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WALD/680: Wegebau außer Rand und Band (NATURMAGAZIN)


naturmagazin
Berlin - Brandenburg
Ausgabe 2/2013

Wegebau außer Rand und Band
Schwerwiegende Folgen für Artengemeinschaften und Lebensräume

von Norbert Schneeweiß, Daniel Bohle und Andreas Herrmann



Groß angelegte Wegebauprojekte sind in Brandenburgs Wäldern nichts Neues. Dabei werden nicht nur zerfahrene Oberflächen glattgezogen oder Schlaglöcher ausgebessert, nein, das Wegenetz wird grundlegend erneuert. Zukünftig soll es sogar Traglasten bis 44 Tonnen gewachsen sein. Hintergrund des Geschehens ist ein vom Landesbetrieb Forst Brandenburg aufgelegtes Programm zum Waldwegebau. Für die Waldlebensräume, ihre Artengemeinschaften und das Landschafsbild wird dies allerdings schwerwiegende Folgen haben.


Am 20. April 2011 veröffentlichte das Ministerium für Infrastruktur und Landwirtschaft im Amtsblatt Nr. 15 eine neue Richtlinie zur Gewährung von Zuwendungen für die Förderung forstwirtschaftlicher Maßnahmen. Zur "Waldbrandvorbeugung" können forstwirtschaftliche Wege nun quasi zum Nulltarif ausgebaut und befestigt werden: Zuwendungsempfänger des öffentlichen Rechts erhalten von der Europäischen Union 80 Prozent gefördert, Empfänger des privaten Rechts bekommen mit 100 Prozent sogar den gesamten Betrag. Darüber hinaus gibt es weitere mit EU- und Landesmitteln finanzierte Fördertöpfe, die derzeit für den Ausbau von Radstraßen und anderweitig touristisch begründeten Wege genutzt werden.

Das Ausmaß des angestrebten Waldwegesystems wird in einer kleinen Anfrage zu den "Waldwegebaumaßnahmen im Landeswald" (Landtag Brandenburg, A. Vogel und M. Luthardt vom 15.6.12) deutlich. Die Rede ist von einem Hauptwegenetz im 1-Quadratkilometer-Raster, welches durch Nebenwege im Abstand von 500 Metern weiter untergliedert wird. Explizit sind damit Wege zur ganzjährigen Befahrbarkeit für Schwerlastverkehr bis zu 44 Tonnen gemeint. Für Hauptwege werden Dammkronen mit 4,5 Metern Breite und eine mehr als 0,5 Meter mächtige Trag- und Deckschicht angegeben, die in der Regel aus Schotter besteht. In Schutzgebieten soll immerhin Naturstein oder Recyclingmaterial der Einbauklasse Z 0 verwendet werden. Begleitende Entwässerungsgräben sollen die Bauwerke trocken halten und für die Deckschichten ist eine bis zu dreimal jährlich stattfindende Pflege vorgesehen. Die Bankette wiederum sind ein- bis zweimal jährlich zu mähen, was wiederum den Einsatz schwerer Technik und grobe mechanische Einwirkungen mit sich bringt. Die entstehenden Waldstraßen können dann zwar auch von Löschfahrzeugen genutzt werden, dienen aber wohl auch - oder vor allem? - der industriellen Bewirtschaftung der Ressource Holz. Die Löschfahrzeuge der Feuerwehren sind zumindest in der Regel geländetauglich und wären auf den Ausbau der Wege nicht angewiesen.

Die überwiegende Zahl der Baumaßnahmen erfolgt derzeit als Wegeinstandhaltung und ist daher - im Gegensatz zum Neubau - nicht genehmigungspflichtig. Auch werden die Erschließungsmaßnahmen als Bestandteil der Waldbewirtschaftung betrachtet, die den Grundsätzen einer ordnungsgemäßen Forstwirtschaft nach dem Waldgesetz des Landes Brandenburg genügen und somit nicht als Eingriff im Sinne des Naturschutzrechts angesehen werden.


Kleine Welt am Wegesrand
Der in Deutschland bekannte Naturfotograf Helmut Drechsler widmete bereits Anfang der 1950er Jahre den Wegrainen einen Bildband, in dem er auf die Vielfalt der dort anzutreffenden und zum Teil seltenen Arten aufmerksam machte. Im Gegensatz zu damals unterliegen heute auch die Wälder dem inzwischen nahezu flächendeckenden Nutzungsdruck. Waldbränden wird vorgebeugt, Insektenkalamitäten werden bekämpft, Sturmschäden beseitigt, Offenflächen im Wald als Wildäcker genutzt. Ungenutzte und sonnendurchflutete Lebensräume der Lichtungen fehlen fast gänzlich. Längst sind die wärmebegünstigten Wegesraine, aber auch die schmalen, oft ruderal geprägten Mittelstreifen der Wege zu Refugien seltener Spezies geworden. Hierzu zählen beispielsweise Trockenrasenarten wie Sand-Tragant oder Kreuzblümchen. Selbst einst allgegenwärtige Pflanzen wie Heide- und Kartäuser-Nelke, Frühlings-Fingerkraut, Sand-Thymian, Wildrosen und Grasnelken sind inzwischen aus den Waldinnenflächen nahezu gänzlich verschwunden und konzentrieren sich auf die Wegränder. Auch zahlreiche Flechten und Moose finden dort letzte Rückzugsräume. Eine Vielzahl von Insektenarten aus den Gruppen der Hautflügler (solitäre Bienen und Wespen) und der Heuschrecken (wie die Ödlandschrecken) aber auch verschiedene Tagfalterarten und viele andere mehr sind auf Wege und ihre Randgesellschaften angewiesen. Auch als Lebensraum und Brutstätte für Reptilien kommt Waldwegen eine besondere Bedeutung zu. Zauneidechsen nutzen zum Beispiel mit Vorliebe die vegetationsarmen Mittel- und Randstreifen der Wege: In einer Tiefe von etwa zehn Zentimetern vergraben sie ihre Gelege. Ebenso sind Hautflügler und Zauneidechsen für die Anlage ihrer Brutkammern auf grabfähige Substrate angewiesen. Aber auch sandige Wege sind für Tiere und Pflanzen ein schwieriger Lebensraum mit häufigen und starken Einschnitten in die Populationen. In einer weitgehend verödeten Waldstruktur sind sie dennoch oft die letzte Zuflucht, das durch einen massiven Unterbau aus Schotter aber gänzlich verloren geht. Denn das hierfür oft genutzte Recyclingmaterial legt nicht nur die Wegoberfläche dauerhaft fest, oft bewirkt auch noch ein hoher Kalkanteil die Eutrophierung der Wegrandgesellschaften. Trockenrasen weichen dann Hochstaudensäumen.

Auch einige der inzwischen hochgradig gefährdeten Kreuzotter- und Schlingnatterpopulationen Brandenburgs sind heute innerhalb flächenhaft schattiger Forstkulturen auf schmale Wegschneisen als Lebensraum angewiesen. Doch die vielen dort in jüngster Zeit überfahren aufgefundenen Reptilien sind ein klarer Beleg für den stark zunehmenden Verkehr. Von ihm betroffen ist auch die Europäische Sumpfschildkröte, die bundesweit nur noch in Brandenburg vorkommt. Sumpfschildkröten wandern über hunderte Meter, manchmal auch kilometerweit zu ihren Eiablageplätzen, die sich oft an wärmebegünstigten Wegrändern befinden. Da wundert es nicht, dass während der vergangenen Jahrzehnte etwa ein Drittel aller registrierten Sumpfschildkrötenverluste dem Verkehr geschuldet ist. Das Vorhaben Waldwegebau der Landesforst und der in dessen Folge zu erwartende motorisierte Verkehr im Wald könnte den letzten heimischen Schildkröten schnell den Garaus machen. Aber auch für die zoogeographisch wertvollen Bergmolchpopulationen Brandenburgs wirken sich die Wegebauprojekte verheerend aus. Die Art laicht in Wegepfützen - und denen ist nunmehr der Kampf angesagt.


Eingriff Wegebau
Umfangreiche Wegebaumaßnahmen verändern die Gestalt und Nutzung von Grundflächen. Sie beeinträchtigen die Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts und das Landschaftsbild und sind im Sinne § 14 Abs. 1 des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) als Eingriff zu werten. Darüber hinaus wird bau- und betriebsbedingt in mehrfacher Hinsicht gegen die Zugriffsverbote des § 44 (BNatSchG) verstoßen. Mit den Wegebaumaßnahmen wird darüber hinaus vielerorts gegen das Verschlechterungsverbot in Natura 2000-Gebieten verstoßen. Auch der Erhaltungszustand ungezählter Lebensräume streng geschützter Arten wird verschlechtert.

Bereits mehrfach engagierten sich Naturfreunde vor Ort, formulierten Anzeigen und stellten Bauherren zur Rede. In einem ersten Fall setzten sie in einem Trinkwasserschutzgebiet den Rückbau einer Schotterpiste durch. In der Regel jedoch verlaufen die Bemühungen ergebnislos. Der Baulastträger beruft sich auf die Privilegierung des Vorhabens als Erschließungsmaßnahme im Rahmen der ordnungsgemäßen Forstwirtschaft. Der Ausbaugrad der Wege überschreitet meist jedoch bei Weitem das für die Erschließung der Wälder erforderliche Maß. Vergleichbares sucht man in der 200jährigen Geschichte der Forstwirtschaft Mitteleuropas vergeblich. Daher ist die Frage vieler Naturschützer legitim, ob es im 21. Jahrhundert nicht möglich sein sollte, Holz auf einem den Lebensräumen und Standorten gerechten Wegesystem aus dem Wald zu transportieren.


Waldwege sind Lebensraum
Waldwege zählen heute zu den wichtigsten Erholungsräumen. Beobachtungen der "kleinen Welt am Wegesrand" können einen Waldspaziergang zum unvergesslichen Erlebnis machen, und wie schön kann es sein, im Sommer barfuß einen Sandweg entlang zu laufen. Schotterpisten dagegen sind Fremdkörper im Wald. Erhalten wir uns also unsere Waldbilder! Zur Nachhaltigkeit von Waldwirtschaft muss auch gehören, die dort vorkommenden Artengemeinschaften und die besonderen Landschaftsbilder und Erlebniswelten zu bewahren.

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Gedanken zum Waldbild

Wollen wir hinnehmen, dass sich das eigentlich längst überholte Leitbild einer nur am Ertrag orientierten Holzplantage in Form einer auf Schwerlastverkehr und Harvester-Einsatz orientierten Infrastruktur in unseren Wäldern endgültig manifestiert? Müssen wir noch immer zulassen, dass die Wälder der Technik angepasst werden, oder können wir im innovationsfreudigen Deutschland des 21. Jahrhunderts nicht vielmehr verlangen, dass die Technik der Nutzung naturnaher Wälder angepasst wird? Zum Wald in der Mark Brandenburg gehört eben auch der Sandweg durch die Heide genauso wie der moddrige Weg durchs Moor. Der Anspruch, ganzjährig mit beliebigen Fahrzeugen ein flächendeckendes Wegenetz in Brandenburger Wäldern zu befahren, ist absurd und würde uns sowohl landschaftliche Ästhetik, Erholungswert als auch wertvolle Naturgüter kosten.



Forderungen

1. Unverzügliche Überprüfung und Änderung der Wegbauförderung und -praxis sowie ein grundlegend verändertes Problemverständnis.

