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MASSNAHMEN/124: Mensch und Fluß - Chance zur Wiedergutmachung (BUNDmagazin)


BUNDmagazin - 2/2009
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland - BUND
Friends of the Earth Germany

Mensch und Fluss
Chance zur Wiedergutmachung

Von Ernst Paul Dörfler


Wie nutzen wir unsere Flüsse und Auen? Wo verletzen wir das Gebot der Nachhaltigkeit bis heute? Und warum sind wir auf intakte Flusslandschaften angewiesen?

Die Flüsse sind unsere Schwestern und Brüder, so sinngemäß die weisen Worte der Indianer. Warum sind sie das? "Sie stillen unseren Durst", heißt es beim Häuptling Seattle 1877 in einem Brief an den Präsidenten der Vereinigten Staaten. Auch für das Leben in Mitteleuropa spielen Flüsse seit jeher eine zentrale Rolle, selbst wenn es nicht jedem Menschen bewusst ist. Es gibt kaum einen größeren Ort, der nicht an einem Fließgewässer liegt. Über Jahrhunderte ging man zum Bach oder Fluss, um sich zu erfrischen, um zu trinken, zu baden, zu waschen...

Im und am Fluss fand man Fische und Vögel. Seine mal flachen, mal steilen Ufer säumten Bäume und Sträucher. Die saftigen Gräser und duftenden Kräuter ernährten Schafe und Ziegen, Kühe und Pferde. Das Heu der Auen galt als das beste. Jahrhundertelang wurden auch Schweine in den Auen gehütet und gemästet - mit Eicheln und anderen Baumfrüchten.

Doch mit dem Beginn der Industrialisierung vor über hundert Jahren wurde alles anders. Bäche und Flüsse dienten nun vor allem als Kloake, um den Abfall und das Abwasser der Industrie aufzunehmen und scheinbar gratis zu entsorgen. Flüsse wurden zu Wasserstraßen umfunktioniert, begradigt, eingeengt, aufgestaut und kanalisiert. Und das war das Ende für die Flussfischerei, für das Trinken, Erfrischen und Baden im Fluss. Von nun an führten die Flüsse ein Schattendasein. Wer an ihrem Ufer lebte, wandte sich ab und rümpfte die Nase. Die grünen Auen wurden trockengelegt, in Ackerland umgewandelt oder zu Baugrund für Wohn- und Gewerbegebiete oder Industrieanlagen.

Viele Menschen leben und arbeiten heute in ehemaligen Auen, ohne es zu wissen. Oft verraten es nur noch die Ortsnamen, die auf -au enden.


Wertewandel

Gegen Ende des 20. Jahrhunderts begann ein Wertewandel im Umgang mit unseren Flüssen. Die Menschen begannen wieder zu begreifen, was Flüsse sind oder sein könnten - ihre Schwestern und Brüder. Zuerst ging man gegen die Verschmutzung und Vergiftung an, bis man feststellte: Sauberes Wasser allein genügt nicht! Fehlen die flusstypischen Lebensräume, so bleiben auch viele Pflanzen und Tiere verschwunden. Lachs und Stör, Fischotter und Biber benötigen zum Überleben möglichst naturnahe und dynamische Flüsse mit weichen, unverbauten Ufern. Doch nicht nur ihrer Pflanzen und Tiere wegen engagiert sich der BUND seit Jahrzehnten für die Flüsse. Auch für uns Menschen sind sie attraktiv, ja lebenswichtig.

So basiert die Trinkwasserversorgung vielerorts auf Flusswasser. Millionen Menschen an Rhein und Elbe beziehen ihr Trinkwasser aus den Kiesschichten der Flussauen, dem "Uferfiltrat". Schadstoffe jeder Art sind hierbei höchst unerwünscht.


Rückkehr der Flussfischerei?

Nach und nach erwacht die Flussfischerei wieder zum Leben. Zwar sind fast alle einst heimischen Arten wieder in unsere Flüsse zurückgekehrt Doch es fehlen die Fischmengen, mit denen die Flüsse noch vor hundert Jahren gesegnet waren. Der früher sagenhafte Überfluss von Lachsen und Maifischen ist nur noch in alten Chroniken lebendig. Denn es mangelt an geeigneten Lebensräumen, an breiten und flach auslaufenden Kiesbänken, an ruhigen Buchten und Flachwasserzonen, an steilen Uferabbrüchen, tiefen Kolken und Sturzbäumen im Wasser.

