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POLITIK/372: Anpassung der Pflanzenschutzgesetzgebung an die EU-Vorgaben lässt Vieles offen (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 350 - Dezember 2011
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Neues Gesetz beantwortet kaum die alten Fragen
Die Anpassung der Pflanzenschutzgesetzgebung an die EU-Vorgaben lässt Vieles offen

von Claudia Schievelbein


Es geht schon mit der Begrifflichkeit los. Ob man von Pestiziden oder Pflanzenschutzmitteln schreibt, weist auf eine eher kritische oder eher wohlwollende Haltung gegenüber Agrarchemikalien hin. Wenn es ein Pflanzenschutzgesetz in der EU und in Deutschland gibt, drückt das die grundsätzliche Zustimmung zu einer Landwirtschaft aus, die darauf basiert, die Kulturpflanzen mittels chemischer Substanzen auf Kosten von Wildpflanzen und -tieren zu schützen und auch gewisse negative Umweltwirkungen billigend in Kauf zu nehmen. Als es jetzt darum ging, die neuen EU-Regelungen zur Zulassung von Pflanzenschutzmitteln und zu ihrer nachhaltigen Verwendung in ein nationales Gesetz für Deutschland zu gießen, wurde aber auch deutlich, dass jene Zustimmung unterschiedlich weit reichen kann. In der Rahmenrichtlinie zur nachhaltigen Verwendung nämlich macht die EU durchaus strengere und konkretere Vorschläge dazu, was sie denn darunter versteht, als das, was die schwarz-gelbe Bundesregierung nun durch den Bundestag getragen hat. Und auch die Tatsache, dass der Bundesrat vor seiner letzten Abstimmung eine Vielzahl von Änderungsanträgen eingebracht hat - die dann allerdings kaum Niederschlag im Gesetz fanden - zeigt, dass die konservativ-liberale Regierung schon sehr weit bei der Chemieindustrie und dem Bauernverband ist. Ob das auch heißt, nah bei den Bauern und Bäuerinnen, die in der Gesellschaft eine durchaus größer werdende Kritik gegenüber dem arglosen Einsatz von Spritzmitteln erfahren, sei dahingestellt.


Zonale Zulassung

Konkret ging es um zweierlei in der neuen Gesetzgebung: Zum einen soll zukünftig ein zonales Zulassungsverfahren für eine unbürokratischere und einheitlichere Genehmigung von neu auf den Markt kommenden Pflanzenschutzmitteln in der EU sorgen. Drei Zonen in Europa machen eine Landesgrenzen und -märkte einfacher überwindende Zulassung möglich. Die einzelnen Mitgliedsstaaten brauchen in der jeweiligen Zone zugelassene Mittel lediglich noch zu genehmigen. Bei dieser Genehmigung - so ein früher Vorschlag der Bundesregierung - sollte noch nicht einmal mehr das Umweltbundesamt (UBA) als Einvernehmensbehörde mitreden dürfen. "Eine Mehrfach-Beteiligung des Umweltbundesamtes in derselben Fragestellung im Rahmen einer Einvernehmensregelung erscheint uns überzogen. Neue Pflanzenschutzmittel bedeuten nicht mehr Gefährdungspotenzial, sondern optimierte Wirkstoffkombinationen bei reduziertem Aufwand. Dies sollten auch die Oppositionsparteien irgendwann verstehen, wenn sie ihre ideologische Brille einmal absetzen. Die Einbeziehung von Umweltverbänden in die Gesetzesformulierung, wie es die SPD vorschlägt, lehnen wir dankend ab", formulierte dazu der Vorsitzende der Arbeitsgruppe Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Franz-Josef Holzenkamp, durchaus selbstbewusst. Am Ende war der Widerstand von allen Seiten zu groß, selbst Parteikollegen aus Bayern forderten im Bundesrat die Beibehaltung der Beteiligung des UBA, im neuen Gesetz ist sie wieder mit drin. Desweiteren bleibt zunächst abzuwarten, wie die zonale Zulassung in die Praxis umgesetzt wird, der Bauernverband warnt vor möglichen Wettbewerbsverzerrungen und der Lobbyverband der Pestizidindustrie, der Industrieverband Agrar (IVA), hofft auf eine Schließung von Schlupflöchern für illegale Chemikalien. Zu dieser Hoffnung trägt auch die Festlegung im neuen Gesetz bei, dass unerlaubter Vertrieb strafrechtlich verfolgt werden kann. Der Handel über das Internet hat hier in den vergangenen Jahren an Bedeutung gewonnen. Die Industrie muss sich allerdings auch die Frage stellen lassen, ob ein Teil der bei uns illegalen Substanzen nicht nach weniger strengen Standards produzierte Mittel für die laxeren Gesetzgebungen des Südens sind, die nun wie Bumerangs wieder zurückkehren.


