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LAIRE/262: Grenzzäune - Todesfallen für Wildtiere (SB)


Keine freie Bahn

Wildtiere werden Opfer des Zaun-Booms in Europa


Das 21. Jahrhundert ist nicht nur von der Globalisierung und grenzüberschreitenden Verbreitung fremder Tierarten gekennzeichnet, sondern umgekehrt auch vom Errichten von Grenzzäunen und damit der Einschränkung der natürlichen Bewegungsmöglichkeiten von Tieren. Zudem verenden viele im Stacheldraht der zunehmenden Grenzbefestigungen.

Die Anschläge vom 11. September 2001 in den USA und Ausrufung des Globalen Kriegs gegen den Terror (GWOT) durch die Bush-Administration in den Vereinigten Staaten verhalfen den Herstellern von Zäunen weltweit zu einem regelrechten Schub, da die Staaten begannen, sich vor dem Eindringen bewaffneter Kämpfer zu schützen. Aber auch das wachsende Armutsgefälle, wie zum Beispiel ab Beginn des neuen Jahrtausends zwischen dem relativ wohlhabenden Botswana und dem benachbarten, von internationalen Sanktionen getroffenen und wirtschaftlich unter Druck gesetzten Simbabwe, veranlaßte manche Regierung, entlang der Grenze einen Zaun zu errichten. Von Botswana offiziell als sogenannter Veterinärzaun ausgewiesen, wie er zuvor sowohl innerhalb des Landes als auch in seinem Nachbarland Simbabwe errichtet worden war und die Verbreitung von Tierkrankheiten verhindern sollte, sahen die Simbabwer den neuen Zaun an ihrer Grenze von Anfang vor allem als Maßnahme gegen Flüchtlinge an.

Jene Veterinärzäune haben den ausdrücklichen Zweck, Tiere am Grenzüberschritt zu hindern, da sie womöglich oder nachgewiesenermaßen Überträger von Krankheiten wie der Maul- und Klauenseuche sind. Durch die weltweit meisten Zäune jedoch sollen nicht Tiere, sondern Menschen in ihren Bewegungsmöglichkeiten eingeschränkt werden, und was gleichzeitig mit den Tieren geschieht, findet nur selten Beachtung.

Zum Höhepunkt der sogenannten Flüchtlingskrise im Sommer 2015 hat Ungarn angefangen, seine Grenze mit einem Zaun auszurüsten. Auch Slowenien hat einen Zaun zu Kroatien gebaut, und Österreich wiederum gegen seine südlichen Nachbarländer. Die Balkanroute wurde geschlossen, heißt es in Politikerkreisen mit Blick auf die Flüchtlingsströme. Von einem neuen eisernen Vorhang hingegen sprechen Wissenschaftler und Tierschützer, denn ausgerechnet auf dem Balkan leben noch Bären, Wölfe und Luchse, die große Jagdreviere haben und bis dahin die Grenzen ungehindert passieren konnten. Werden die Tiere durch Zäune dauerhaft in ihren Bewegungsmöglichkeiten eingeschränkt, kann sich das in genetischer Isolierung und zunehmenden Inzuchterscheinungen niederschlagen, was die Tiere krankheitsanfälliger macht. Das wird in einer im vergangenen Jahr in PLoS One erschienenen Studie über den Zaunboom in Europa und Zentralasien beschrieben. [1]

Für Fluchttiere wie Rotwild erweisen sich die Stacheldrahtzäune regelrecht als tödliche Fallen. Wenn sie bei der Futtersuche an den teils rasiermesserscharfen Klingen des Zauns festhaken, können sie in Panik geraten, sich immer mehr verheddern und verenden. Oder aber sie verfangen sich im Zaun, nachdem sie zuvor aufgeschreckt wurden und geflohen sind.

Der Biologe Djuro Huber von der Universität Zagreb in Kroatien hat bei seiner Wanderung an der slowenisch-kroatischen Grenze elf tote Hirsche gezählt, die sich allesamt im Stacheldraht verheddert hatten. Nach Einschätzung des Wissenschaftlers sind die Behörden bemüht, die Körper rechtzeitig zu beseitigen, bevor sie fotografiert werden; das heißt, er geht davon aus, daß die Zahl der am Stacheldraht verbluteten Tiere um einiges größer sein dürfte. Es wurden zwar schon Fellreste von Bären am Grenzzaun entdeckt, aber bislang noch keine Körper, berichtete Aleksandra Majic, Biologin an der Universität von Ljubljana in Slowenien. Ein großer Jagdverband Sloweniens habe rund 50 durch den Grenzzaun getötete Hirsche gezählt (zur Ergänzung: über einen Zeitraum von etwa einem Jahr), Quellen auf kroatischer Seite gäben noch viel höhere Zahlen an. [2]

Sollten die Balkanländer ihre Zäune nicht, wie ursprünglich angedacht, wieder abbauen, sobald das "Flüchtlingsproblem" nicht mehr besteht, und allgemein das Wohlstandsgefälle sowohl innerhalb Europas als auch von Europa zu ärmeren Weltregionen nicht behoben wird, kämen die vermehrten Grenzziehungen als weitere Infrastrukturmaßnahme, die abgesehen von Verkehrswegen und Versorgungsleitungen die Landschaften zerschneidet und teilweise unpassierbar macht, hinzu.

Das Natura-2000-Netzwerk, die EU-Habitatrichtlinie und andere europäische Naturschutzbestimmungen fordern unter anderem den Erhalt des Reviers von Bären. Ein EU-Mitglied darf zwar entlang seiner Grenze einen Zaun errichten, aber nur nach Abstimmung mit dieser Gesetzgebung. Ein Ansatz, den Rückbau der Grenzzäune zu erzwingen, könnte demnach darin bestehen, auf geltendes Recht zu pochen, das beim Bau der Zäune gegen Flüchtlinge nicht eingehalten wurde. Das schlösse jedoch einen grundsätzlich anderen Ansatz nicht aus: Wäre die internationale Staatengemeinschaft ernsthaft daran interessiert, das Wohlstandsgefälle in der Welt aufzuheben, und würde sie erste Schritte in diese Richtung unternehmen, könnte das die Zahl der Flüchtlinge verringern. Dann würden auch die Zäune hinfällig, könnten abgerissen werden, und die Wildtiere hätten wieder freie Bahn ...

Eine naive Vorstellung angesichts des millionenfachen gewaltsamen Tods von Wildtieren im Straßenverkehr. Alle zwei Minuten wird allein in Deutschland ein Reh, Wildschwein, Rothirsch oder Dammhirsch totgefahren. Laut einer Statistik des Deutschen Jagdschutzverbandes (DJV) aus dem Jagdjahr 2014/2015 zusammen über 212.000. [3] Diese jährliche Massentötung wird nahezu kritiklos hingenommen.


Fußnoten:

[1] http://dx.plos.org/10.1371/journal.pbio.1002483

[2] http://e360.yale.edu/feature/aimed_at_refugees_border_fences_are_threatening_european_wildlife/3064/

[3] http://www.jagdverband.de/content/wildunfallstatistik

5. Januar 2017


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