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MASSNAHMEN/223: "Guter Zustand" trotz fehlender Durchgängigkeit? (BBU WASSER-RUNDBRIEF)


BBU-WASSER-RUNDBRIEF Nr. 1067 vom 25. Juli 2015 34. Jahrgang

regioWASSER e.V. - Freiburger Arbeitskreis Wasser im Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V. (BBU)

»Guter Zustand« trotz fehlender Durchgängigkeit?


Mehr und mehr erweist sich das Fischbewertungssystem (Fibs) als Achillesferse bei der Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie. Nach dem Fischbewertungssystem wird geprüft, ob sich der Bestand von Fischen in einem "Wasserkörper" (also in einem Flussabschnitt) im guten Zustand befindet. Wird mit Hilfe des Fischbewertungsystems nachgewiesen, dass der Bestand an Fischen dem sogenannten Referenzzustand entspricht, kann man einen Haken an den guten Zustand machen. Weitere Maßnahmen - beispielsweise zur Schaffung der Durchgängigkeit - sind dann nicht mehr notwendig. Das Problem: Die Langdistanzwanderfische - dazu gehören beispielsweise der Lachs, die Meerforelle und das Meerneunauge - fallen durch das statistische Raster der Fischbewertungsysteme. Das kann dazu führen, dass formal der gute ökologische Zustand in einem Wasserkörper bereits als erreicht gilt, auch wenn die Langdistanzwanderfische den Wasserkörper noch gar nicht erreichen können - weil dem Aufstiegswillen von Lachs&Co. beispielsweise noch unüberwindliche Wehranlagen im Wege stehen. Auch wenn lt. Referenzzustand die Langdistanzwanderfische in der Vergangenheit zum Arteninventar des betreffenden Wasserkörpers gezählt haben, kann man zumindest vorläufig darauf verzichten, beispielsweise dem Lachs und anderen Großsalmoniden durch den Bau von Fischtreppen den Zugang zum betreffenden Wasserkörper zu öffnen - denn der »gute ökologische Zustand« gilt ja lt. Fischbewertungssystem bereits als erreicht.

Wie der Lachs im Ausflugsdampfer nach Basel kommt

Die Lücken in den Fischbewertungssystemen führen dazu, dass an Grenzflüssen überraschende Bewertungsunterschiede entstehen können: Beispielsweise stuft die französische Wasserwirtschaftsverwaltung die Wasserkörper am südlichen Oberrhein bereits als im »guten Zustand« befindlich ein - während die gleichen Wasserkörper von der baden-württembergischen Wasserwirtschaftsverwaltung als nicht im »guten Zustand« befindlich erachtet werden. Während Deutschland und die Schweiz darauf drängen, dass mindestens drei weitere Staustufen der EdF möglichst rasch mit Fischtreppen ausgestattet werden, sieht man auf Seiten der EdF und der französischen Wasserwirtschaftsverwaltung keinen Grund zur Eile. Auch der Beschluss der Internationalen Rheinministerkonferenz vom 28.10.2013 (s. 1019/4) ist für die EdF und Frankreich kein hinreichender Anlass, subito im Oberrhein die ökologische Durchgängigkeit zu realisieren. Die Rheinminister hatten 2013 in Basel beschlossen, dass der Lachs (als Synonym für die anderen Langdistanzwanderfische) "bis 2020" wieder Basel erreichen müsse. Frankreich sieht in dem Zieldatum 2020 keinen zwingende Notwendigkeit, die sich aus der Wasserrahmenrichtlinie ableiten ließe. Dem Lachs bis 2020 den Weg bis Basel wieder freizumachen, sei ein freiwilliges Zugeständnis. Dazu bedürfe es nicht des durchgehenden Baus von Fischtreppen! Dem Ministerbeschluss würde es vorerst auch entsprechen, über einen "mobilen Fischpass" den Wanderfischen den Weg nach Basel zu öffnen. Dazu sollen die aufwärts strebenden Wanderfische an der Staustufe Rhinau abgefangen, in Transportschiffe umgesetzt und dann rheinaufwärts speditiert werden. Die französische Wasserwirtschaftsverwaltung macht geltend, dass die WRRL die Durchgängigkeit nicht als eigenständiges Ziel beinhaltet. Nach Anhang V der Richtlinie gilt die Schaffung der Durchgängigkeit nur als unterstützende Maßnahme, um den guten Zustand zu erreichen. Da nach französischer Rechtsauffassung der gute Zustand am französischen Rheinabschnitt - trotz der dortigen zehn Staustufen - als erreicht gilt, braucht man sich beim Bau der millionenteuren Fischtreppen nicht unbedingt zu überschlagen.