Erst wenn wir diese Dynamik zulassen, können die Flussfische wieder in stattlicher Zahl heranwachsen - vorausgesetzt, dass Wasserkraftwerke dem keinen Strich durch die Rechnung machen.


Janusköpfige Wasserkraft

Die Stromerzeugung aus Wasserkraft zählt zu den erneuerbaren Energien. Doch konfliktfrei ist sie nicht. Denn wo früher ein Mühlenrädchen gemächlich lief und umweltfreundlich Energie gewann, sprechen Turbinen und hohe Staumauern heute das Todesurteil für Fische - und Auwälder. Selbst wenn eine Fischtreppe den Aufstieg wandernder Arten ermöglicht - der Abstieg durch die Turbinen führt oft zu Fischhäcksel oder zumindest zu inneren Verletzungen, die schleichend den Tod bringen.

An die Stelle der Verschmutzung, die einst die Wanderfische ausrottete, ist heute der technische Verbau unserer Flüsse getreten. Deshalb sollten Querbauwerke und Dämme aus ökologischen Gründen rückgebaut werden. Wie in Frankreich, wo man nicht nur Käse, sondern auch Lachse liebt: Eine starke Angler-Lobby hat hier an Loire und Allier neue Staudämme verhindert und alte Dämme gesprengt. Mindestens aber gilt es die Flüsse für Wanderfische durchgängig zu machen, für aufsteigende wie auch absteigende Arten. Die Europäische Wasserrahmenrichtlinie hat uns die Erfüllung dieser Aufgabe bis 2015 übertragen.


Flüsse statt Wasserstraßen

Neben der Wasserkraft ist auch der Bau von Wasserstraßen in höchstem Maße strittig. Das gilt vor allem dann, wenn Flüsse begradigt, eingeschnürt, vertieft und kanalisiert werden, um sie schiffbar zu machen. Denn dadurch verlieren sie ihren dynamischen, lebendigen Charakter. Lange Zeit wurde die Schifffahrt danach ausgerichtet, was die Flüsse von Natur aus boten. Man fuhr, wenn man fahren konnte, und das oft mit nur geringer Ladung. Doch die Zeiten haben sich geändert. Ein Verkehrsträger mit vielen Ausfallzeiten durch Niedrigwasser, Hochwasser und Eis und ohne Planbarkeit und Verlässlichkeit ist im Zeitalter des "just in time" völlig out. Das betrifft vor allem die Niedrigwasserflüsse Elbe, Saale und Oder. Die Güterschifffahrt kehrt diesen Flüssen "den Rücken zu", wie das Bundesamt für Güterverkehr 2007 feststellte. Selbst die Häfen wählen die Schiene als zuverlässige und energiesparende Transportalternative. Dieser Trend ist die Chance für eine Wiedergutmachung an unseren Flüssen, für eine Renaturierung der Lebensadern.


Landwirtschaft - nur ökologisch

Die Auen der Flüsse und Bäche sind fruchtbar. Die Natur lässt hier üppige Auwälder auf Böden gedeihen, denen es weder an Nährstoffen noch Wässer mangelt. Doch diese Wälder hat der Mensch weitestgehend beseitigt. Zunächst wurden die Wiesen und Weiden - sofern nicht extra gedüngt - naturnah genutzt. Nach der Errichtung von Deichen breitete sich der Ackerbau aus - mit allen Vor- und Nachteilen: Hohen Erträgen stehen der Verlust natürlicher Überschwemmungsflächen, die Überdüngung und Zerstörung von Lebensräumen entgegen. Der BUND fordert, die Landwirtschaft gerade in den Auen auf ökologische, nachhaltige Füße zu stellen.


Auen nicht verbauen

Die Natur hat vorgesorgt: Für den Fall, dass sehr viel Wasser gleichzeitig zu Tal strömt, hat sie die Auen "erfunden". Der Fluss ufert aus, wird um ein Vielfaches breiter und durchströmt die Auen. Weiden und Erlen bremsen die Strömungsgeschwindigkeit, der Boden saugt sich voll und speichert das Nass für trockene Zeiten. Eben diese Auen - in vielen Volksliedern besungen - hat der Mensch den Flüssen zu über 80 Prozent geraubt. Der Deichbau aber schützt nicht nur vor Hochwasser, er sorgt auch für steigende Pegelstände. Ein kläglicher Rest der Auen ist den Fluten geblieben. Eng ist es um unsere Flüsse geworden. Was also tun?

