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LAIRE/196: Grüne Gentechnik & Co - High-Tech-Pflanzen dem Klimawandel nicht gewachsen (SB)


Auch wer eine Sackgasse betritt ...

kann eine Zeitlang das Gefühl des Fortschritts haben


Der menschheitsgeschichtliche Übergang vom Sammler und Jäger zum Ackerbauern und Viehzüchter vor rund 12.000 Jahren gilt als enormer Fortschritt. Nach heutigen Erkenntnissen haben unsere Vorfahren auf veränderte Umweltentwicklungen reagiert, und es war vermutlich kein Zufall, daß in jener Zeit des Neolithikums auch ein Bevölkerungswachstum einsetzte. Konnte doch aufgrund der Vorratshaltung eine größere Zahl von Menschen ernährt werden. Wobei bei der Fortschrittsvorstellung leicht vergessen wird, daß die seßhaft gewordenen Menschen bei Ernteausfällen schwerste Hungersnöte erlitten.

Die einmal ausgelegte Saat der Menschheitsentwicklung ging in doppelter Hinsicht auf: Von damals zu heute wurden die landwirtschaftlichen Erträge exorbitant gesteigert; auch hat die Zahl der Menschen gewaltig zugenommen. Der moderne Ackerbauer läßt seine landwirtschaftlichen Flächen aus dem All beobachten und bringt mit satellitengesteuerten Traktoren präzise, auf den Quadratmeter berechnete Düngermengen aus. Die Ähren des heutigen Getreides sind dank generationenalter Züchtungen prall gefüllt und stehen auf kurzen, festen Halmen in einer einzigen Schnitthöhe von Horizont zu Horizont, so daß sie maschinell perfekt geerntet werden können.

Doch trotz allen technologischen Fortschritts läßt sich feststellen, daß die Nahrungsnot nicht bewältigt wurde. Mit dem angeblichen Fortschritt nahm der Mangel sogar zu. Jeder siebte Mensch leidet heute Hunger, und ein weiteres Siebtel kann sich dauerhaft nicht ausreichend ernähren. Wer weiß, ob unsere Vorfahren in der Jungsteinzeit nicht ausgestorben wären, hätten die Sippen und Verbände so schlechte Überlebensvoraussetzungen besessen wie die Menschen heute. Damals wechselten sich gute mit schlechten Jahren ab - heute gibt es nur schlechte Jahre, immerfort, alle paar Sekunden verhungert ein Mensch. Die Produktionssteigerung hat den Nahrungsmangel in der Welt nicht beendet.

Das hat entscheidend, aber nicht allein mit der reinen Erntemenge zu tun. Auch die gesellschaftliche Organisation und vorherrschende Produktionsweise spielt mit hinein. Wenn beispielsweise ein Drittel bis zur Hälfte des in den USA angebauten Maises zu Treibstoff verarbeitet wird, ist das Nahrung bzw. ein Futtermittel, mit dem andernorts der Hunger behoben werden könnte. Aber unter den gegenwärtigen gesellschaftlichen Bedingungen der profit- und wachstumsgetriebenen Marktwirtschaft, nach denen die menschliche Arbeit verwertet wird, genügt die produzierte Erntemenge nicht, um alle Menschen auf dem hohen Anforderungsniveau, wie es in den Industriegesellschaften üblich ist, zu ernähren.

In den Medien wird häufiger die Ansicht vertreten, daß die weltweit produzierte Nahrungsmenge reichen müßte. Da wird dann schon mal der globale Kalorienverbrauch miteinander abgeglichen, indem - rein rechnerisch - der vermeintliche Wohlstandsspeck der Reichen den Armen zugeschoben wird. Bei einer solchen Berechnung wird vernachlässigt, daß in "Kalorienverbrauch" das Wort "Brauchen" steckt. Die heutigen Menschen stehen unter einem gewaltigen Leistungsdruck und bewegen sich in einem Umfeld, in dem vielleicht Maschinen funktionieren, aber das nicht für Menschen geeignet ist.

Den Sammlern und Jägern wäre es wohl auf den Tod nicht eingefallen, einen "Arbeitslatz" einzunehmen und tagein, tagaus, Monat für Monat, Jahr für Jahr, ein Leben lang nur wenige repetetive Bewegungen zu machen, die räumlich präzise und zeitlich aufs engste getaktet den Anforderungen beispielsweise am Fließband einer Autofabrik entsprechen; oder die Augen und die Aufmerksamkeit tagein, tagaus, Monat für Monat, Jahr für Jahr, ein Leben lang, die größte Zeit des Tages auf einen Bildschirm zu richten, davor zu sitzen und kognitive Vorgänge per Fingermotorik in die erwünschten Resultate umzuwandeln. Kurzum: Ohne einen hohen Kalorienverbrauch keine Industriegesellschaft.

Es heißt, in Schwellenländern wie China änderten sich die Ernährungsgewohnheiten der Menschen, sie würden anfangen, mehr Fleisch zu essen. Möglicherweise spielt hierbei die höhere Anforderung eine Rolle, und zwar nicht irgendeine Leistungsanforderung, sondern die oben beschriebene mit dauerhaft extrem eingeschränkter, geradezu geschienter Motorik.

