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TIERE/114: Perspektiven für nachhaltige Tierhaltung und zukunftsfähigen Fleischkonsum (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2011

Global Governance - Eine Chimäre?

Themen & AGs

Fleisch in Massen - Fleisch in Maßen
Internationale Tagung zu den Perspektiven für eine nachhaltige Tierhaltung und einen zukunftsfähigen Fleischkonsum

von Mireille Hönicke


Ein breites Bündnis von Organisationen hatte im Rahmen der Kampagne "Meine Landwirtschaft" zur Tagung "Fleisch in Massen - Fleisch in Maßen" vom 7. und 8. November 2011 nach Berlin eingeladen. Knapp 200 BesucherInnen folgten der Einladung, um in einen Dialog über die Zukunft unserer Tierhaltung und des Fleischkonsums zu treten. Die aktuelle Reform der EU Agrarpolitik bot hierfür den Anlass. Angesichts der Herausforderungen und Probleme, die unsere aktuelle Fleischerzeugung in Massen und der weltweit steigende Fleischkonsum bergen, ist dieser Dialog dringend notwendig.

Die Tagung machte deutlich, dass wir mehr Nachhaltigkeit bei der Fleischerzeugung brauchen. Hubert Weiger, Vorsitzender des BUND sagte in seiner Auftaktrede, dass die Entwicklung in der Landwirtschaft massiv in Richtung Industrialisierung gehe und zum Hunger in der Welt beitrage. Die Zunahme unserer Fleischproduktion ist nur durch Futtermittelimporte aus Brasilien, Argentinien und Paraguay möglich.

Die Fernseh-Köchin Sarah Wiener richtete sich in ihrem Grußwort direkt an die Fleischindustrie und fand mahnende Worte: "Die Industrie zerstört ihre eigene Grundlage". Sie fragte: "Wer möchte diese Art der Produktion? Kein vernünftiger Mensch." Ihren Appell richtete sie zudem an die Politik, von der sie verlangte, Änderungen auf den Weg zu bringen, denn genug Studien, die belegen, dass ein Handeln unumgänglich sei, gebe es bereits.

Fleischessen als Last oder Lust?

Einigkeit herrschte bei den beteiligten Rednern und Gästen darüber, dass ein "Weiter wie bisher" keine Option sei. Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf, Bundesvorsitzender der AbL, fand treffende Worte für unseren massiven Fleischkonsum: "Fleischessen ist zur Last anstatt zur Lust geworden".

In sechs Foren wurde diskutiert, wie mit dieser Last umzugehen sei: Beim Thema "Fleischexporte made in Germany" stand die auf den Export ausgelegte Agrarpolitik von Landwirtschaftsministerin Aigner in der Kritik. Deutschland ist zum Nettofleischexporteur geworden und auch die Fleischexporte nach Afrika nehmen zu. Dr. King David Amoah aus Ghana appellierte an die internationale Verantwortung der EU und beschrieb, wie wichtig lokale Erzeugerstrukturen für die Ernährungssicherung in seinem Land sind. Hühnerfleischexporte zu Dumpingpreisen aus der EU und Deutschland zerstören die ghanaischen Märkte und lassen die Bauern konkurrenzlos zurück. Auch in Deutschland stärkt die Agrarpolitik Erzeuger nicht. Die niedrigen Erzeugerpreise gehen offenbar so weit, dass Landwirte zum Teil Kredite für die Bezahlung von Futtermitteln aufnehmen müssen.

Die Klimaauswirkungen unserer Fleischerzeugung machen Entwicklung und Armutsbekämpfung in vielen Ländern des Südens zunichte. Hier sind vor allem alternative Wege und mehr Wissen über Weidemanagement in der Landwirtschaft notwendig.

Wissen und Verbraucheraufklärung wurden in allen Foren als sehr wichtig herausgestellt. Eine Kennzeichnung, die darüber informiert, mit welcher Art der Produktion der Verbraucher es bei einem Stück Fleisch zu tun hat muss Pflicht werden.

Dass die Produktionssysteme ganz unterschiedlich sein können, zeigte die Diskussion zu Bauernhöfen statt Agrarfabriken.

