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LAIRE/261: Nitratbericht - Deutsches Grundwasser stark belastet (SB)


Gülle und Dünger in Grund- und Oberflächenwasser

Bundesregierung plant keine Abkehr von der Massentierhaltung


Das Grundwasser in Deutschland ist nach wie vor hochgradig nitratbelastet. Zu dieser wenig überraschenden, da jahrelang bekannten Erkenntnis kommt der sogenannte Nitratbericht der Bundesregierung an die EU-Kommission. [1] Wie die NOZ meldete, weisen fast ein Drittel - 28 Prozent - der Meßstellen nahe landwirtschaftlichen Gebieten eine Nitratkonzentration über dem Grenzwert von 50 Milligramm pro Liter auf. [2] Hintergrund ist das übermäßige Ausbringen von Gülle. Aber auch Kunstdünger beeinträchtigt die Wasserqualität in Deutschland. So wurden an 65 Prozent der Meßstellen an Seen und Flüssen die Grenzwerte für den mit der Düngung ausgebrachten Phosphor überschritten. Weil sich politisch nichts getan hat, hat die EU-Kommission im vergangenen Herbst Klage gegen die Bundesregierung eingereicht, die somit Maßnahmen ergreifen muß, um drohenden Strafzahlungen zu entgehen.

Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) hat bei der Präsentation des neuen Nitratberichts auf das geplante, strengere Düngerecht verwiesen: "Wir müssen wirklich noch ernsthaft gegensteuern", griff sie das Offensichtliche auf, nicht zuletzt mit Blick auf die Abstimmung des Bundestags über die Novelle des Düngegesetzes am 19. Januar. [3]

Die Nitrat- und Phosphatbelastung der Gewässer gefährdet die Artenvielfalt auf dem Lande, die sowieso bereits durch die Massentierhaltung und Intensivlandwirtschaft bedroht wird. Eine Folge dieser Entwicklung: Heute dienen immer häufiger die Städte den Tieren als Rückzugsraum, früher war es das Land. Beispielsweise erzielt auch die Imkerei in Großstädten wie Berlin und Hamburg im Durchschnitt deutlich mehr Honig als auf dem Land, weil es dort immer weniger Blütenpflanzen gibt. Die Minderung der Grundwasserqualität durch Nitrate schlägt auch negativ auf den Menschen zurück, denn die Belastungen sind besonders für Schwangere und Kleinkinder problematisch.

Hauptverursacher der Gülleverbringung und Überdüngung ist die Massentierhaltung und Intensivlandwirtschaft. Das Problem ist allerdings komplexer, als daß es mit der schnellen Erklärung, die Bauern seien schuld an der mangelhaften Wasserqualität, behoben werden könnte. Denn die Politik legt die Rahmenbedingungen zur Erzeugung landwirtschaftlicher Produkte fest. Wenn also immer wieder Genehmigungen für Ställe der Massentierhaltung erteilt werden und Umweltschäden als Folge der Massentierhaltung wie beispielsweise die Minderung der Wasserqualität externalisiert, also der Gesellschaft aufgelastet werden, dann wird dies wie in jedem anderen Wirtschaftsbereich von entsprechenden Akteuren genutzt.

Welche Politik wiederum gemacht wird, hängt von mehreren Faktoren ab, unter anderem sicherlich dem Einfluß verschiedener Lobbyorganisationen. Der Deutsche Bauernverband (DBV) als Interessenvertretung der in der Regel größeren landwirtschaftlichen Betriebe und Agrarkonzerne nutzt durchaus mit Erfolg seine Möglichkeiten, daß eine in Berlin und Brüssel seinen Interessen genehme Politik betrieben wird. Wohingegen die Interessenvertretung der in der Regel kleineren landwirtschaftlichen und eher biologisch anbauenden Betriebe, die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) seit Jahren mit bescheidenem Erfolg darum kämpft, an Einfluß zu gewinnen. Würde hingegen dessen bevorzugtes Anbaumodell mehrheitlich von den Bauern eingesetzt, wäre damit zu rechnen, daß sich die Wasserqualität in Deutschland verbessert.

Doch auch an dieser Stelle ist das Problem komplexer, als es mit einer Schuldzuweisung an die Massentierhaltung und ihre Verbandsvertretung getan wäre. Ohne eine entsprechend große Nachfrage (im In- und Ausland) nach Fleisch, Eiern, Milch und Milchprodukten zu erschwinglichen Preisen entständen erst gar keine Höfe mit Massentierhaltung. Sicherlich versuchen die Erzeuger in dieser Branche auch von sich aus, den Bedarf nach ihren Produkten zu wecken, das heißt, sie sind an einem hohen Konsum interessiert und fördern ihn dementsprechend. Aber letztlich ist niemand gezwungen, ihre Produkte zu kaufen. Und wenn der Massentierhaltung und Intensivlandwirtschaft nicht die Möglichkeit zugestanden würde, einen erheblichen Teil der entstehenden Kosten für die von ihnen ausgelösten lokalen und globalen Umwelt- sowie Gesundheitsschäden abzuwälzen, würden wahrscheinlich andere landwirtschaftliche Produktionsmodelle überwiegen, zumal sich Fleisch mit Sicherheit verteuerte.

