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TIERE/120: Massentierhaltung oder Tierschutz? (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 190 - Februar/März 2016
Die Berliner Umweltzeitung

Massentierhaltung oder Tierschutz?
Das Thema ist bei den Verbrauchern angekommen

Von Volker Voss


Auf den ersten Blick schien auf der Grünen Woche in Berlin, der weltweit größten Ernährungs- und Verbrauchermesse, das genüssliche Schlemmen an den verschiedenen Ständen der in- und ausländischen Anbieter im Vordergrund zu stehen. Da waren beispielsweise die vielen Fleischgerichte, die in den verschiedensten Variationen und in rauen Mengen angeboten, appetitlich zubereitet, über den Tresen gingen. Dennoch wollten sich viele Besucher auch über die Herkunft und der Herstellungsweise der Produkte informieren. In dem Zusammenhang standen auch Themen wie Tierschutz und Massentierhaltung auf der Tagesordnung. So griffen unter anderem die Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) sowie Tierschützer die Thematik auf und informierten dazu.

"Das Thema Tierschutz ist bei den Verbrauchern längst angekommen", sagte Klaus Müller, vzbv-Vorstand. Er machte darauf aufmerksam, "dass die Verbraucher immer lauter und drängender mehr Tierschutz fordern." Schließlich seien sich die Verbraucher bewusst, dass sie es sind, die durch ihr Kaufverhalten Einfluss auf den Tierschutz haben. Politik und Wirtschaft sollten darauf reagieren. Das Tierschutzniveau sei jedoch noch viel zu niedrig, einen Durchbruch habe es noch nicht gegeben. Zudem sei das Thema Tierschutz im Geschäft kaum wahrnehmbar, stellte er klar.

Verwirrende Kennzeichnungen

Eine aktuelle Umfrage der Marketingberatung Zühlsdorf + Partner GbR im Auftrag des vzbv ergab unter anderem, dass über 80 Prozent der Verbraucher anhand des Produkts nachvollziehen wollen, ob Tierschutz gewährleistet ist. Denn bisherige Kennzeichnungen seien eher verwirrend. Schließlich gaben 86 Prozent der Befragten an, nicht zu wissen, an welchem Label sie sich orientieren sollen. Das sei ein Versagen des Einzelhandels und der Marketingabteilungen. Deshalb sei ein Gesetz zur Tierschutzkennzeichnung notwendig.

Zu oberflächlich gestaltete sich bislang auch die öffentliche Diskussion zum Thema. "Wir haben in den letzten Jahren nur schwarz-weiß diskutiert", räumt Müller ein. "Es ging nur um Bio oder anderes - das hat dem Tierschutz wenig genützt. Denn die meisten Verbraucher verbinden Tierschutzprodukte gleich mit Bio-Produkten." Tierschutz muss jedoch nicht gleich mit dem teureren Bio identisch sein. Der Mehrpreis bei Bio-Produkten liege immerhin bei über 100 Prozent. Vorgeschlagen wird deshalb beispielsweise, die europäischen Eierkennzeichnungsregelungen für die Haltungsverfahren von Legehennen (Bio, Freilandhaltung, Bodenhaltung, Käfighaltung) auf den Fleischsektor zu übertragen. So wäre auch im konventionellen Bereich artgerechte Tierhaltung mit nicht so hohen Preissprüngen möglich.

Da viele Verbraucher in Deutschland recht preisbewusst einkaufen - oder in anderen Worten ausgedrückt - gern auf Schnäppchenjagd gehen, wird beim Fleischkauf eher auf möglichst günstige Angebote geachtet. Doch Tierschutz hat seinen Preis. In der Tierhaltung müsste sich viel ändern, was wiederum nicht zum Nulltarif machbar ist: "Tiere brauchen ausreichend Platz und Möglichkeiten, um sich artgerecht zu verhalten", fordert die vzbv. Dadurch würde beispielsweise die Tierquälerei durch Verstümmelungen ein Ende finden. So seien in den Tierhaltungseinrichtungen erhebliche Umbauten notwendig. Alles in allem müssten auch die Agrarsubventionen Tierschutz als Kriterium zugrunde legen. Deshalb sollten auch nur noch Ställe gebaut werden, die eine artgerechte Tierhaltung durch mehr Platz ermöglichen, so die Forderungen.

