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LAIRE/260: Kohleverstromung ausgebremst (SB)


United Kingdom zeitweise ohne Kohlestrom

Deutschlands "sozialverträglicher" Kohleausstieg trägt zu ganz und gar sozialunverträglichen Verhältnissen bei


Na bitte, geht doch! Im United Kingdom (UK) ist die Kohleverstromung zusammengebrochen, und die Lichter sind nicht ausgegangen. Im Vergleich zum vergangenen Jahr schrumpfte der Kohleverbrauch bei unseren Noch-EU-Partnern um 70 bis 80 Prozent. Damit zeigt sich das Land als Vorreiter im Klimaschutz, zählen doch Kohlekraftwerke zu den stärksten Emittenten des Treibhausgases Kohlenstoffdioxid (CO2). Wie die Website Carbon Brief unter Berufung auf Regierungsangaben meldete, haben die Erhebung einer Kohlenstoffsteuer, der Ausbau der erneuerbaren Energien und die Schließung mehrerer Kohlekraftwerke zu diesem Klimaschutzerfolg beigetragen. [1]

Wenngleich die wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen von UK und Deutschland verschieden sind, gibt es doch so viele Gemeinsamkeiten, daß sich die Frage geradezu aufdrängt, warum die Bundesregierung nicht sehr viel mehr unternimmt, um sich ebenfalls rasch von der Kohle zu verabschieden. An sozialverträglichen Ausstiegskonzepten hierfür mangelt es jedenfalls nicht.

Im April 2015 hatte die britische Regierung die Kohlenstoffsteuer auf fast 25 Euro die Tonne angehoben. Da die Kraftwerke dem Europäischen Emissionshandelssystem unterworfen sind, mußten sie fortan rund 30 Euro pro ausgestoßene Tonne CO2 bezahlen. Dadurch wurden Anreize geschaffen, den Kohleverbrauch zu senken und auf andere Energieträger umzusteigen. Prompt gingen im März dieses Jahres drei Kohlekraftwerke vom Netz. Das war auch der Monat, in dem in UK erstmals seit Beginn der industriellen Revolution vor über 150 Jahren überhaupt keine Kohle verstromt wurde!

In den nächsten neun Jahren wollen die Briten sämtliche Kohlekraftwerke abstellen. Die deutsche Regierung hingegen hat einen "Klimaschutzplan 2050" aufgestellt, in dem die Weichen ihrer Klimapolitik festgelegt und in dem keinerlei konkrete Angaben zum Zeitpunkt des Kohleausstieg formuliert werden. [2]

Aus anderen offiziellen Dokumenten und Verlautbarungen geht hervor, daß in Deutschland vermutlich auch 2040, 2045 noch Kohlestrom produziert werden wird. Hinzu kommt, daß ab dem Winterhalbjahr 2018/19 eine Kapazitätsreserve für den Notfall vorgehalten wird. Falls die Stromanbieter zu wenig Strom eingekauft haben und ihren Lieferverpflichtungen nicht nachkommen, werden Kohlekraftwerke hochgefahren, die lediglich als Reserve bereitstehen. Für die Kosten der Kapazitätsreserve werden die Steuerzahler mit 50 bis 100 Mio. Euro jährlich zur Kasse gebeten. In früheren Berechnungen war noch von 130 bis 260 Mio. Euro die Rede. [3]

Die gegenwärtigen Veränderungen des globalen Klimas, insbesondere in der Arktis, zeigen sehr genau, daß es höchste Zeit ist, die Treibhausgasemissionen drastisch zu verringern, und das möglichst schon seit gestern. Die Vorstellung, man könne die 2015 im UNFCCC-Klimaschutzabkommen von Paris beschlossenen Grenzwerte von zwei oder gar 1,5 Grad Temperaturerhöhung gegenüber der vorindustriellen Zeit bis Ende des Jahrhunderts einhalten, weil nach einer Phase des Überschreitens dieser "Leitplanken" der Kohlenstoff wieder aktiv aus der Atmosphäre entfernt werden könnte, dürfte sich als folgenschwere Fehleinschätzung erweisen. In den Natursystemen existieren sogenannte Kippunkte, bei deren Überschreiten ein einmal begonnener Vorgang nicht mehr aufzuhalten ist. Das Abschmelzen des westantarktischen Eisschilds ist so ein Kippunkt, und er ist wahrscheinlich schon überschritten. Kommen im Laufe dieses Jahrhunderts noch weitere hinzu, platzt die Traumblase der "negativen Emissionen", wie die aktive CO2-Entnahme aus der Luft genannt wird.

Das wird eine Zukunft sein, die alles andere als sozialverträglich ist, werden doch beispielsweise bei einem Meeresspiegelanstieg von ein, zwei oder noch mehr Metern Hunderte Millionen Menschen ihre Heimat verlieren und flüchten müssen. Ohne einen raschen Kohleausstieg in Deutschland und anderen Ländern und einen fundamentalen Wandel des Produzierens und Konsumierens läuft der Planet auf Verhältnisse zu, in denen Naturkatastrophen zur neuen Normalität werden.


Fußnoten:

[1] https://www.carbonbrief.org/two-charts-show-how-uk-coal-use-is-collapsing

[2] http://www.bmub.bund.de/fileadmin/Daten_BMU/Download_PDF/Klimaschutz/klimaschutzplan_2050_bf.pdf

[3] http://www.capital.de/dasmagazin/gabriel-strompuffer-kraftwerk-reserve-energiewende-oekostrom-8123.html

28. Dezember 2016


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