewiesen werden). Die französische Studie kommt zu dem Schluss: "Der Prozess [der Glyphosatvergiftung, Anmerkung Redaktion] verläuft schleichend und manifestiert sich mit der Zeit als entzündliche Schädigung von Zellsystemen im ganzen Körper." Ganz zu schweigen von den nachgewiesenen negativen Auswirkungen des Herbizideinsatzes für die biologische Vielfalt in Böden und Gewässern sowie in der Natur allgemein - Stichwort Bienensterben.

Rolle der Politik

Was die Politik betrifft, so sind die Aussichten bei der Gefahreneinstufung von Glyphosat und einem damit einhergehenden möglichen Verbot des Wirkstoffs eher ernüchternd. Als positive Entwicklung kann inzwischen immerhin die Zustimmung des Bundesrats gelten, den Einsatz von Glyphosat zumindest für Haus- und Kleingärten zu untersagen. Ebenfalls positiv ist eine Initiative der deutschen Umweltministerkonferenz (UMK) zu werten, die im November 2013 eine umfassende Prüfung der Wirkungen glyphosathaltiger Mittel auf den Weg brachte. Die Bundesregierung wird dabei aufgefordert sicherzustellen, dass aktuelle Erkenntnisse zur Wirkung von Glyphosat auf Mensch und Umwelt in die 2015 anstehende Neubewertung der Gefahrenlage, zwecks Verlängerung der EU-weit gültigen Wirkstoffgenehmigung nach dem 31.12.2015, einbezogen werden. Deutschland ist hier für die Erstellung des Prüfberichts verantwortlich und somit federführend.

Sehr widersprüchlich agiert das BLV: Während es im März 2014 der dritten Roundup-Generation (Roundup Rekord mit 720 Gramm Glyphosat pro Kilogramm der Ware - die höchste Wirkstoffkonzentration aller Zeiten) die Zulassung erteilt, erlässt es im Mai 2014 einige einschränkende neue Anwendungsbestimmungen für glyphosathaltige Mittel. Diese begrenzen den Wirkstoffaufwand pro Jahr und Hektar und präzisieren die zugelassene Spätanwendung in Getreide.

Das BfR, hierzulande eine maßgebliche Instanz bei der Bewertung von Glyphosat, spielt gar eine unrühmliche Rolle: Im Jahr 2012 konnte über einen Testbiotech-Report aufgezeigt werden, dass viele seiner Kommissionsmitglieder für genetisch veränderte Lebens- und Futtermittel nicht als unempfänglich gegenüber der Einflussnahme von agrarindustriellen Lobbyisten gelten können. Einigen von ihnen wurden enge Verbindungen zu BASF, Bayer und Syngenta nachgewiesen - ausgerechnet jenen Großkonzernen, die seit Jahrzehnten von der Nachnutzung der ausgelaufenen Monsanto-Patente profitieren. Noch Fragen?


Weitere Informationen:

de.wikipedia.org/wiki/Glyphosat
albert-schweitzer-stiftung.de/aktuell

*

Quelle:
DER RABE RALF
25. Jahrgang, Nr. 184 - Februar/März 2015, Seite 30
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 8, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
Redaktion DER RABE RALF:
Tel.: 030/44 33 91-47/-0, Fax: 030/44 33 91-33
E-mail: raberalf@grueneliga.de
Internet: www.raberalf.grueneliga-berlin.de
 
Erscheinen: zu Beginn gerader Monate
Abonnement: jährlich, 20 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Februar 2015

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang