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TRADITIONELL/006: Parmäne und Brunsil - Die Streuobstsorten des Jahres (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 206 - Oktober / November 2018
Die Berliner Umweltzeitung

Parmäne und Brunsil
Die Streuobstsorten des Jahres: Kleiner regionaler Überblick

von Jörg Parsiegla


Obstwiesen sind Lebensraum für viele Pflanzen- und Tierarten, denn sie weisen eine große Sorten- und Artenvielfalt auf. Der hohe ökologische Wert basiert auf robusten und wenig pflegebedürftigen Sorten, die auch als Genreservoir zu sehen sind. Um die Bekanntheit dieser Sorten zu steigern und auf ihren unschätzbaren Wert aufmerksam zu machen, küren einige Landesverbände für Obstbau und Garten oder oft auch die Pomologen-Vereine der Länder seit etwa zwei Jahrzehnten die "Streuobstsorten des Jahres". Das sind häufig alte, fast schon vergessene Sorten von Äpfeln, mitunter auch Birnen, Pflaumen oder Kirschen. Selten schaffen es Quitten- oder Aprikosenarten auf die Siegerliste.

Knausbirne

Trotz nicht eindeutig geklärter Herkunft - vermutet wird eine württembergische Abstammung - vergab der Landesverband für Obstbau, Garten und Landschaft Baden-Württemberg den Titel Streuobstsorte 2018 an die selten gewordene Knausbirne. Im 19. Jahrhundert trug die Birnensorte wesentlich zum Aufschwung des Obstbaus in der Region bei. In der Schweiz als Frühe Weinbirne bekannt, soll sie im oberen Thurgau bereits seit etwa 300 Jahren kultiviert werden.

Bei starkem, aufrechtem Wuchs stellt der Baum nur sehr geringe Ansprüche an den Standort. Reifezeit ist Mitte bis Ende September. Die Sorte ist sehr fruchtbar, die Frucht selbst hält sich jedoch nur wenige Tage. Das Fruchtfleisch ist gelblich-weiß, saftig und schwach herbsüß im Geschmack. Es eignet sich besonders für die Herstellung von Trockenobst, fand aber früher wohl auch Verwendung zur Obstweinbereitung, wie die Umgangsnamen Weinbirne oder auch Fassfüller vermuten lassen.

Ruhm aus Kelsterbach

Der Ruhm aus Kelsterbach reift im Oktober und hängt lange am Baum, die Genussreife beginnt im Dezember und reicht bis März und länger. Der Ertrag ist hoch und regelmäßig. Das weißliche Fruchtfleisch ist saftig, anfangs mit kräftiger Säure, leicht gewürzt und aromatisch. Aus den Früchten lässt sich ein guter sortenreiner Saft oder Apfelwein erzeugen. Die mittelgroßen Früchte sind überwiegend von einer leuchtend hellroten Deckfarbe überzogen und mit zahlreichen rostartigen Schalenpunkten versehen. Daher kommt es manchmal zur Verwechslung mit der Roten Sternrenette.

Offiziell als Hessische Lokalsorte 2018 gekürt, lässt sich die Apfelsorte nach Kelsterbach westlich von Frankfurt am Main zurückverfolgen - sie soll dort um 1900 auf dem Gelände einer ehemaligen Ziegelei gestanden haben. Nach ihrer Vermehrung und gezielter Zucht eilte der Sorte bald der Ruf als guter Tafel- und Wirtschaftsapfel voraus.

An Boden und Klima stellt sie keine hohen Ansprüche. Die Sorte ist robust und widerstandsfähig, besonders gegen Apfelschorf. Die Bäume werden recht groß und häufig neigt sich der Stamm zur Seite.

Roter Brasil

Der Rote oder auch Große Brasilienapfel ist eine historische Apfelsorte, die vor allem in Mecklenburg verbreitet war. Sein Name geht auf den Brasilholz-Baum aus der Familie der Johannisbrotgewächse zurück. Einst wurde aus ihm ein kostbarer roter Farbstoff gewonnen, dessen Ton angeblich die Färbung des Apfels trifft.

