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WASSER/199: Interview - Anerkennung des Grundwassers als eigener Lebensraum umsetzen (BUNDmagazin)


BUNDmagazin - 2/2009
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland - BUND
Friends of the Earth Germany

Interview
Artenschutz - auch unterirdisch

Von Severin Zillich


Seit 2007 ist das Grundwasser als eigener Lebensraum anerkannt - auf EU-Ebene. Doch der deutsche Gesetzgeber macht bisher keine Anstalten, diese Anerkennung umzusetzen. Warum der BUND hier politisch Druck ausübt, erläutert Dr. habil. Hans Jürgen Hahn vom Arbeitskreis Wasser. Wie kein anderer hat er sich mit der verborgenen Lebenswelt des Grundwassers beschäftigt.

Herr Hahn, vorweg die Frage: Was hat unser Thema "Lebendige Flüsse" mit dem Grundwasser zu tun?

Alles Wasser kommuniziert miteinander. Auen etwa sind geprägt von Ökosystemen, deren Wasser zu einem erheblichen Teil aus dem Grundwasser stammt. Ihre Dynamik erhalten sie durch den Fluss, der über die Ufer tritt, ihre Grundversorgung oft über das Grundwasser. Auch zwischen Fließgewässern und Grundwasser bestehen starke Wechselwirkungen. Vor allem kleinere Bäche würden ohne den Zustrom des Grundwassers in Trockenzeiten schnell versiegen. Umgekehrt infiltrieren Flüsse und Bäche auch das Grundwasser.

Warum sorgt sich der BUND um den Schutz des Grundwassers? Was macht es so wertvoll für uns?

Zum einen ist es der größte und älteste Lebensraum auf den Kontinenten der Erde, und ein sehr artenreicher zudem. Und die Organismen darin reinigen das Grundwasser - woraus Deutschland immerhin 75 Prozent seines Trinkwassers bezieht.

Ist es aber gerechtfertigt, vom Grundwasser als einem Lebensraum zu sprechen? Wer belebt es denn?

In unserem Grundwasser leben Bakterien, dazu einige Einzeller, und dann vor allem Vielzeller wie Krebstiere, Würmer, Schnecken und Muscheln - in Südosteuropa außerdem ein Wirbeltier, der Grottenolm. Außereuropäisch kennt man weitere Amphibien und sogar Fische im Grundwasser. Das Grundwasser ist fraglos ein Lebensraum, doch als solcher im deutschen Recht noch nicht anerkannt.

Der BUND hat dieses Problem als erster Verband aufgegriffen. Wir fordern das Grundwasser als Lebensraum zu betrachten und zu schützen.

Was weiß man von der Häufigkeit und Verbreitung von Grundwassertieren?

Viele dieser Arten sind Reliktformen, ihre Verbreitung zeigt alte geologische oder klimatische Muster. Im europäischen Grundwasser haben die Eiszeiten Spuren hinterlassen, desgleichen die alten tertiären Flusssysteme vor drei, vier, fünf Millionen Jahren. Ein erheblicher Teil der Arten sind Endemiten, die nur zwei-, dreimal in einer Höhle oder einem Brunnen entdeckt wurden. Lebensräume, deren Bewohner solche Charakteristika aufweisen, verdienen sofortigen Schutz.

Auch unter der Erde gibt es also bedrohte Arten, für die Deutschland womöglich besonders verantwortlich ist?

Das ist ganz schwer zu beantworten. Bislang existieren kaum Verbreitungskarten der Grundwasserfauna, da zu wenige darüber forschen. Aber es gibt viele Arten (etwa Brunnenkrebse), die offenbar nur in Deutschland vorkommen. Zwei bislang unbekannte Arten hat mein Mitarbeiter Dr. Andreas Fuchs in Baden-Württemberg entdeckt. Hinweise, dass bestimmte Arten nur sehr lokal vorkommen, gibt es genug. Nur eine Rote Liste, welche die aktuelle Gefährdung von Grundwassertieren abbildet, scheitert bisher am kargen Datenmaterial.

Wird die Bundesregierung den europäischen Schutzstandard noch dieses Jahr pflichtgemäß umsetzen?

Nachdem das Umweltgesetzbuch gescheitert ist, müsste jetzt rasch eine Grundwasser-Verordnung her. Ich befürchte zweierlei: dass sie nicht mehr vor der Bundestagswahl im Herbst kommt; und dass sie, wenn sie denn fertig ist, das Grundwasser wieder nicht als eigenen Lebensraum würdigen wird.

Welchen über die EU-Richtlinie hinausgehenden Schutz des Grundwassers fordert der BUND?

Wir fordern den guten ökologischen Zustand nicht nur für Oberflächengewässer, sondern flächendeckend auch für den Lebensraum Grundwasser. Wir brauchen die Instrumente des Arten- und Biotopschutzes auch hier, um Eingriffe in den Lebensraum seltener Arten verhindern zu können.

Die Fragen stellte BUND-Redakteur Severin Zillich.


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Quelle:
BUNDmagazin 2/2009
Herausgeber:
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND)
Friends of the Earth Germany
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Juli 2009