Wenn in Deutschland nur noch Bioprodukte in kleinbäuerlichen Betrieben angebaut würden, wären dann all die oben genannten Probleme behoben? Viele davon sicherlich, aber es könnten auch neue entstehen. Wenn beispielsweise flächendeckend Biogetreide und Biogemüse produziert und keine Chemiecocktails als Schädlingsbekämpfungsmittel eingesetzt werden, würden sich möglicherweise Schädlinge viel schneller ausbreiten, die in der bisher betriebenen biologischen Landwirtschaft einigermaßen in Schach gehalten werden - wenn auch häufig mit größerem Aufwand, als wenn man sie kurzerhand totspritzte.

Vielleicht fänden die Schädlinge in einer Biolandwirtschaftsrepublik Deutschland so gute Lebensbedingungen vor, daß sie ihre Vermehrungsrate und Mobilität erheblich steigern würden. Schließlich war es alles andere als Zufall, daß sich ursprünglich die industrielle aus der biologischen Landwirtschaft heraus entwickelt hat, um letzten Endes die Erträge zu steigern. Das Rad an den Beginn dieser Entwicklung zurückdrehen zu wollen, hieße, das Risiko einzugehen, daß sich vielerorts Nahrungsmangel einstellt. Lebensmittel würden sehr viel teurer werden, was im heutigen Wirtschaftssystem bedeutet, daß die ärmeren Menschen - so wie einst - hungern müßten. Es sei denn, der Staat intervenierte.

Aber würde er intervenieren? Und falls ja, bis zu welchem Grad? Dazu ein Blick auf die heutige Lage: Im ernährungsmäßig vergleichsweise gut versorgten Deutschland greifen mehr als eine Million Menschen auf Lebensmittel von den Tafeln zurück. Der Staat hat sich eindeutig aus der sozialen Verantwortung gestohlen und überläßt die Versorgung privaten und kommunalen Initiativen. In einer Zukunft, in der der industrielle Anbau durch den biologischen ersetzt wurde, wäre mit keiner Abkehr von der Verantwortungslosigkeit zu rechnen. Das heißt, ein solcher Umbau der Landwirtschaft könnte mit schwerwiegenden sozialen Folgen verbunden sein.

Mit dem von der Umweltministerin vorgestellten Nitratbericht und anderen Maßnahmen versucht die Bundesregierung, die Vorgaben der EU gerade eben zu erfüllen. Der Massentierhaltung wird jedoch kein Riegel vorgeschoben. Auch die klimarelevanten Aspekte der Tierproduktion werden von der Bundesregierung in ihrem Klimaschutzbericht 2050 nicht berücksichtigt.

Ausgehend vom gegenwärtig dominierenden landwirtschaftlichen Produktionsmodell könnte ein erster Schritt, um der oben angedeuteten vielfachen Probleme Herr zu werden, darin bestehen, sämtliche externalisierten Kosten der industriellen Landwirtschaft zu erfassen und sie anschließend in die Produktion einzubeziehen. Das beträfe auf jeden Fall die Kosten, die für die Trinkwasseraufbereitung aufgebracht werden, müßte aber beispielsweise auch die Entstehung von Antibiotikaresistenzen in der Massentierhaltung, die Feinstaub- und Luftschadstoffemissionen aus den Großbetrieben der Massentierhaltung, etc. adäquat einschließen. Es dürfte nicht unberücksichtigt bleiben, daß ein bestimmtes Produktionsmodell die Artenvielfalt beeinträchtigt und daß es ernährungsbedingt gesundheitliche Schäden auslöst und damit Folgekosten erfordert. Und von Anfang an müßte mitberücksichtigt werden, daß sich viele Menschen in Deutschland ein qualitativ gutes Lebensmittel nicht leisten können. Bei einer weiteren Verteuerung hätten sie wieder einmal das Nachsehen.


Fußnoten:

[1] http://www.bmub.bund.de/fileadmin/Daten_BMU/Download_PDF/Binnengewaesser/nitratbericht_2016_bf.pdf

[2] http://www.noz.de/deutschland-welt/wirtschaft/artikel/829466/nitrat-im-grundwasser-deutschland-macht-keine-fortschritte

[3] https://www.welt.de/newsticker/dpa_nt/infoline_nt/brennpunkte_nt/article160817039/Zu-hohe-Nitratwerte-im-deutschen-Grundwasser.html

3. Januar 2017


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