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SCHUTZGEBIET/707: Schwäbische Alb - Wie wird man zum Modell? (BUNDmagazin)


BUNDmagazin - 3/2011
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland - BUND
Friends of the Earth Germany

BIOSPHÄRE
Schwäbische Alb
Wie wird man zum Modell?

von Severin Zillich


Nach Jahrzehnten politischer Blockade erhielten die Baden-Württemberger 2009 endlich ihr erstes Großschutzgebiet. Mit Unterstützung des BUND entsteht derzeit 50 Kilometer südöstlich von Stuttgart das Biosphärengebiet Schwäbische Alb - ein Experiment mit ungewissem Ausgang.

Es ist Sommer im Brucktal, einer Kernzone der Biosphäre. Die Sonne glitzert durch die Kronen von Eschen und Ulmen, am Stamm eines Bergahorns prangt die seltene Lungenflechte. Alle paar Sekunden kreuzt ein Schmetterling unseren Weg. Ob Feuriger Perlmuttfalter, Großer Schillerfalter oder der Kleine Eisvogel, von dem gleich vier Exemplare zu unseren Füßen Mineralien aus dem feuchten Boden saugen: Die Tagfalter erweisen sich als prächtige Botschafter des biologischen Reichtums dieser Region.

Ganz anders zeigt sich die Alb, wenn wir vom Rand des ehemaligen Truppenübungsplatzes Münsingen in sein Zentrum vorstoßen. Weite trockene Wiesen dehnen sich hier auf einer Hochfläche bis zum Horizont, eingestreut liegen kleine Wäldchen und Felskuppen. Wo bis 2005 Panzer den Boden aufrissen, weiden heute etwa 30.000 Schafe. Über hundert Jahre trainierten deutsche, später alliierte Soldaten hier ihre Manöver. So blieb das Gelände nahe der »Metropolregion Stuttgart« von neuzeitlichen Segnungen wie dem ungebremsten Bau von Siedlungen, Straßen oder Gewerbegebieten verschont.

Als vor zehn Jahren erstmals ein Truppenabzug in Aussicht stand, reagierte ein örtlicher BUND-Aktiver am schnellsten. Günter Künkele, der in Sichtweite des Übungsplatzes aufwuchs, beantragte im März 2002 das 6.700 Hektar große Areal für den Naturschutz zu sichern. Mit Erfolg, bildet es heute doch das Herzstück des Biosphärengebietes Schwäbische Alb.


Naturschutz plus

Mit dem Übungsplatz konnte einer der letzten unzerschnittenen Großräume Südwestdeutschlands gerettet werden. Dieses Erbe gilt es nun umsichtig zu verwalten - zum Nutzen derer, die hier nach Stille und schöner Natur suchen; und zum Schutz der bedrohten Tiere und Pflanzen in diesem Refugium. Befremdlich muss es da wirken, dass die den Platz umgebende einstige Panzerringstraße derzeit Firmen wie Daimler oder Liebherr zum Test neuer Fahrzeuge vermietet wird.

Doch die eigentlichen Herausforderungen für die 85.000 Hektar große Biosphäre warten an anderer Stelle. Denn die Modellregion für nachhaltige Entwicklung (siehe Kasten) ist dicht besiedelt, ein mitunter industriell geprägter Ballungsraum. Vielschichtig sind daher die Interessen, die hier auf engem Raum abzustimmen sind, um dem anspruchsvollen Konzept mit intensiver Bürgerbeteiligung Leben einzuhauchen. Die Moderatorin dieses Prozesses ist Petra Bernert, seit über zwei Jahren Leiterin der Geschäftsstelle des Biosphärengebiets. Neben einer gewählten Steuerungsgruppe feilen neun Facharbeitskreise an einem Rahmenkonzept für die Region, das im Mai 2012 verabschiedet werden soll. Die Bürger sind auf vielerlei Weise eingebunden.

Partizipation soll auch langfristig gewährleistet sein. So gestalten ein Lenkungskreis und ein rund dreißigköpfiger Beirat die Geschicke des Gebietes mit. Die Umweltverbände haben ihre Vorstellungen im Detail formuliert. Sie sind jedoch im Lenkungskreis gar nicht, im Beirat bisher nur mit drei Stimmen vertreten: »Da muss sich was ändern«, findet auch Petra Bernert.

Noch dominieren in den Gremien kommunale Interessen, vorgetragen von der Phalanx der Bürgermeister. Erschwerend kommt hinzu, dass die kleine Geschäftsstelle bislang nur wenig Entscheidungsbefugnis hat. Die Kosten für das Biosphärengebiet teilen sich das Land und die Kommunen im Verhältnis 70:30. Und als Motto gilt auch hier: Wer zahlt, bestimmt...