Der BUND plädiert dafür, ehemalige Auen - wo immer möglich - dem Fluss freiwillig zurückzugeben. Tun wir es nicht, nimmt sich vielleicht der Fluss wieder, was ihm einst gehörte - gegen unseren Willen.


Wachstum ja: beim Flusstourismus

Unsere Flüsse ziehen wieder Menschen an. Sie kommen, um sich zu erholen, um ihren Wissensdurst und ihre Entdeckerlust zu stillen. Einem Fluss kann man sich ganz unterschiedlich nähern: zu Fuß, mit dem Fahrrad, mit Kanu, Schlauchboot oder Personenschiff. Die meisten Menschen zieht der Vater Rhein an. Auch Donau, Weser und Main haben eine ausgebaute touristische Infrastruktur. Doch allmählich erwächst ihnen Konkurrenz im Osten. So wurde der Elbe-Radweg schon zum fünften Mal in Folge zu Deutschlands beliebtestem Fernradweg gewählt. Hier ist noch ursprüngliche, weite und stille Natur spürbar, mit vielen Tieren, die andernorts längst verschollen sind. So ziehen über Elbe und Oder Störche und Kraniche, Adler und Milane ihre Kreise. Biber und Otter haben vielfach ihre Spuren hinterlassen, der Gesang von Wachtelkönig und seltenen Grasmücken erfüllt die Luft.

Der Flusstourismus ist eine Wachstumsbranche. Statt auf Fernreisen suchen wir das Glück wieder mehr in der Nähe - was nicht nur Kosten spart, sondern auch das Klima schont. Besonders Flüsse laden zum aktiven Erholen ein. Der Boom ist beeindruckend: So hat sich die Zahl der Fahrradtouristen entlang der Elbe in nur zwei Jahren verdoppelt, ungezählte Arbeitsplätze in der Gastronomie und Hotellerie sind so entstanden. Über 80 Millionen Euro lassen die Fahrradtouristen jedes Jahr alleine hier zurück.


Treiben lassen

Schließlich werden unsere Flüsse auch als Badegewässer wiederentdeckt. Es ist ein unvergleichliches Gefühl, sich einem Strom hinzugeben. Schon 1999 organisierte der BUND einen ersten Elbebadetag. Inzwischen ist er den ganzen Fluss entlang zur jährlichen Tradition geworden. Mehr noch: Der Funke ist inzwischen auch auf andere europäische Flüsse übergesprungen.

Flüsse beschenken uns mannigfach mit Lebensglück. Sie verdienen unsere Zuwendung und benötigen anhaltendes Engagement. Der BUND lädt alle FlussfreundInnen dazu ein, sich für lebendige Flüsse einzusetzen - einige unserer Flussprojekte präsentieren wir auf der folgenden Doppelseite.

Ernst Paul Dörfler

...leitet das Elbeprojekt des BUND (www.elbe-insel.de, www.elbe-saale-kanal-nein.de) - und hat kürzlich einen schönen Bildband über die "Liebe der Vögel" publiziert. Sie erhalten ihn für 19,90 Euro im BUNDladen, Tel. 030/27586-480, Fax -466, bundladen@bund.net


Der BUND Informiert
• Faltblatt "Binnenschiffahrt auf lebendigen Flüssen", 6 Seiten, Bestell-Nr. 55.007 K
• Broschüre "Natur schützen - Flüsse bewahren"; 18 Seiten, Bestell-Nr. 40.009
• Broschüre "Europas Gewässer am Scheideweg", 16 Selten, Bestell-Nr. 55.049 K
• Position "Wasserkraftnutzung unter der Prämisse eines ökologischen Fließgewässerschutzes", 10 Seiten, Bestell-Nr. 11.037
• Hintergrund "Hormonaktive Substanzen im Wasser. Gefahr für Gewässer und Mensch" (nur als pdf)
• Hintergrund "Grundwasser - guter Zustand bis 2015!", 40 Seiten, Bestell-Nr. 45.086

Bezug gratis (gegen Portokosten) beim BUND-Versand,
Tel. 030/27586-480, bundladen@bund.net;
Download der pdf-Dateien unter www.bund.net/wasser


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Quelle:
BUNDmagazin 2/2009
Herausgeber:
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND)
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Das BUNDmagazin ist die Mitgliederzeitschrift
des BUND und erscheint viermal im Jahr


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Juli 2009