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SCHUTZGEBIET/884: Umtost von Verkehr - Grüne Insel gefährdet (BUND MAGAZIN)


BUND MAGAZIN - 3/2019
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland - BUND
Friends of the Earth Germany

Europäisches Schutzgebiet
Grüne Insel gefährdet

von Severin Zillich


Im Süden Frankfurts engagieren sich BUND-Aktive seit vielen Jahren für ein Schutzgebiet. Nun bangen sie um seine Zukunft.

Natur im Ballungsraum: Es zwitschert und flötet aus jedem zweiten Baum. Nachtigall und Gartenrotschwanz geben ein Konzert. Ein Neuntöter geht auf Heuschreckenjagd, Turmfalken rütteln, kurz fliegt sogar ein Steinkauz vorbei. Die vom BUND betreuten Streuobstwiesen zwischen Mörfelden und Walldorf sind ein Idyll - umtost vom Verkehr.

Wasser für die Oase
Die Nähe zur Großstadt ist unüberhörbar. Ein Geräuschteppich lastet dauerhaft über den zarten Klängen der Natur. Nur wenige Kilometer entfernt macht sich im Norden und Westen der größte deutsche Flughafen breit. Im Osten begrenzt eine viel befahrene Bahntrasse das Gebiet, dahinter liegen eine Bundesstraße und - bei Ostwind als Rauschen vernehmbar - die Autobahn A5. Von Nord und Süd rahmen Wohngebiete die Kulturlandschaft ein.

Wie an jedem Sommertag steuert Dirk Kieselstein den Bauwagen des BUND an: rotes Rad, grüne Kappe, so kennen viele der Anwohner ringsum den 73-Jährigen. Wenig später ist er auf einen kleinen Traktor umgestiegen, im Anhänger ein Wassertank. Es ist heiß, die Obstbäume leiden unter Trockenheit. Besonders das Dutzend der jüngsten Bäume - angepflanzt im vergangenen November - braucht Wasser. Es sind traditionelle Sorten wie »Bohnapfel« oder »Gellerts Butterbirne«.

Ständig auf Achse
Die »Sandtrockenrasen zwischen Mörfelden und Walldorf« - so der Titel des Fauna-Flora-Habitat-Gebietes - benötigen dauerhafte Pflege. Mit einer Handvoll von Helfern ist Dirk Kieselstein darum das ganze Jahr über auf Achse. Im Sommer müssen viele Obstbäume gegossen und die blumenreichen Magerrasen beweidet werden. Was die Schafe nicht abfressen, müssen die ehrenamtlich Aktiven im Winter beschneiden. Vor allem den invasiven Robinien und Traubenkirschen rücken sie zu Leibe, damit die Landschaft ihren halboffenen Charakter behält und nicht verbuscht. Anstrengend ist das, zumal alle Beteiligten schon im Rentenalter sind.

Immerhin: Die Umweltbehörden liefern die nötige Unterstützung. Zur Pflege der strukturreichen Obstwiesen kann der BUND auf ein festes Budget zurückgreifen, um das notwendige Gerät anzuschaffen. Außerdem konnte der BUND einen Großteil des 100 Hektar umfassenden Gebiets pachten. Das gibt den Aktiven viele Möglichkeiten, im Sinne der Natur zu entscheiden. Erst jüngst gelang es Dirk Kieselstein einem Landwirt, der Flächen am Rand des Schutzgebiets beackert, einen besonders breiten Blühstreifen abzuringen.

Druck der Grossstadt
Sorgen bereitet dem Kreisgeschäftsführer des BUND, Herbert Debus, eine andere Entwicklung. Wie in so vielen Großstädten wird auch im nahen Frankfurt der Platz verknappt - durch Spekulation, Gentrifizierung oder Büros für Banken ... Deshalb dränge die Stadt und zudem der (grüne!) Wirtschaftsminister Al Wazir die umliegenden Gemeinden, mehr Bauland auszuweisen. In Mörfelden-Walldorf stieß dieser Wunsch bereits auf interessierte Ohren. So richten sich die Begehrlichkeiten der Rathauskoalition (SPD, Freie Wähler, FDP) derzeit auf ein geschütztes Gelände östlich des FFH-Gebiets und der Bahnstrecke. Die Freien Wähler, zweitstärkste Fraktion im Stadtparlament, wollen sogar mitten im Schutzgebiet bauen - dort, wo eine Gesamtschule aus dem Gebiet ausgeklammert ist. Doch ihr Gelände bietet lang nicht genug Platz für den beabsichtigten Neubau von zwei Rathäusern sowie Bauhöfen, Geschäften oder Gastronomie.

Im Koalitionsvertrag der drei Parteien heißt es dazu vielsagend: »Bei Bedarf« werde man prüfen, ob schutzwürdige Freiflächen nicht »umgewidmet« werden können.

Politische Wende?
Egal, wo gebaut würde: Der dann anschwellende Publikumsverkehr würde die Streuobstwiesen auf jeden Fall in Mitleidenschaft ziehen. »Viele seltene Pflanzen und Tiere wären auf Dauer kaum zu halten, wenn ihr Lebensraum derart verstädtert«, so Debus. Zum Zielkonflikt zwischen Wohnungsbau und Flächenschutz verweist er auf ein Konzept des Arbeitskreises »Landesplanung und Raumordnung« im BUND Hessen. Und bekräftigt, der BUND erwäge das Schutzgebiet notfalls auch vor Gericht zu verteidigen.

Doch vielleicht wird es so weit gar nicht kommen: Am 19. Juni zog - nach 70 Jahren in SPD-Hand - erstmals ein Bürgermeister der Grünen ins Rathaus ein. Sein Slogan lautete: »Die Mitte bleibt grün.«


KÄTE UND WALTER RAISS

Die Basis für das heutige FFH-Gebiet legten Walter und Käte Raiss aus Walldorf in den 1980er Jahren. Das Ehepaar stand nicht nur jahrzehntelang mit an der Spitze der Protestbewegung gegen die Umweltbelastung und den Ausbau des Frankfurter Flughafens. Die Gründungsmitglieder des BUND-Ortsverbandes gewannen auch Hunderte Eigentümer von Streuobstwiesen dafür, den Verbund ihrer meist winzigen Parzellen als Ganzes unter Schutz zu stellen. Der größte Teil des 1989 ausgewiesenen »Geschützten Landschaftsbestandteils« genießt nun seit 2005 den Schutz der EU. Für ihren Einsatz pro Umwelt und Natur erhielt das mittlerweile verstorbene Paar 2009 das Bundesverdienstkreuz.

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Quelle:
BUND MAGAZIN 3/2019, Seite 34 - 35
Herausgeber:
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND)
Friends of the Earth Germany
Am Köllnischen Park 1, 10179 Berlin
Tel. 030/27586-457, Fax. 030/27586-440
E-Mail: redaktion@bund.net
Internet: www.bund.net/bundmagazin
 
Das BUNDmagazin ist die Mitgliederzeitschrift
des BUND und erscheint viermal im Jahr


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Oktober 2019

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