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DILJA/005: Der ungehemmte Ölfluß im Golf von Mexiko ist eine politische Katastrophe (SB)


Alle Versuche, die für undenkbar erklärte Öl-Katastrophe im Golf von Mexiko zu beheben, sind fehlgeschlagen

Das kapitalistische Verwertungssystem offenbart seine Inkompetenz


Derzeit ist die sogenannte Ölkatastrophe im Golf von Mexiko in aller Munde und füllt die Schlagzeilen nicht zuletzt deshalb, weil von der nach wie vor und in steigendem Maße drohenden bzw. bereits eingetretenen Umweltkatastrophe die südlichen Bundesstaaten der USA unmittelbar betroffen sind. So wurde mittlerweile nicht nur in den US-Südstaaten Louisiana und Florida, sondern auch in Alabama und Mississippi der Notstand ausgerufen, um die Folgen eines Vorfalls einzudämmen, der in den Medien bereits wie eine Naturkatastrophe behandelt wird, weil er für Natur, Mensch und Umwelt eine Katastrophe darstellt. Tatsächlich jedoch ist alles, was in Folge einer Explosion, die sich am 20. April 2010 auf der Bohrplattform "Deepwater Horizon" des Eigners und Betreibers Transocean, dem im Auftrag des britischen Mineralölkonzerns BP tätigen Weltmarktführer für Bohrschiffe und -plattformen, im Golf von Mexiko ereignete, menschengemacht.

Der Begriff "menschengemacht" ist in diesem Zusammenhang allerdings sträflich unpräzise, da hier die tatsächliche Qualität hochtechnologisierter Vorgänge auf die denkbar entlarvendste Weise mit buchstäblich unkalkulierbaren Schäden und möglichen weiteren Folgewirkungen in Erscheinung getreten ist. Die Betreiberfirma Transocean hat im Auftrag von BP mit Hilfe der im Februar 2001 vom Stapel gelaufenen Bohrplattform seit dem 2. September 2009 im über 80 Kilometer südöstlich von Louisiana im Golf von Mexiko gelegenen Tiber-Ölfeld eine Erkundungsbohrung in einer Tiefe von 1.250 Meter durchgeführt und dabei die weltweit bislang tiefste Bohrung in über zehn Kilometer Meerestiefe vorgenommen.

Das Unglück vom 20. bzw. 22. April, also dem Tag, an dem die Bohrplattform, nachdem es den Löschschiffen nicht gelungen war, den durch die Explosion ausgelösten Brand auf der Bohrinsel zu löschen, im Meer versunken ist, hätte nach Angaben der Eigentümer nie oder doch zumindest so gut wie nie vorkommen dürfen. Im zweiten Schritt hatte BP behauptet, auch auf den schlimmsten Fall vorbereitet zu sein. Der Konzern behielt in den Tagen nach der Katastrophe seine Strategie, gegenüber der Öffentlichkeit zu leugnen, was irgendwie geleugnet werden kann, bei. So war zunächst noch behauptet worden, daß Sicherheitssysteme das Austreten von Öl verhindern würden. Als unübersehbar war, daß dies offensichtlich nicht der Fall war, verlagerte sich BP auf die Behauptung, daß das Öl nicht die Küsten erreichen und damit gefährden könne, was inzwischen ebenfalls durch die Realität widerlegt wurde.

Unmittelbar nach dem Versinken der Ölplattform hatte sich an der Meeresoberfläche ein erster Ölteppich gebildet in der Größe von 1,5 mal 8 Kilometern. Die Menge des austretenden Öls war zunächst auf rund 160.000 Liter geschätzt worden. Inzwischen liegt, zumal nun von mindestens drei Lecks ausgegangen wird, die täglich ausströmende Rohölmenge bei etwa 800.000 Liter, während der Ölteppich, der in ersten Ausläufern bereits die Küste Louisianas erreicht hat, schon am 1. Mai auf eine Größe vom 210 mal 112 Kilometer angewachsen war. Die technischen Versuche, eine technisch bedingte Katastrophe zu beheben oder auch nur signifikant einzudämmen, müssen zudem als fehlgeschlagen angesehen werden. Weder ist es der zum Einsatz gebrachten Flotte von 15 Ölabsaugschiffen gelungen, der Ölflut Herr zu werden, noch konnten Tiefseeroboter die ihnen gestellte Aufgabe, mit dem 450 Tonnen schweren "Blowout Preventer" eine Ventilschließung durchzuführen, bewältigen. Dieses am Meeresgrund befindliche Notfallventil hat offensichtlich versagt, hätte es doch schon die plötzliche Druckwelle, die nach derzeitigem Kenntnis- oder Spekulationsstand die Explosion auf der Bohrplattform ausgelöst hat, zuvor verhindern sollen.