2. Sind Lebensräume oder Populationen streng geschützter Arten von Bauvorhaben betroffen oder werden diese innerhalb von NATURA-2000 und/oder Naturschutzgebieten ausgeführt, sollte unter Verweis auf die Verstöße gegen bestehendes europäisches und nationales Naturschutzrecht eine Beschwerde bei der EU eingereicht werden. Jeder Bürger oder NABU-Verband ist hierzu berechtigt. Die Verfahrensweise sowie ein entsprechendes Formular sind im Internet abrufbar.

3. Der Naturschutz sollte die gegenwärtig praktizierte Verfahrensweise im Waldwegebau einer rechtlichen Prüfung unterziehen. Auf die Einhaltung der Naturschutz- und Waldgesetze sollte verstärkt hingewirkt werden.

4. Sofern in Ausnahmefällen berechtigte Gründe (überwiegendes öffentliches Interesse) für den Aus- oder gar Neubau von Wegen vorliegen, müssen die zuständigen Behörden die Maßnahmen als Eingriffe im Sinne des § 14 BNatSchG behandeln.



INFO

Eingriffsrelevante Faktoren

  • Zerschneidung von Jahreslebensräumen / von Verbreitungsgebieten
  • Vernichtung von Lebensräumen vollständig (z.B. Pflanzen, Schlingnatter) / teilweise (z.B. Brutstätten: u.a. Bergmolch, Zauneidechse, Hymenopteren)
  • Tötung von Individuen baubedingt (z.B. Zauneidechse, vor allem Gelege) / betriebsbedingte signifikante Erhöhung des Tötungsrisikos (z.B. Reptilien)
  • Zunehmende Erschließung von Ruhe- und Rückzugsgebieten (z.B. Rast- und Brutplätze störungsempfindlicher Arten)
  • Nachhaltige Beeinträchtigung des Landschaftsbildes


Norbert Schneeweiß, NABU Brandenburg, Landesfachausschuss Feldherpetologie
Daniel Bohle, Ehrenamtlicher Feldherpetologe
Andreas Herrmann, NABU Brandenburg


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Am Rande eines Brandenburger FFH- und Naturschutzgebietes wurde im Sommer 2010 innerhalb weniger Wochen ein unbefestigter Waldweg auf 1,9 Kilometer Länge zur Radstraße ausgebaut. Hier befanden sich Lebensräume der Schlingnatter, Zauneidechse und weiterer Reptilienarten.

a) Etablierter Jahreslebensraum einer Schlingnatterpopulation in einer Steinpackung am Rande eines Waldweges (LSG "Westbarnim"). Die weißen Pfeile kennzeichnen Aufenthaltsorte und Versteckplätze von zahlreichen Tieren, die dort in den Jahren vor den Baumaßnahmen beobachtet werden konnten.

b) Derselbe Standort nach Ausbau der Schotterpiste (Forststraße). Das Habitat wurde samt Schlingnattern und Zauneidechsen komplett überbaut.

- Riesige Tieflader bringen tonnenweise Schotter (Recyclingmaterial) zum Ausbau eines Waldweges nördlich von Berlin (LSG "Westbarnim"). Der Jahreslebensraum einer Schlingnatter- und Zauneidechsenpopulation verschwand dabei samt ihrer Bewohner unter dem Wegedamm.

- Während der Eiablage überfahrene Zauneidechsenweibchen auf einer neu ausgebauten Forststraße, inmitten eines FFH- und Landschaftsschutzgebietes im östlichen Havelland.

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Quelle:
NATURMAGAZIN, 27. Jahrgang - Nr. 2, Mai bis Juli 2013, Seite 38-41
Herausgeber:
Naturschutzzentrum Ökowerk Berlin
Naturschutzbund Deutschland (NABU) e.V., Landesverband Brandenburg
Natur & Text in Brandenburg GmbH
Redaktion:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. November 2013