... wenn der Lachs-Tanker nicht im Elz-Dreisam-System ankommt

Komplex wird die unterschiedliche Positionierung in Frankreich und in Deutschland deswegen, weil die Schwarzwaldflüsse, die in den Oberrhein münden, als "Lachsprogrammgewässer" ausgewiesen sind. Damit sich der Lachs beispielsweise im Elz-Dreisam-System wieder etablieren kann, braucht es die ökologische Durchgängigkeit auch in dem Rheinabschnitt, in den Elz und Dreisam (via Leopoldskanal) münden. Wenn die EdF den Bau von Fischtreppen im entsprechenden Rheinwasserkörper gemächlich angehen lässt, kann der »gute ökologische Zustand« im Elz-Dreisam-System bis 2027 schwerlich und bis 2021 gar nicht erreicht werden. Baden-Württemberg verweist darauf, dass man in die Durchgängigmachung der Schwarzwaldflüsse inzwischen zweistellige Millionenbeträge investiert habe, um dem Lachs die Rückkehr in seine angestammten Laichgewässer im Schwarzwald zu ermöglichen. Diese Mittel sind in den Sand gesetzt, wenn die EdF den Bau von Fischtreppen am südlichen Oberrhein erst mal auf die lange Bank schiebt. In Baden-Württemberg kann man auch nicht so richtig einsehen, dass der von der EdF vorgesehene Lachstransport via »Ausflugsdampfer« den ökologischen Zielsetzungen der WRRL entspricht. Der Transfer von Langdistanzwanderfischen mit Tankschiffen sei zwar eine technisch interessante und kosteneffiziente Maßnahme, könne aber keinesfalls die Schaffung der ökologischen Durchgängigkeit ersetzen, auf die man beispielsweise im Elz-Dreisam-System essenziell angewiesen sei.

Wo liegt der Fehler im Fischbewertungssystem?

Das Fischbewertungssystem (Fibs) weist nicht nur in der französischen Variante, sondern auch in der deutschen Variante Defizite auf. In beiden Systemen werden die Fischarten mit ähnlichen Habitatansprüchen und ähnlicher Lebensweise zu "Gilden" zusammengefasst. Kommen beispielsweise Neunaugen als Vertreter der Langdistanzwanderfische in größerer Stückzahl vor, kann dies nach der Systematik der Fischbewertungssysteme dazu führen, dass der »gute ökologische Zustand« bereits als erreicht gilt - auch wenn sich der Lachs (mangels Durchgängigkeit) im betreffenden Wasserkörper noch nicht etablieren konnte. Hinzu kommt, dass der Lachs und die Meerforelle ohnehin nur deutlich unterrepräsentiert in die Fibs-Bewertung eingehen. Lachs & Co. fallen damit durch das statistische Raster der Fischbewertungssysteme. Das hat in Deutschland zu Problemen bei der Bewertung des Zustandes der Lachsprogrammgewässer geführt - beispielsweise bei den Schwarzwaldflüssen. Diese Bewertungsdefizite sollen jetzt sukzessive abgebaut werden.

