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SCHUTZGEBIET/893: Quelljungfer statt Schneekanone (BUND MAGAZIN)


BUND MAGAZIN - 4/2021
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland - BUND
Friends of the Earth Germany

NATUR IM PORTRÄT

SCHIERKE
Quelljungfer statt Schneekanone

von Severin Zillich

20 Hektar Wald drohten bei Schierke einem neuen Skigebiet zum Opfer zu fallen, darunter streng geschützter Moorwald. Der BUND konnte das abenteuerliche Vorhaben direkt am Nationalpark Harz nach langem Widerstand verhindern.


Ein schmaler Pfad führt in den Fichtenwald. Beinahe hüfthoch wachsen hier die Blaubeersträucher. Auch riesige Steinpilze säumen den Weg, leider ein bisschen alt schon und feucht. Tiefer im Wald entdecken wir weitere Pilze. Und dazu einen Bärlapp - eine echte Rarität in Sachsen-Anhalt (siehe Foto). Immer häufiger bedeckt nun Torfmoos den Boden. Mehrfach überqueren wir kleine Bäche und halten nach Feuersalamandern Ausschau. Selbst der Luchs und mehrere Fledermaus-Arten sind hier zu Hause. Kaum zu glauben: Fast wäre dieses Idyll von einem Skiprojekt zerstört worden.

Ski Alpin in Schierke?

Dass es nicht so weit kam, ist auch zwei Naturschützern zu verdanken, die an diesem Herbsttag mit dabei sind: Ralf Meyer, Vorsitzender des BUND Sachsen-Anhalt; und Friedhart Knolle, Vorsitzender des BUND Westharz und aktiv im Vorstand des Fördervereins für den nahen Nationalpark Harz. Jahrelang setzten die beiden alle Hebel in Bewegung, um den wertvollen Moorwald am Winterberg zu bewahren. Diesem Berg nämlich drohte das gleiche Schicksal wie dem benachbarten Wurmberg auf niedersächsischer Seite. Mit Seilbahn, Skipiste und Schneekanonen planten die Stadt Wernigerode und ein Investor den Wintersport im Harz anzukurbeln. Und das von Schierke aus, kaum 700 Meter hoch gelegen ...

Für dieses gleich mehrfach fragwürdige Projekt gab es politisch reichlich Rückendeckung, bis hinauf zu CDU-Ministerpräsident Haseloff. Nur die Umweltministerin Dalbert der Grünen (bis September in einer Kenia-Koalition mit CDU und SPD) verweigerte ihre Zustimmung.

Vorrangig geschützt

Und das aus gutem Grund. Denn die geplante Seilbahn hätte einen besonders geschützten Lebensraum durchschnitten und teilweise zerstört. Moore und Moorwälder gehören zu den bedrohtesten Lebensräumen Deutschlands. Nur ein Bruchteil hat die Jahrhunderte der Entwässerung und des Torfabbaus überlebt. Viele Pflanzen, Tiere und Pilze im Moor sind darum stark gefährdet. Moorböden binden zudem mit Abstand das meiste CO2, sind also ganz wesentlich für den Schutz des Klimas.

Dass vom Skiprojekt auch ein Moorwald betroffen wäre, war allen Seiten bewusst. Die Befürworter versuchten den absehbaren Schaden mit mehreren Gutachten kleinzurechnen. Allein: Der Moorwald selbst ließ sich schlecht leugnen, genauso wenig wie die Tatsache, dass er durch EU-Recht »prioritär geschützt« ist.

Und das ist das Tolle an der zugrundeliegenden FFH-Richtlinie: Sie beschützt bestimmte Arten und Lebensräume qua ihrer Existenz - dort, wo sie vorkommen. Und nicht erst, wenn ein Bundesland einen Lebensraum formal als FFH-Gebiet gemeldet hat.

Verkalkuliert

Dem BUND und der Umweltministerin war dieser Umstand bekannt. Nicht aber wohl jenen, die das Skiprojekt lange vorantrieben. Tatsächlich war die Projektfläche mit dem Moorwald zwar von FFH-Gebieten umringt, selbst aber nicht ausgewiesen worden. Das habe man in den 1990er Jahren offenbar bewusst »vergessen«, mutmaßt Friedhart Knolle. Schon damals plante man den Winterberg für den Skisport zu erschließen.

Doch besagtes EU-Recht ist ein scharfes Schwert. Darauf wies der BUND viele Jahre immer wieder hin, im Gespräch mit den Behörden, der Politik und der Öffentlichkeit. Das dadurch angeschobene Raumordnungsverfahren ließ der BUND von der Fachanwältin Franziska Heß begleiten. 2017 kam der damalige BUND-Vorsitzende Hubert Weiger nach Schierke, um vor Ort den Aktiven den Rücken zu stärken.

Trotz aller Versuche von Magdeburger Ministerien, das Projekt noch durchzusetzen: Am Schutzstatus des Moorwalds ließ sich letztlich nicht rütteln. Doch erst im Februar 2021 zog sich der Investor zurück. Ralf Meyer sieht nun die Chance für einen Neustart: »Wintersport mit Abfahrtspisten, Kunstschnee und Seilbahnen hinterlässt zerstörte Berglandschaften. Mit den steigenden Temperaturen sind Skiprojekte auf einer solchen Meereshöhe sowieso zum Scheitern verurteilt. Die Zukunft Schierkes liegt im nachhaltigen Naturtourismus.«

Endgültig vom Tisch?

Im Juni kündigte das Land an, was der BUND seit Langem forderte: nämlich den Moorwald und seine Umgebung als FFH-Gebiet nachzumelden (siehe Karte). Allerdings muss das neue schwarz-rot-gelbe Kabinett in Magdeburg dem zustimmen. Tut es das nicht, wird der BUND klagen. Tatsächlich bezweifeln Ralf Meyer und Friedhart Knolle, dass das Skiprojekt vom Tisch ist. So steht dem Umweltministerium - bisher ein wichtiger Verbündeter - seit September der bisherige Wirtschaftsminister vor, einer der größten Verfechter des Skiprojekts. Doch überwiegt bei den BUND-Aktiven die Zuversicht. Mit dem Naturschutzrecht der EU auf ihrer Seite hoffen sie Seilbahn und Schneekanonen auch künftig verhindern zu können.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
- In Sachsen-Anhalt selten und stark gefährdet: der Sprossende Bärlapp.
- Als bedroht gilt auch die Zweigestreifte Quelljungfer, hier ein Männchen.
- Das angekündigte FFH-Gebiet »Wald- und Moorgebiet südwestlich Schierke« am Südrand des Nationalparks Harz. Dunkelgrün gefärbt der gerettete Fichten(Moor-)wald.
- Ralf Meyer und Friedhart Knolle bei einem Ortstermin in dem Moorwald.
- Und so sieht es rund um Schierke sonst aus: Im Schutz abgestorbener Fichten wächst ein stabilerer Wald auf.

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Quelle:
BUND MAGAZIN 4/2021, Seite 34-35
Herausgeber:
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND)
Friends of the Earth Germany
Kaiserin-Augusta-Allee 5, 10553 Berlin
Tel. 030/27586-457, Fax. 030/27586-440
E-Mail: redaktion@bund.net
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Das BUNDmagazin ist die Mitgliederzeitschrift
des BUND und erscheint viermal im Jahr

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 7. Dezember 2021

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