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WALD/200: Hessischer Staatswald zu jung, zu dünn, zu nackig (NABU HE)


NABU Landesverband Hessen - 15. Dezember 2014

Zertifizierung des Staatswaldes in den Landkreisen Gießen, Lahn-Dill, Limburg-Weilburg, Marburg-Biedenkopf, Main-Kinzig, Offenbach, Vogelsberg, Wetteraukreis

Bäume sind keine Supermodels

NABU: Staatswald ist zu jung, zu dünn und zu nackig



Wetzlar - "Bäume sind keine Supermodels" fasst Mark Harthun die Kritik des NABU Hessen am Hessischen Staatswald zusammen. Anlässlich der im kommenden Jahr anstehenden Öko-Zertifizierung von neun staatlichen Forstämtern nach FSC-Standard hat der NABU in einer Stellungnahme Korrekturen der Wald-Bewirtschaftung eingefordert. Der Wald sei insgesamt "zu jung, zu dünn und zu nackig". Die Bäume würden zu früh gefällt und ganze Bestände viel zu schnell abgeräumt. Buchen würden schon mit 140 Jahren geschlagen, könnten aber eigentlich 300 Jahre alt werden. "Die zweite Lebenshälfte fehlt in unseren Wäldern fast völlig und mit ihr all die Arten, die in und auf alten Bäumen leben", so Harthun. Die NABU erwartet von der Landesregierung, die FSC-Verpflichtung zur Einrichtung von ungenutzten Naturwäldern mit einer Mindestgröße von 100 Hektar auf 5 Prozent der Waldfläche einzuhalten.

Nur auf 0,6 Prozent des hessischen Staatswalds finden sich laut NABU noch wertvolle Buchenbestände, die älter als 180 Jahre sind. "Nackig" seien zudem viele Wälder, die in der Statistik noch als "Altholzbestände" aufgeführt würden. Auf diesen weitgehend abgeernteten Flächen seien in Wirklichkeit nur noch 20 bis 30 Prozent alter Bäume vorhanden. "Solche Wälder erinnern mancherorts eher an eine Savanne als an einen Wald", so Harthun. "Zu dünn" sei der Wald, da nur knapp 1 Prozent des Holzvorrates aus Bäumen mit einem Durchmesser von mehr als 90 Zentimetern bestehe, so Harthun. Der NABU wünscht sich einen Wald mit "echten Kerlen": Beeindruckende Baumriesen, die mit den Nestern großer Vögel wie Schwarzstorch, Rotmilan oder Wespenbussard den Waldspaziergang zum unvergesslichen Naturerlebnis geraten lassen. Bäume, die Spechten eine Heimstatt geben und in deren Höhlen Nachmieter wie Haselmäuse, Siebenschläfer oder Fledermäuse ihre Jungen großziehen können. Und die sogar nach ihrem Umfallen noch ein attraktives Baumhöhlen-Quartier für die scheue Wildkatze bieten.

Der NABU fordert, die Ernte reifer Bäume über einige Jahrzehnte zu strecken, um möglichst lange den Charakter alter Wälder zu erhalten und einige Bäume stämmig werden zu lassen. Erreichen ließe sich dies durch eine Vorgabe, innerhalb von zehn Jahren nur maximal 30 Prozent des Holzvorrates zu ernten - so, wie es im Staatswald von Baden-Württemberg bereits praktiziert werde. Nur auf diese Weise ließe sich die Umwandlung von Altersklassen- hin zu Dauerwäldern realisieren, die das Land Hessen in seiner Richtlinie für die Bewirtschaftung des Staatswaldes (RiBeS) eigentlich anstrebe. Es gelte, auch bei der Vermarktung das Besondere an alten Bäumen herauszustellen: Nur in alten Bäumen bilde sich das rötliche und grobgemaserte Kernbuchenholz heraus, das Möbeln ein besonderes Ambiente verleihe. Bisher setzten Sägewerke allerdings fast ausschließlich auf junges helles Buchenholz und drängten darauf, Buchen schon möglichst früh zu fällen. "Das Land sollte eine effektive Vermarktungsstrategie für Kernbuchenholz entwickeln", so Harthun.

Bei der Anzahl von naturschutzfachlich wertvollen Altbäumen sieht der NABU einen enormen Nachholbedarf. In FSC-zertifizierten Wäldern müssen mindestens zehn "Habitatbäume" pro Hektar ausgewiesen werden. "Habitatbäume" sind gekennzeichnete Bäume, die uralt werden dürfen und damit vielen seltenen Tier- und Pilzarten einen Unterschlupf bieten. "Bislang sieht Hessen-Forst in einer Naturschutzleitlinie nur 0,5 solcher Bäume pro Hektar vor", so Harthun. Ein großer Schritt zur Verbesserung des Wald-Naturschutzes sei zudem die Vorgabe des Öko-Siegels, Naturwaldflächen mit einer Mindestgröße von jeweils 100 Hektar einzurichten. Zwar habe das Land im letzten Jahr rund 3.000 nutzungsfreier "Kernflächen" benannt, davon seien jedoch mehr als die Hälfte gerade mal zwei bis drei Fußballfelder groß. "Mit solchen kaum sichtbaren Kleinstflächen ist effektiver Naturschutz nicht zu machen", erklärt Harthun.

Großen Nachholbedarf sieht der NABU auch beim Management der laut FSC-Regeln "besonders schützenswerten Wälder", insbesondere der Europäischen Schutzgebiete NATURA 2000. Hier gebe es meist noch nicht einmal Aktionspläne. Und wenn, dann richteten sich solche Pläne primär nach den forstlichen Bewirtschaftungszielen und nicht nach dem Schutz der biologischen Vielfalt, so Harthun. So gehe die Naturschutzleitlinie von Hessen-Forst einfach davon aus, dass innerhalb und außerhalb der NATURA 2000-Gebiete die gleichen Naturschutz-Standards gültig seien. "Damit wird der europäische Naturschutz im Wald ad absurdum geführt", so Harthun.

Der NABU fordert vom Land eine "Charme-Offensive" für die FSC-Zertifizierung. In den letzten Jahren hätten zahlreiche Städte und Gemeinden beim NABU um Rat gefragt, wie sie ihren Kommunalwald ökologisch zertifizieren lassen könnten. Das Land müsse die Kommunen künftig besser beraten und zu einer Beteiligung an einer FSC-Gruppenzertifizierung ermuntern. Auch müssten ehrenamtlicher Bürger bei den forstlichen Planungen stärker eingebunden werden. In Hessen werden derzeit die staatlichen Forstämter Burgwald, Hanau-Wolfgang, Herborn, Langen, Nidda, Schlüchtern, Weilburg, Weilmünster und Wettenberg nach den Richtlinien des FSC zertifiziert.

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Quelle:
Pressemitteilung Nr. 56, 15.12.2014
Herausgeber: Naturschutzbund Deutschland e.V.
NABU Hessen
Friedenstraße 26, 35578 Wetzlar
Tel. 06441/67904-0, Fax 06441/67904-29
E-Mail: Info@NABU-Hessen.de
Internet: www.NABU-Hessen.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Dezember 2014