Jenseits der Futtermittelimporte

Wenn man über Fleisch spricht kommt man nicht um das Thema Futtermittel herum. 78 Prozent der Eiweißfuttermittel, hauptsächlich Soja, werden für die europäische Fleischerzeugung importiert. Eine zukunftsfähige Futtermittelproduktion muss neue Wege gehen. Marcelo Kehl aus Brasilien wies auf die Dringlichkeit hin aktiv zu werden, denn der enorme Anbau von Mono-Sojakulturen, der mit einem hohen Pestizid-Einsatz einhergeht, belaste Umwelt, Tier und Mensch. Diskutiert wurde, ob eine Zertifizierung, ähnlich wie für Agrarkraftstoffe, eine Lösung darstellen und welches Potenzial der Anbau von heimischen Eiweißfuttermitteln bieten könnte. Die Zertifizierung von Soja als Futtermittel wurde kontrovers geführt. Als große Herausforderung werden Transparenz und Unabhängigkeit der Zertifizierungssysteme gesehen. Als sehr kritisch wurde beurteilt, dass einige der für Agrarkraftstoffe zugelassenen Zertifizierungssystemen von der Industrie selbst geschaffen wurden.Walter Pengue von der Universität Buenos Aires berichtete von den Auswirkungen des Sojaanbaus in Argentinien, der zu fast 100 Prozent gentechnisch verändert ist und den Plänen seiner Regierung, diesen noch weiter auszubauen. 35 Prozent der argentinischen Staatseinnahmen kommen bereits heute aus dem Sojaanbau. Es stellte sich die Frage, was demnach Europa machen kann, wo doch ein großer Teil des Sojas auch nach China exportiert wird. Und doch ist Handeln gefragt: Einig waren sich die Diskutanten über die Vorbildfunktion, die Europa einnehmen kann. In diesem Sinne sei die EU aufgefordert, so Martin Häusling, Mitglied des Europäischen Parlaments, eine Eiweißstrategie zu entwickeln, um Sojaimporte zu reduzieren und den Anbau und die Fütterung unserer Tiere mit heimischen Eiweißpflanzen wie Ackerbohne, Erbse oder Lupine zu fördern. Ihr Anbau liegt in Deutschland bei nur drei Prozent. Leguminosen haben mit schwankenden Erträgen, mangelnder Forschung und fehlender Vermarktung zu kämpfen. Dabei sind sie wichtig für die Bodenfruchtbarkeit und stehen zudem für Regionalität und Gentechnikfreiheit. Dass der Vorschlag, einen Mindestanteil von Leguminosen in der Fruchtfolge festzuschreiben, in dem jetzt vorliegenden Vorschlag der EU Agrarreform nicht berücksichtigt ist, wurde sehr bedauert.

Die Reform der EU Agrarpolitik muss weiter gehen

Mit Blick auf die Reform der Agrarpolitik wurde deutlich, dass noch viele Schritte gegangen werden müssen, um zu einer zukunftsfähigen Fleischerzeugung und Fleischkonsum zu kommen. Mut machte, das zeigte auch das rege Interesse an der Tagung, dass sich in der Gesellschaft eine Bewegung gegen die weitere Industrialisierung der Landwirtschaft und für regionale, gesunde und tiergerechte Lebensmittel bildet.

Der Dialog wird von den beteiligten Organisationen weiter geführt. Die Politik muss in die Pflicht genommen werden. Eine nächste Gelegenheit bietet die Demonstration "Wir haben es satt! Bauernhöfe statt Agrarindustrie" am 21.01.2012 in Berlin.

Einen ausführlichen Tagungsbericht wird es in Kürze geben unter: www.meine-landwirtschaft.de.

Die Veranstalter:

Agrar Koordination, Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), Brot für die Welt, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Evangelischer Entwicklungsdienst (EED), Evangelische Jugend im ländlichen Raum (EJL), Forschungsund Dokumentationszentrum ChileLateinamerika (FDCL), Forum Umwelt & Entwicklung, Germanwatch, Heinrich Böll Stiftung, INKOTA Netzwerk, Kampagne Meine Landwirtschaft, MISEREOR.

Die Autorin ist MSc Agrar- und Ernährungswissenschaftlerin bei der Agrar Koordination.


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:
Sarah Wiener, 2. von links, Köchin, Gastronomin und Buchautorin engagierte sich für die Tagung und sprach das Grußwort.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NRO in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V. Diese Publikation wurde vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) offiziell gefördert. Der Inhalt gibt nicht unbedingt die Meinung des BMZ wieder.

Der Rundbrief des Forums Umwelt & Entwicklung, erscheint vierteljährlich, zu beziehen gegen eine Spende für das Forum.


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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2011
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
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Telefon: 030/678 1775 93, Fax: 030/678 1775 80
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Dezember 2011