Beim Thema Hunger melden sich die Vertreter der Grünen Gentechnik und sagen, daß die globale Nahrungsnot nur mit Hilfe mikrobiologischer Methoden behoben werden könne. Den Gentech-Apologeten schwebt vor, daß der Ackerbau von der neolithischen über die grüne zur genetischen Revolution weitergeführt wird. Die gezielte Hybridisierung von Saatgut werde Pflanzen hervorbringen, die perfekt an jeden Umweltstandort angepaßt sind.

Es wird tatsächlich "gezielt" bei der Grünen Gentechnik, denn es werden mit biologischem Zellmaterial und Markern befrachtete Goldpartikel auf das Saatgut geschossen, in der Hoffnung, daß bei irgendeinem Korn der Zellkern getroffen wird, der das gewaltsam eingebrachte Material behält und "vererbt", und daß die daraus keimenden Pflanzen über Eigenschaften verfügen, die im ursprünglichen Samen nicht angelegt waren. Die Bezeichnung "Schrotschußverfahren" für diese Zuchtmethode zeigt allerdings, daß ein "gezieltes" Vorgehen, wie es im übrigen das geometrisch-physiologische Modell der Gentechnik - Stichwort: DNS-Doppelhelix, vier Kodierungsbuchstaben, RNS-Kopiervorgänge, etc. - nahelegt, nicht stattfindet.

Wenn aber der von Wissenschaftlern prognostizierte Klimawandel in den nächsten Jahren oder Jahrzehnten anfängt, landwirtschaftliche Flächen mehr als bisher üblich Streß aufgrund von Hitze, Dürre, Überschwemmungen, Winderosion, UV-Strahlung oder Verlust an organischen Bestandteilen auszusetzen, ist es sehr, sehr fraglich, ob die Pflanzenzüchter mit der Herstellung ihrer Produkte an die veränderten Klima- und Umweltbedingungen hinterherkommen.

So haben die industriellen Zuchtprodukte aus dem Pflanzenreich eine vergleichbare Zurichtung und Einschränkung erfahren wie die im Zuge der industriellen Revolution für die Produktion unterworfenen Menschen. Ein Spitzenprodukt der modernen Züchtungsforschung liefert nur unter bestimmten Bedingungen hohe Erträge. Stimmt das Klima nicht, verkarstet der Boden oder stehen nicht auf die Pflanzen abgestimmte chemische Mittel zur Unkraut- und Insektenbekämpfung zur Verfügung, wird die Ernte geringer ausfallen. Und die Nachbauten gentechnisch veränderter Sorten bringen sowieso meist geringere Erträge, weshalb die Landwirte auch deswegen (und natürlich aus rechtlichen Gründen) jedes Jahr lizenziertes Saatgut kaufen müssen.

Mögen die Laborversuche der Gentechniker noch so ausgefeilt sein und sie sich innovativster Mittel und Methoden bedienen, der eigentliche Streßtest steht den Produkten erst im Freiland bevor. Schon manches gentechnisch veränderte Zuchtergebnis ist an den Bedingungen, denen es ausgesetzt wurde, gescheitert und hat nicht die Erwartungen der Bauern erfüllt, obgleich vorangegangene Versuche vielversprechend waren. Aber zu guter Letzt war die Pflanze eben doch nicht perfekt auf die ihr zugedachte Umgebung eingestellt worden, oder es hatten sich die natürlichen Parameter verschoben.

Wie in der Massentierhaltung bestimmte Verhältnisse geschaffen werden müssen, damit die eingesperrten, auf das Ansetzen von Fleisch oder Legen von Eiern getrimmten Tiere möglichst nicht krank werden oder gar vor lauter Streß sterben, benötigen auch pflanzliche Zuchtergebnisse ein bestimmtes Umfeld, um zu gedeihen. Es ist anzunehmen, daß unter dem Eindruck des Klimawandels die weitere Spezifizierung der Saaten bei gleichzeitigem Trend der Landwirtschaft zu Monokulturen, wie es nicht nur in der Grünen Gentechnik, aber insbesondere dort praktiziert wird, die Nahrungsversorgung der Menschheit noch mehr gefährden wird als heute.

Angesichts der prognostizierten erratischen Klimaverhältnisse entsteht somit der Eindruck, daß die Pflanzenzucht in eine Sackgasse geführt und die Nachfahren der einstigen Sammler und Jäger, also uns, genau nicht von den Zwängen, denen wir mit Seßhaftigkeit und Bewirtschaftung ein Schnippchen zu schlagen versuchten, befreit, sondern in eine beinahe unentrinnbare Abhängigkeit gebracht hat. Die Grüne Gentechnik, deren patentiertes Saatgut einem strengen Lizenzierungssystem unterworfen ist und allein von daher gewaltige Abhängigkeiten schafft, führt aus dieser Sackgasse nicht heraus, sondern tiefer in sie hinein.

23. Februar 2012