Höherer Preis

Der Umfrage zufolge sind über ein Drittel der Verbraucher jedoch bereit, mehr Geld für Fleischwaren auszugeben, wenn der Tierschutz gewährleistet ist. Dafür ist eine verbesserte Qualitätsorientierung im Handel notwendig. Bei kleineren Mengen Fleisch betrage die Bereitschaft, tiefer in die Tasche zu greifen, fast 60 Prozent, bei größeren Mengen beschränkt sich die Bereitschaft, mehr zu zahlen, auf knapp 40 Prozent. Doch inwiefern Verbraucher beim Einkauf tatsächlich bereit sind, für mehr Qualität auch mehr Geld auszugeben, bleibt eher offen. Denn laut der Umfrage bezeichnen sich lediglich 32 Prozent der Konsumenten als "stark qualitäts- und tierschutzorientiert", achten wenig auf Sonderangebote und würden aufgrund von Aktionspreisen nicht den Supermarkt wechseln.

"Moderne" Tierhaltung anschaulich gemacht, würde manch einem sicherlich den Appetit verderben. Noch immer werden vielerorts männliche Küken getötet, werden Schweinen die Ringelschwänze sowie Geflügel die Schnäbel gekürzt. Diese Quälereien werden immer wieder angeprangert. Tierhalter entgegnen jedoch, "dass sich ohne diese Eingriffe die Tiere gegenseitig verletzen würden und ein Verzicht unter den aktuellen Bedingungen gar nicht möglich ist. Den Tieren würde ohne diese Maßnahmen noch mehr Leid zugefügt", zitiert die vzbv.

Massentierhaltungsanlagen schließen

Eine artgerechte Haltung ist in den industriellen Massentierhaltungsfabriken wohl kaum möglich. Vor dem Hintergrund des ruinösen Wettbewerbs in der Fleischindustrie mit entsprechenden Dumpingpreisen kann es keine Veränderungen geben. Das Deutsche Tierschutzbüro nennt als trauriges Beispiel leidvoller Tierhaltung das "Schweinehochhaus" in Maasdorf in Sachsen Anhalt. Dort fristeten auf sechs Etagen tausende Schweine, eingesperrt, aneinander gepfercht und ohne Licht ein erbärmliches Dasein, vermelden die Tierschützer: Seit langem fordern sie die Schließung dieser Zuchtanlage, die, nach ihren Informationen, sogar mit EU-Geldern gefördert wird. Dies ist nur eins von vielen Beispielen, die auf unsägliche Tierquälerei in Zusammenhang mit der Fleischproduktion hinweisen.

Gerade erst haben die Brandenburger mit ihren fast 104.000 Unterschriften für ein Volksbegehren für eine Agrarwende und gegen Massentierhaltung bewiesen, dass sie mit einem Weiter-So mit der Subventionierung von Massentierhaltung nicht einverstanden sind. Sie fordern unter anderem eine artgerechte Haltung, die sich den Tieren anpasst und nicht umgekehrt.

Natürlich stellt sich in diesem Zusammenhang grundsätzlich die Frage, wie so eine artgerechte Tierhaltung aussehen soll. Vielen kritischen Tierschützern reicht die Forderung nach Abschaffung der Megaställe und Tierfabriken sowie von Gentechnik nicht. Sie verweisen darauf, dass auch in einer ökologischen Landwirtschaft mit kleinen familienbetriebenen Höfen Tiere gezüchtet, eingesperrt und getötet würden.

Die Erfolge der Brandenburger Umwelt- und Tierschützer sind ein guter Anfang auf dem Weg zu einer dringend notwendigen Agrarwende und einem besseren Tierschutz. Darüber hinaus stellt sich jedoch die Frage, ob wir nicht auch unseren Fleischkonsum merklich drosseln sollten, um der ständig beschworenen Tierliebe tatsächlich gerecht zu werden.

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Quelle:
DER RABE RALF
27. Jahrgang, Nr. 190, Seite 20
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 8, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
Redaktion DER RABE RALF:
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Internet: www.raberalf.grueneliga-berlin.de
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. März 2016

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