Doch die Schwäbische Alb hat einen Entwicklungsauftrag. Als Modellregion braucht sie eine Verwaltung, die personell wie finanziell in der Lage ist, Überzeugungsarbeit zu leisten und Anreize zu setzen. Warum könnte es sich lohnen, die Felder der Alb künftig ökologisch zu bewirtschaften und die noch zahlreichen Streuobstwiesen weiter zu pflegen? Den Wald nachhaltig zu nutzen (FSC-Siegel !) und die bislang arg zerstückelte Kernzone besser zu verknüpfen? Auf den Bau neuer Straßen zu verzichten und stattdessen Radfahrer und den öffentlichen Verkehr zu fördern? Oder »Biosphärengastgeber« zu werden, wie bereits 21 Gastronomen und Hoteliers? Fragen über Fragen. Selbst wenn das Rahmenkonzept den komplexen Auftrag der jungen Biosphäre berücksichtigt: Ohne mehr Spielraum für die Geschäftsstelle wird seine Umsetzung kaum gelingen.


Langer Lernprozess

Schon Jahre vor Ausweisung der Biosphäre gab es auf der Schwäbischen Alb starke Initiativen für eine umweltgerechte Regionalentwicklung. Zudem ist keine Gemeinde gegen ihren Willen in das Schutzgebiet eingegliedert worden - was seine kuriose Form erklärt. Bei den 150.000 Einwohnern ist also mit einiger Akzeptanz zu rechnen. Doch richtig verankert ist das Bewusstsein, Teil einer Modellregion zu sein, offenbar noch nicht.

»Viel zu viele Leute hier wissen gar nicht, dass sie in einem Biosphärengebiet leben«, bedauert Günter Künkele. Der pensionierte Lehrer hat als Ergebnis seiner zahllosen Streifzüge mehrere Bildbände über die reizvolle Natur der Alb veröffentlicht.

Petra Bernert immerhin registriert gehäufte Anfragen, seit sie an der Außengrenze Begrüßungsschilder aufstellen ließ. Auch sie erwartet einen langjährigen Lernprozess, bis all die Chancen erkannt sind, die ein ambitioniertes Biosphärenreservat bietet.

Vorläufig prägen also Pioniere das Bild, Menschen wie Barbara Lupp vom BUND Neckar-Alb. Sie engagiert sich mit den anliegenden Kreisgruppen seit den ersten Tagen für das Schutzgebiet. Ein Ergebnis ist das »BUND-Aktionsprogramm Klimaschutz«: Bis 2040 soll sich die Biosphäre ganz mit erneuerbarer Energie versorgen. Nur ein Aspekt von vielen, doch abermals wird deutlich: Hier hat eine Region noch viel vor sich. Und: Der Einsatz könnte sich lohnen.


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Was sind Biosphärenreservate?

Vor genau 40 Jahren gründete die UNESCO das Umweltprogramm »Der Mensch und die Biosphäre«. Auf seiner Grundlage entstanden bis heute 580 Biosphärenreservate in 114 Ländern, fünfzehn davon in Deutschland. Ihr vorrangiges Ziel ist das harmonische Miteinander von Wirtschaft, Ökologie und Sozialem. Dazu Walter Hirche, Präsident der deutschen UNESCOKommission: »Für nachhaltige Entwicklung gibt es kein Patentrezept. An möglichst vielen Stellen unseres Planeten sind daher Räume für Experimente und für das Lernen nachhaltigen Wirtschaftens unter Realbedingungen gefragt. Diese Räume sind die Biosphärenreservate.« Die Schwäbische Alb nennt sich übrigens »B'gebiet«, um den Begriff »Reservat« zu vermeiden.


• BUND-Regionalverband Neckar-Alb, Barbara Lupp, Tel. (0 70 71) 94 38 85, www.bund-neckar-alb.de; im Angebot u.a.: Wanderausstellung über die Schwäbische Alb als Biosphärengebiet und Klimaschutzregion

• Biosphärenzentrum Schwäbische Alb im »Alten Lager«, mit neuer interaktiver Ausstellung; leider abgelegen, nur per Auto zu erreichen; 72525 Münsingen, Tel. (0 73 81) 93 29 38-31, www.biosphaerenzentrum-alb.de

• Lesetipps: 1) Günter Künkele: Naturerbe Biosphärengebiet Schwäbische Alb - Streifzüge durch eine außergewöhnliche Landschaft, 2008. 176 S., 22,90 EUR, Silberburg; 2) Biosphärenreservate sind mehr als Schutzgebiete - Wege in eine nachhaltige Zukunft, Deutscher Rat für Landespflege, Heft 83 (2010). 138 S., 5,50 EUR, Bezug als Heft oder PDF unter www.landespflege.de/schriften


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Angesichts der globalen Urbanisierung strebt die UNESCO an, mehr städtische Lebensräume zu Modellregionen für Nachhaltigkeit zu entwickeln - links der Kurort Bad Urach. Rechts der Blick über den einstigen Truppenübungsplatz bei Münsingen.

Kleiner Eisvogel (links), daneben die Pfingstnelke, eine gefährdete Felsenpflanze.


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Quelle:
BUNDmagazin 3/2011, S. 26-27
Herausgeber:
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND)
Friends of the Earth Germany
Am Köllnischen Park 1, 10179 Berlin
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Das BUNDmagazin ist die Mitgliederzeitschrift
des BUND und erscheint viermal im Jahr


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Oktober 2011