Nachhaltige Verwendung

Der zweite Komplex der neuen Gesetzgebung ist die Umsetzung der Rahmenrichtlinie zur nachhaltigen Verwendung von Pflanzenschutzmitteln. Ziel ist - wie auch bei der Zulassung - der Schutz des Menschen und der Umwelt vor möglichen Gefahren durch Pestizide. Wie genau das aussehen kann, will die Bundesregierung in den nächsten Jahren in einen nationalen Aktionsplan schreiben. Konkrete Vorschläge der Opposition und der Umweltverbände jetzt schon aufgreifen wollte sie offenbar nicht. So hatten unter anderem Politiker der Grünen sowie das Pestizid Aktions Netzwerk (PAN), der Naturschutzbund (NABU) und der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) gefordert, die sogenannte gute fachliche Praxis, die als grundlegende Formulierung und Anwendungsanleitung für den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln herhalten muss, endlich einmal konkret mit Leben zu füllen.


Glaubenssätze

Bislang gibt es kaum greifbare Vorschriften, das Werk begnügt sich mit Glaubenssätzen und der Hoffnung auf das beste Wissen und Gewissen der Bauern und Bäuerinnen. Eine Konkretisierung würde auch die Argumentation gegenüber dem Verbraucher vereinfachen, wurde aber von den Gesetzgebern nicht angegangen. Ein weiterer von der EU möglich gemachter und von den Umweltverbänden, besonders aber auch von der Wasserwirtschaft eingeforderter Punkt sind Abstandsregeln oder die Errichtung von Pufferzonen rund um Oberflächengewässer. Nach wie vor finden sich - auch nach Messungen von über ideologische Vorbehalte erhabene Institutionen - zu viele Pestizide im Grund- und Oberflächenwasser. Eine Verbesserung würde das Anwendungsverbot von Pflanzenschutzmitteln unmittelbar neben Flüssen und Seen bieten. Die Bundesregierung konnte sich nicht dazu durchringen, Industrie und Bauernverband klatschen in beiden Punkten Beifall. Auf diese Art und Weise bliebe eine Anzahl weiterer konkreter Verschärfungen im Sinne der Umweltbewegung auf der Strecke bzw. in vagen Formulierungen.


Industrie boomt

Derweil erfreut sich die chemische Industrie steigender Umsätze: "In den ersten neun Monaten dieses Jahres konnte die BASF durch positive Marktbedingungen in Form erhöhter Agrarrohstoffpreise und einer guten Liquidität in der Landwirtschaft weltweit ihre Absätze im Bereich 'Agricultural Solutions' steigern. Einen besonderen Beitrag hierzu leistete die hohe Nachfrage nach Fungiziden. Dem Chemiekonzern BASF wird trotz Schuldenkrise und Konjunkturabschwung nicht bange um seine Pflanzenschutzsparte. In den kommenden Jahren plant der Konzern ein deutliches Wachstum für den Bereich. Pflanzenschutz ist eines der konjunkturrobusten Arbeitsgebiete, das hat sich auch in der Krise 2008/2009 gezeigt", heißt es aus Ludwigshafen. "Besonders gut entwickelte sich die Sparte Pflanzenschutz. Hier stiegen die Erlöse gegenüber dem Vorjahr um 23 Prozent auf 1,76 Milliarden Euro. Zudem konnte Sygenta im dritten Quartal rund drei Prozent höhere Preise für Pflanzenschutzmittel durchsetzen, was ebenfalls zu höheren Einnahmen führte", meldet die Schweiz. Seit die Preise für landwirtschaftliche Ernten wieder besser sind, lohnt es sich auch wieder mehr zu spritzen. Auf der weltgrößten Landtechnikmesse Agritechnica, die in Hannover gerade zu Ende gegangen ist, berichtet eine Mitarbeiterin der Firma Horsch, dass einer der führenden Spritzenhersteller, Dammann, ausverkauft sei und sie selbst davon nun profitierten, da ihre Spritzen im gleichen Preissegment lägen. Und die Technik sorgt für die nötige Effizienz. Im Trendbericht Pflanzenschutz der Agritechnica wird deutlich, dass die Entwicklung immer mehr hin zu selbstfahrenden Spritzen geht, mit denen auch dank moderner Düsentechnik und allerlei Federungskomfort immer schneller gefahren werden kann. Dass sich damit auch die Abdrift auf Nachbarschläge erhöht, wird zu Kenntnis genommen und folgendermaßen kommentiert: Man könne am Rand ja langsamer fahren. Macht das jemand, wenn es um Effizienzsteigerung geht? Reicht es aus, darauf zu bauen, dass der Mensch auf der Spritze ein Gewissen hat, oder in wie weit hat der Staat eine Verpflichtung, ihn durch Regeln auch vor sich selbst zu schützen? Auch darum geht es in der Pflanzenschutz- oder Pestizidgesetzgebung.


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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 350 - Dezember 2011, S. 3
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft -
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Februar 2012