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LAIRE/164: Harvard-Studie zu den versteckten Kosten von Kohlestrom (SB)


Hunderte Milliarden Dollar externalisierte Kosten durch Kohlestrom in den USA


Nicht zum ersten Mal gelangen Forscher zu dem Ergebnis, daß die versteckten bzw. sekundären Kosten der Energiegewinnung um vieles höher ausfallen als die unmittelbaren Kosten. Und ebenfalls nicht zum ersten Mal werden die Gesundheits- und Umweltfolgen von Kohlestrom bilanziert. Doch die Berechnungen von Paul Epstein, Direktor des Harvard Medical School Center for Health and the Global Environment, und elf weiteren Forschern zeigen am Beispiel der Kohleverstromung in den USA eindrücklich, um welche Größenordnung es sich handelt. Die Forscher erklären in der Studie "Full Cost Accounting for the Life Cycle of Coal", die demnächst in den Annals of the New York Academy of Sciences veröffentlicht werden soll, daß die US-Gesellschaft zwischen 175 Mrd. und 523 Milliarden Dollar jährlich an versteckten Kosten für die Kohlekraftwerke aufbringen muß. [1]

Demnach kostet die Luftverschmutzung durch US-Kohlekraftwerke 187,5 Mrd. Dollar, der Einfluß von Quecksilberemissionen 29,3 Mrd. Dollar und von Treibhausgasemissionen zwischen 61,7 und 205,8 Mrd. Dollar. Bis zu zehn Mrd. Dollar wurden für Umweltschäden aufgrund von giftigen Abwässern, für Eigentums-, Tourismus- und Agrarverluste veranschlagt. [2] Dies sind Unwerte, die der Gesellschaft insgesamt aufgehalst werden. Eigentlich müßte in den USA der Strompreis um 300 Prozent steigen, sollten die externen Kosten der Kohleverbrennung in den Endpreis einfließen.

Vordergründig zählt Kohle noch zu den kostengünstigeren Energieträgern. Darum setzt sich die Kohlelobby gegen den Epstein-Artikel zur Wehr. Darin würden die dauerhaften Wohltaten der Kohleverstromung nicht bedacht, wendet Caomoosa Miller, Pressesprecherin der American Coalition for Clean Coal Electricity, ein. Niedrige Energiepreise gingen mit einem höheren Lebensstandard und einer besseren Gesundheit einher, strich sie die angeblichen Vorzüge der Kohleverstromung heraus. [1] < In der Studie werden Faktoren berechnet, die sicherlich in ähnlicher Form auf andere Formen der Energiegewinnung übertragen werden können. Berechnet wurden zum Beispiel die Zerstörungen als Folge des Klimawandels - wobei davon ausgegangen wird, daß die Kohlendioxidemissionen von Kohlekraftwerken zur Erderwärmung beitragen. Schäden als Folge der Emissionen von Stickoxiden, Schwefeldioxiden, Feinstaub PM2.5 und Quecksilber fanden gleichfalls Eingang in die Bilanz so wie Unfälle mit Eisenbahnwaggons, die Kohle geladen haben, die Belastung der öffentlichen Gesundheit in den Appalachen im Zusammenhang mit Bergbau, Subventionierungen durch die Regierung, und der Wertverlust von aufgelassenen Kohleminen.

Diese Aufzählung an versteckten Kosten läßt ahnen, daß die Zahl von mehreren hundert Milliarden Dollar diskutierbar ist. Ohne nähere Erklärungen und Bewertungen könnte der Eindruck entstehen, daß andere Energieträger keine ähnlich hohen oder gar höhere versteckten Kosten verursachen. Wenn beispielsweise der Flügel eines Windrads über die Autobahn transportiert wird und es zu einem Unfall kommt, müßte dies konsequenterweise als versteckte Kosten der Windenergie berechnet werden. Und die nicht mehr genutzten Kohleminen könnten theoretisch als Lager für verflüssigtes Kohlendioxid dienen - keine angenehme Vorstellung, aber der Faktor müßte in eine Berechnung einfließen.

Im übrigen hinterläßt auch der Abbau von Quarzsanden für Solarzellen Löcher in der Landschaft, die renaturiert werden müßten. Zudem ist es aus gesamtgesellschaftlicher Sicht kein Verlust, wenn sich ein Bergwerksarbeiter wegen seiner Staublunge die Seele aus dem Leib hustet und zum Arzt geht ... das steigert das Bruttoinlandsprodukt, und Arzt, Arzthelferin, der Röntgenologe und der Apotheker, später vielleicht auch das Kurbad, verdienen gut daran.

Mit diesen Anmerkungen soll weder behauptet werden, daß die versteckten Kosten der Kohleverstromung für die Gesellschaft vernachlässigbar sind noch daß sie für die verschiedenen Energieträger gleich hoch sind. Da in Studien über die Vor- und Nachteile von Energieträgern oftmals nur begrenzte Auswirkungen Eingang finden, sollte an der Harvard-Studie wertgeschätzt werden, daß sie die Kosten des Kohlestroms vom Abbau der Energieträgers, seiner Verbrennung und schließlich der Verbringung der Abfälle und Filterung der Abluft zu berechnen versucht hat.

Vergleichbare Berechnungen lassen sich auch zur Energiebilanz aufstellen: Zur Energiegewinnung aus Kohle muß ein großer energetischen Aufwand in der gesamten Produktionskette betrieben werden, was zu der Frage führt, ob alles in allem dabei nicht mehr Energie verbraucht wird, als schließlich aus der Kohle gewonnen wird. Ähnlich wie die versteckten Kosten des Kohlestroms der Gesellschaft aufgelastet werden, wird auch der Energieverbrauch externalisiert.


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Anmerkungen:

[1] "Coal's hidden costs top $345 billion in U.S.-study", Reuters, 16. Februar 2011
http://www.reuters.com/article/2011/02/16/usa-coal-study-idUSN1628366220110216

[2] "South Africa: Revealed - the Cost of Electricity From Coal", West Cape News (Cape Town), 23. Februar 2011
http://allafrica.com/stories/201102230446.html

24. Februar 2011