Fast alle Quellen führen den Pastor und Pomologen Samuel David Ludwig Henne an, der die Sorte um das Jahr 1750 erstmals beschrieben haben soll. In den letzten 100 Jahren als verschollen geführt, blieb die Apfelsorte im deutsch-deutschen Grenzstreifen jedoch präsent. Nach der Wende wiederentdeckt, wird die Sorte mittlerweile im Landkreis Lüneburg wieder angebaut. Vereinzelt stehende Bäume in Mecklenburg-Vorpommern sind als "Königsapfel" bekannt.

Die Apfelsorte wird als extrem robust beschrieben, sie soll selbst mehrwöchige Überflutungen der Elbtalaue überstehen. Mitte September bis Mitte Oktober sind die mittelgroßen, weinsauer schmeckenden Äpfel pflückreif, sie halten sich bis Weihnachten. Bis zu seinem Verschwinden von der Bildfläche gab es einen schönen Brauch um den Apfel: Die mundartlich (platt) auch "Brunsiel" oder "Brunsilienappel" genannte Frucht war traditioneller Schmuck auf Hochzeitstafeln.

Nancy-Mirabelle

Der Verband der Gartenbauvereine Saarland/Rheinland-Pfalz hat sich für die Mirabelle aus Nancy als Streuobstsorte des Jahres entschieden. Im Spätmittelalter zuerst in Frankreich beschrieben, ist die Pflaumensorte seit Mitte des 18. Jahrhunderts auch in Deutschland bekannt. Benannt wurde sie nach der lothringischen Stadt Nancy. Dort und in angrenzenden Gebieten werden bis heute Mirabellen-Feste gefeiert.

Der Baum bevorzugt nährstoffreiche und durchlässige Böden in geschützter Lage, hier wächst er stark und bildet breitkugelige Kronen. Allerdings ist das Holz der Bäume empfindlich gegen harten Frost, auch nasskaltes Blühwetter kann Probleme bereiten. Geht alles gut, sind die Erträge hoch. Doch neigt die Sorte zu Alternanz - nach überreichem Behang ist im Folgejahr nur mit einer geringen Ernte zu rechnen.

Die leuchtend gelbe Mirabelle ist vielseitig verwendbar. Zur Erntezeit Ende August schmeckt ihr Fruchtfleisch süß und sehr aromatisch. Sie ist daher ausgezeichnet zum frischen Verzehr, aber auch für Kuchen, Konfitüre, Gelee und zum Einmachen geeignet. Auch Liebhaber von guten Obstbränden schätzen sie sehr.

Maibiers Parmäne

Die Apfelsorte Maibiers Parmäne geht auf einen Zufallsfund um 1860 bei Dresden zurück. Sie wurde nach dem Dresdener Handelsgärtner Maibier benannt, dessen Familie den Fund öffentlich machte und die Art verbreitete. Die erste Beschreibung der Sorte erfolgte schon wenig später durch den sächsischen Beamten und Pomologen Gustav von Flotow. Die Sorte gilt als robust und wenig anspruchsvoll. Bei ausreichender Feuchtigkeit stellt sie keine besonderen Ansprüche an den Boden.

Die Bäume bilden breitkugelige Kronen aus und tragen gut und regelmäßig. Die blassgelbe, auf der Sonnenseite schwach gerötete Parmäne eignet sich aufgrund ihres süßsäuerlichen Geschmacks hervorragend als Tafelapfel, kann aber auch verarbeitet werden. Die Früchte reifen erst ab Oktober und sollten bis Jahresende verbraucht sein.

Blick über den Früchtetellerrand

Die "Österreichische Arbeitsgemeinschaft zur Förderung des Streuobstbaus und zur Erhaltung obstgenetischer Ressourcen" (Arge Streuobst) legt im Nachbarland ebenfalls eine "Streuobstsorte des Jahres" fest. In diesem Jahr machte der Salzburger Rosenstreifling das Rennen - ein historisch gut bekannter, aber in Vergessenheit geratener dunkelroter Herbstapfel.

In der Schweiz hingegen ist es die "Vereinigung zur Förderung alter Obstsorten", kurz Fructus, die seit 2008 die Obstsorte des Jahres kürt. Für das laufende Jahr entschied man sich für die Hauszwetschge - ja genau: die, die für den Pflaumenkuchen verwendet wird und die gedörrt als Backpflaume bekannt ist.

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Quelle:
DER RABE RALF
29. Jahrgang, Nr. 206, Seite 10
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 8, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
Redaktion DER RABE RALF:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. November 2018

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