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LAIRE/217: Tödliche Folgen - Energieträger Kohle unter die Lupe genommen (SB)


Neue Studien zu "Kollateralschäden" der Kohleverstromung



Während in Deutschland die Bundesminister Rösler und Altmaier anscheinend die Energiewende zurückschrauben wollen und in der Bevölkerung eine Stimmung erzeugen, als gingen morgen die Lichter aus, wenn weiter wie bisher so viele Windräder aufgestellt und Photovoltaik-Paneele aufs Dach geschraubt werden, stirbt in Europa alle 30 Minuten ein Mensch vorzeitig als Folge der Verbrennung klimaschädlicher Kohle. Die ist jedoch Bestandteil des energetischen Gegenmodells der deutschen Regierung. Als "Brückentechnologie" könnten Kohlekraftwerke wohl noch über die Mitte des Jahrhunderts hinaus in Betrieb sein.

Mit Braun- und Steinkohle wird fast 50 Prozent des elektrischen Stroms in Deutschland erzeugt, wobei die Braunkohle nahezu ausschließlich aus heimischer Produktion stammt. Dagegen laufen Umweltschützer Sturm. Denn der Rohstoff erweist sich als der klimaschädlichste Energieträger überhaupt. Außerdem werden für ihn ganze Landschaften, im Hambacher Forst sogar mit uraltem Baumbestand, vernichtet.

Ein solches Energiekonzept kann man schon als Perversion bezeichnen: Im großen Maßstab müssen Pflanzen sterben, um bereits gestorbene Pflanzen in zu Kohle verdichteter Form zu verbrennen. Dadurch heizt der Mensch das Klima an, womit er am eigenen Ast der Überlebensvoraussetzungen sägt. Denn der Meeresspiegel steigt, Trinkwasser wird unbrauchbar, Siedlungs- und Agrarflächen gehen unter.

Eine Folge der Energie"gewinnung", bei der es doch sehr fraglich ist, ob es sich um einen Gewinn handelt, hat vor kurzem die Health and Environment Alliance (HEAL) in einem 46-seitigen Bericht mit dem Titel "The Unpaid Health Bill" am Beispiel von Europas Kohlekraftwerken geschildert. [1]

Mit dem Titel, der übersetzt "Die unbezahlte Gesundheitsrechnung" lautet, ist gemeint, daß nicht der Verursacher die Kosten der gesundheitlichen Folgen der Braunkohleverstromung trägt, sondern die Gesellschaft. Dem Bericht zufolge sterben nicht nur 18.200 Europäer vorzeitig, es kommt auch zu 8.500 neuen Fällen von chronischer Bronchitis, und wegen der Krankschreibungen gehen vier Millionen Arbeitstage pro Jahr verloren. Die ökonomischen Gesundheitskosten aus der Verbrennung von Braunkohle in Europa betragen laut HEAL jährlich bis zu 42,8 Milliarden Euro.

Einen in mancher Hinsicht ähnlichen Report hat ebenfalls vor kurzem die indische Sektion der Umweltschutzgruppe Greenpeace gemeinsam mit dem Conservation Action Trust (CAT) über Kohlekraftwerke in Indien veröffentlicht. [2] In "Coal Kills" - Kohle tötet - berichten die beiden Umweltorganisationen, daß jedes Jahr 100.000 Inder vorzeitig aufgrund der Kohleverstromung sterben, viele Millionen erkranken und dies Kosten in Höhe von drei bis vier Milliarden Dollar verursacht.

Entweder gebe es gar keine Standards für die Emissionen eines Kohlekraftwerks oder sie blieben "beschämend" hinter denen der EU-Staaten, der USA und sogar China zurück, sagte CAT-Gründer Debi Goenka. [3] Dem Bericht zufolge hat Indien Vorschriften zur Luftqualität erlassen, aber keine Begrenzung von Emissionen an Schwefeldioxid, Stickoxiden und Quecksilber und auch keine Standards für einzelne Kohlekraftwerke vorgenommen. Darüber hinaus stellen Aschestaub und Staub aus der Kohleverarbeitung ein ungeregeltes Problem dar.

Letzteres ist allerdings keine Eigenart allein der Kohlegewinnung in Indien. Auch in Deutschland sind die Menschen, die in einer Randlage des Braunkohletagebaus leben, erhöhten Staubbelastungen ausgesetzt und weisen entsprechend gehäufte gesundheitliche Beeinträchtigungen auf.

Indien deckt rund 66 Prozent seines Energiebedarfs mit Kohle ab. Die Regierungskoalition unter Premierminister Manmohan Singh hat in ihrem jüngsten 5-Jahres-Plan, der bis 2017 geht, der Kohleverstromung einen hohen Stellenwert eingeräumt. Und der Mehrbedarf Indiens an Energie ist enorm. Erstens sind noch immer fast 400 Millionen Einwohner nicht an die öffentliche Stromversorgung angeschlossen, zweitens kommt es regelmäßig zu Stromausfällen, und drittens verzeichnet das zweitbevölkerungsreichste Land der Erde ein permanentes Wirtschaftswachstum und damit einen wachsenden Energiehunger.

Bilanzierungen, wie sie von HEAL vorgenommen wurden, zeigen, daß die Kritik an der Braunkohleverstromung von verschiedenen, teils einander gegenüberstehenden Standpunkten aus erfolgen kann. Die Organisation macht durchaus auf einen Widerspruch aufmerksam, wenn sie auf die großen Ausfallzeiten an Arbeitstagen verweist. In die gleiche Kerbe schlägt sie, wenn sie die von der Kohleindustrie externalisierten Gesundheitskosten in Rechnung stellt. Man fragt sich allerdings, ob für die Organisation der Widerspruch behoben wäre, wenn ein Unternehmen weniger Krankentage verzeichnet und damit konkurrenzfähiger wird. Greenpeace India und Conservation Action Trust hingegen argumentieren deutlicher auf die unmittelbare Not der Menschen zugespitzt und bringen dies in dem plakativen Titel ihres Berichts zum Ausdruck: Kohle tötet.


Fußnoten:

[1] http://www.env-health.org/IMG/pdf/heal_report_the_unpaid_health_bill_how_coal_power_plants_make_us_sick_final.pdf

[2] http://www.greenpeace.org/india/Global/india/report/Coal_Kills.pdf

[3] http://www.energy-daily.com/reports/Report_Indias_coal_power_a_killer_999.html

15. März 2013