Die Lecks sollen sich an einem 1,7 Kilometer langen Rohr befinden, durch das zuvor Öl und Gas von der Bohrstelle zur Bohrplattform geführt worden war. Am 22. April ist nicht nur die Ölplattform untergegangen, auch dieses lange Rohr versank in der Tiefe und soll nun wie ein sich windender Gartenschlauch am Meeresboden liegen. Der Versuch, mit ferngesteuerten Tiefseerobotern das Notfallventil zu schließen, hat bislang nicht zum erhofften Ergebnis geführt, soll allerdings fortgesetzt werden, bis die Austrittsstellen, auf welche Weise auch immer, geschlossen sind. Inzwischen sind rund 2.500 Menschen in die Rettungs- und Notmaßnahmen involviert. BP und Transocean scheinen selbst nicht unbedingt davon überzeugt zu sein, daß es gelingen könnte, den steten Ölfluß zu stoppen. So wurde am 1. Mai mit dem Bau einer Entlastungsbohrplattform begonnen, die, so sie nach zwei- bis dreimonatiger Bauzeit betriebsbereit ist, einzig den Zweck erfüllen soll, den auf dem zu schließenden Bohrloch lastenden Druck abzumildern.

Um in der Zwischenzeit das austretende Öl aufzufangen, wurde mit dem Bau einer Auffangkuppel begonnen, die, über den Austrittsstellen positioniert, die Ölflut auffangen soll, um dann das Öl durch ein Röhrensystem an die Oberfläche zu geleiten und vom Meereswasser getrennt halten zu können. Ob dies technisch realisierbar ist und den erhofften Effekt zeitigen wird, kann niemand vorhersagen, da diese Technik bislang nur in flachen Gewässern angewandt und erprobt worden ist. Als vollkommen wirkungslos haben sich an der Meeresoberfläche die Versuche erwiesen, den sich ausbreitenden Ölteppich mechanisch aufzuhalten und von den Küstenregionen fernzuhalten. Während BP weiterhin versuche, die Lecks zu schließen, meldete Welt Online am 1. Mai, erwiesen sich die Barrieren gegen die Ölpest als nutzlos. Starke Winde und eine stürmische See machten auch diesen Versuch, die katastrophalen Folgen der Katastrophe irgendwie in den Griff zu bekommen, zu einem wirkungslosen Unterfangen.

Mit Genehmigung der US-Behörden war am 28. April ein erster Versuch unternommen worden, durch das Abbrennen des Öls eine (noch größere) Umweltkatastrophe zu verhindern. Das angeblich kontrollierte Abbrennen des Ölteppichs muß ebenfalls als Fehlschlag bewertet werden, führte es doch zu einer nicht unerheblichen Luftverschmutzung, während toxische Schadstoffe wie polycyclische aromatische Kohlenwasserstoffe als Rückstände im Meer verbleiben und von dort aus nach wie vor in die Nahrungskette gelangen können. Die Staatliche Ozean- und Klimabehörde (NOAA) hatte die Abbrennaktion damit zu begründen gesucht, daß Vögel und Säugetiere eher einem Feuer als einem Ölteppich entkommen könnten. Zu den möglichen Folgen für Fische und weitere Meerestiere wollte sich die NOAA nicht äußern.

Sogenannte Experten gehen davon aus, daß die jetzige Ölkatastrophe im Golf von Mexiko die größte in der US-Geschichte werden und die Folgen der Havarie des Tankers Exxon Valdez 1989 in Alaska noch übertreffen könnte. BP behauptet, die volle Verantwortung übernehmen und für alle Kosten aufkommen zu wollen, was schlechterdings unmöglich ist, da es schon an der Voraussetzung, nämlich einer Bezahlbarkeit oder finanziellen "Wiedergutmachung" mangelt. An dieser Stelle offenbart sich neben einer prinzipiellen Technikgläubigkeit, die mit großer Selbstverständlichkeit über die Frage hinweggeht, ob hier nicht die Grenzen der technischen Möglichkeiten längst überschritten sind, mit der Inanspruchnahme eines Umweltbegriffs und -bewußtseins, der bzw. das gezielt apolitisch gehalten wird, um einer Radikalisierung und "Politisierung" der Klima- und Umweltschutzbewegungen den Riegel vorzuschieben.

Eine besondere Ironie des Schicksals könnte darin vermutet werden, daß zum Zeitpunkt dieses "Unglücks", am 20. bzw. 22. April, im bolivianischen Chochabamba auf Betreiben des Präsidenten Boliviens, Evo Morales, ein alternativer Klimagipfel stattgefunden hat. Die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko kann nur unterstreichen, was die 5.000 Delegierten aus 174 Ländern in ihrer Abschlußerklärung verkündet haben, nämlich daß "die Zukunft der Menschheit in Gefahr" ist. Mit einem weltweiten Referendum sollten, so der Vorschlag, die Völker der Welt danach gefragt werden, ob sie tatsächlich an diesem "zerstörerischen Kapitalismus" festhalten wollten. Die Delegierten von Cochabamba konnten während ihrer dreitägigen Diskussionen nicht wissen, daß eben dieser Kapitalismus zeitgleich einmal mehr unter Beweis stellen würde, wie zerstörerisch und unkontrollierbar die von ihm zur Anwendung gebrachten Technologien sind.

3. Mai 2010