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LAIRE/055: Klimaschutz-Calvinismus - die Predigt vom Verzicht (SB)


Individueller Klimaschutz

... ohne die Systemfrage zu stellen, zum Scheitern verurteilt


Die Menschen sollten ihren Lebensstil ändern, weniger Fleisch essen, Fahrrad fahren und ihren Konsum verringern. Das könnte dazu beitragen, die Erderwärmung zu bremsen, mahnte der Leiter des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) der Vereinten Nationen, Rajendra Pachauri, am Dienstag auf einer Pressekonferenz in Paris an.

Den Lebensstil ändern - was sonst! Wenn überhaupt eine Chance besteht, den Klimawandel in eine für die Menschheit günstige Richtung zu lenken, dann über eine Änderung des Lebensstils. Nur, was ist der Lebensstil und wie kommt er zustande?

Pachauri, der sich vegetarisch ernährt, hat hier drei Beispiele zur individuellen Verhaltensänderung genannt. Diese Schwerpunktsetzung ist zulässig, aber dann muß er sich fragen lassen, warum er seine Empfehlungen völlig losgelöst von den gesellschaftlichen Verhältnissen verbreitet. Wäre es beispielsweise im Sinne der Einsparung von CO2-Emissionen nicht wirksamer, wenn sich die Produktionsverhältnisse änderten, also das auf permanente Expansion ausgerichtete Wirtschaftssystem?

Solange viele Menschen fast täglich zehn, zwanzig oder fünfzig Kilometer von und zur Arbeit fahren, ist mit dem Fahrrad kein Staat zu machen. Zumal es keine Alternative gibt, denn das öffentliche Verkehrssystem ist selbst in einem Hochtechnologieland wie der Bundesrepublik ungenügend. Im Verhältnis zu vielen anderen Staaten könnte man es zwar als (noch) einigermaßen ausgebaut bezeichnen, und die Pendlerpauschale bringt Erleichterung für den Geldbeutel, doch wenn jemand bei der Fahrt mit dem Auto auch nur eine halbe Stunde pro Tag einspart, würde der Verzicht auf einen eigenen fahrbaren Untersatz zu einem erheblichen Verlust an der knapp bemessenen, sogenannten Freizeit führen. Die keineswegs frei ist, denn für viele Beschäftige, die einer fremdbestimmten Arbeit nachgehen, besteht ein hoher Regenerationsbedarf. Die Fahrt zur Arbeit nähme ohne ein eigenes Auto noch mehr Lebenszeit in Anspruch.

Wenn unter einer Änderung des Lebensstils die individuelle Verhaltensänderung verstanden wird, ohne zu berücksichtigen, daß der von der Regierung und den führenden gesellschaftlichen Kräften sowie der Wirtschaft propagierte Fortschritt darin besteht, daß die Menschen immer mehr konsumieren und dabei möglichst ihren Verbrauch laufend steigern, dann setzt sich jeder, der Fleischverzicht, Radfahren und Bescheidenheit predigt, dem Verdacht aus, nicht die eigentlichen Schwergewichte unter den Treibhausgasemittenten an die Kandare nehmen zu wollen, sondern vorzugsweise den kleinen Mann, der im Verhältnis zu seinem Einkommen ohnehin stärker zur Kasse gebeten wird, um all die staatlich abverlangten Klimaschutzmaßnahmen zu erfüllen.

Bei der Forderung nach einem anderen Lebensstil sollte nicht ausgespart werden, daß die Regierungen massive Maßnahmen zur Unterstützung ihrer Wirtschaft und zur Produktion großer Mengen an Treibhausgasen ergreifen. Beispielsweise werden die Flugzeughersteller Boeing und Airbus dabei unterstützt, neue, riesige Flugzeuge zu bauen, in denen viele hundert Menschen rund um den Globus befördert werden können. Darüber hinaus haben Hamburg, Rotterdam und andere Hafenstädte ihre Kapazitäten kräftig ausgebaut, da sie damit rechnen, daß der Welthandel in den nächsten Jahren und Jahrzehnten unermüdlich wachsen wird. Autos, Elektrogeräte und andere Produkte werden nicht so gebaut, daß sie möglichst lange halten, sondern nur eine bestimmte Frist. Und wer ist der größte Ölkonsument in den USA? Das Militär.

Die Sicherung von Ressourcen ist fester Bestandteil der NATO-Doktrin. Unter hohem Treibstoffverbrauch werden zur Zeit Kriege in Afghanistan und Irak geführt - mit der Bundeswehr in Kürze an vorderster Front. Ressourcenverbrauch zur Ressourcensicherung, für Pachauri ist das anscheinend kein Thema. Gehört es etwa nicht zur Veränderung des Lebensstils, die Dinge beim Namen zu nennen und an die wesentlichen Quellen von Treibhausgasemissionen zu erinnern?

Nun wäre es sicherlich unnütz, das Rad zurückschrauben zu wollen, wenn es denn ginge. Steht doch das Rad synonym für eine technologische Entwicklung, die zu dem heutigen Ergebnis geführt hat. Es würde sich am System nichts ändern und deswegen auch nicht an den durch das System begünstigten Produktionsweisen, Arbeitsbedingungen und Lebensverhältnissen, wenn einige Menschen aufs Fahrrad umsatteln oder nur noch die Beilage vom Schnitzelteller essen oder sich Weihnachten mal nichts schenken.

Wie gesagt, selbst dagegen wäre nichts zu sagen, wenn die individuellen Verhaltensänderungen künftig nicht an sozialen Schichten gebunden wären und das ganze nicht vor dem Hintergrund eines politisch-wirtschaftlichen Systems stattfände, in dem alle individuellen Energieeinsparungen ohne mit der Wimper zu zucken zunichte gemacht werden, nur um den eigenen Hegemonieanspruch durchzusetzen. Vor diesem Hintergrund ist individueller Klimaschutz von vornherein zum Scheitern verurteilt und freiwilliger Verzicht das Unterwerfungsangebot an die vorherrschenden Kräfte.

17. Januar 2008