Ergebnisse aus der Fischbewertung noch ohne "Interkalibrierung"

Ferner ist festzuhalten, dass es jedem EU-Mitgliedsstaat freigestellt ist, seine eigenen Methoden zur Erfassung des Gewässerzustandes zu nutzen. Eine EU-weite Harmonisierung der Methoden ist durch die WRRL nicht zwingend vorgesehen. Insofern kann jedes EU-Land sein eigenes Fischbewertungssystem nutzen - was allerdings den oben gezeigten Nachteil mit sich bringt, dass am gleichen Grenzwasserkörper unterschiedliche Ergebnisse produziert werden. Um diesem Missstand abzuhelfen, hat man das Verfahren der "Interkalibrierung" entwickelt. Damit sollen zwar nicht die Methoden, aber immerhin die Ergebnisse vergleichbar gemacht werden. Für die Ergebnisse, die aus den national unterschiedlichen Fischbewertungssystemen resultieren, hat man jedoch die Interkalibrierung noch nicht durchgeführt. Im Bundesumweltministerium und in der Internationalen Rheinschutzkommission hegt man jedoch die Hoffnung, dass zumindest bis zur 3. WRRL-Bewirtschaftungsperiode von 2021 bis 2027 das Verfahren zur Interkalibrierung vorliegen wird - und dass zudem die Fischbewertungssysteme sich bis dahin annähern könnten. Dass der gleiche Grenzwasserkörper mit einem unterschiedlichen Gütezustand ausgewiesen wird, sollte dann der Vergangenheit angehören.

Die Ungereimtheiten im Fischbewertungssystem ...

... waren bereits im Gerichtsverfahren zur strittigen Kühlwassernutzung des Kohlekraftwerkes Moorburg (s. RUNDBR. 955/1-2) bei Hamburg zur Sprache gekommen. Im Urteil des Oberverwaltungsgerichts Hamburg vom 18.01.2013, 5 E 11/08, heißt es in der Randnummer 233 wörtlich:

"Die Beklagte und die Beigeladene verneinen eine Verschlechterung unter Hinweis auf die gutachterliche Stellungnahme des Instituts ... (Dr. Sch.), in der dargelegt wird, dass sich etwaige Fischverluste nach dem in Deutschland im Rahmen eines Verbundprojekts des Bundesministeriums für Bildung und Forschung entwickelten Fischbewertungssystem fiBS rechnerisch nicht auf die Fischfauna auswirken würden, selbst wenn sie die zu erwartenden Verluste deutlich überstiegen. In der Stellungnahme heißt es (S. 34 f., Bd. XIII, Bl. 2620 f.), selbst wenn sämtliche in der Süderelbe vorkommenden Fischeier, Fischlarven und Jungfische in die Kühlwasserentnahme gerieten und dort getötet würden, würde sich der Zustand der Fischfauna im OWK [Oberflächenwasserkörper] Hafen nicht verschlechtern, sondern rechnerisch sogar verbessern. Allerdings wird in der Stellungnahme selbst bereits darauf hingewiesen, dass dieses Ergebnis wenig plausibel erscheint und nur darauf zurückzuführen ist, dass sich dadurch die Mengenverhältnisse der Arten zueinander verändern würden. In der mündlichen Verhandlung wurde darauf hingewiesen, dass es sich bei dem fiBS um ein "träges" System handele, das erst auf massivere Änderungen des Fischbestandes reagiere. Außerdem hat der Kläger zutreffend darauf hingewiesen, dass es in anderen Zusammenhängen bereits zu Korrekturen nicht plausibler Rechenergebnisse des fiBS gekommen sei. Es spricht deshalb einiges dafür, dass die Ergebnisse dieses Systems, das für die Einstufung von Gewässern geschaffen worden ist, nicht ohne weiteres für die Beurteilung von Verschlechterungswirkungen in Bezug auf die Fischfauna herangezogen werden dürfen, sondern einer Plausibilitätskontrolle unterzogen und ggfs. auch modifiziert werden müssen."


Das Urteil ist nachzulesen unter
http://www.landesrecht-hamburg.de/jportal/portal/page/bshaprod.psml?showdoccase=1&doc.id=MWRE130001591&st=ent

Mehr Infos zum Fischbewertungssystem:
wrrl.flussgebiete.nrw.de/Unterlagen/FIBS_Handreichungstext_2005.pdf

Mehr Infos zur Interkalibrierung:
http://www.interkalibrierung.de/mains/wrrl.htm#u_ref

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Quelle:
BBU-WASSER-RUNDBRIEF Nr. 1067
Herausgeber:
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© Freiburger Ak Wasser im BBU


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. September 2015

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