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LAIRE/278: Homo sapiens - auf Kosten aller übrigen ... (SB)



Jährlich werden weltweit ca. 56 Milliarden terrestrische Tiere von Menschen zum Zwecke ihres Verzehrs getötet. Einer noch größeren Zahl an Meeresbewohnern ist das gleiche Schicksal beschieden. Die Menge der von Menschen vernichteten Insekten oder gar Mikroorganismen unter anderem in der Landwirtschaft ist noch um vieles größer. Anscheinend unauflöslich in die Kette der biologischen Verstoffwechslung einer Lebensform durch die andere eingebunden, übt die menschliche Spezies eine beispiellose Vernichtungsgewalt gegenüber ihrer Mitwelt aus.

Neben der gezielten und ungezielten Vernichtung findet auch ein Verdrängen, Vertreiben und Verstümmeln von Tieren in einem kaum auzulotenden Ausmaß statt. Über einen weiteren Aspekt berichtete jetzt eine internationale Forschergruppe, angeführt von zwei Postdoktoranden der School of Life Sciences der Arizona State University (ASU): Die Entstehung von Krebs bei Tieren. Die zunehmende Beeinflussung der Umwelt durch die Menschen in Form von Luftschadstoffen, Plastikmüll, radioaktiver Strahlung, Lichtemissionen und vielem mehr sowie die zunehmende Nähe der Tiere zu menschengenerierten, allzu üppigen Nahrungsquellen wie Müllkippen und selbst das Füttern von Wildtieren sind nach Ansicht der Forscher wahrscheinlich für immer mehr Krebsfälle bei Wildtieren verantwortlich.

"Folglich kann der Mensch als onkogene Spezies definiert werden, der die Umwelt in einer Weise verändert, daß er in anderen Wildpopulationen Krebs auslöst", schreiben die Forscher im Wissenschaftsmagazin Nature [1] und fordern dringend dazu auf, diesen bislang wenig beleuchteten Kontext näher zu untersuchen. Einer der Hauptautoren der Studie, der Postdoktorand Tuul Sepp, sagte laut einer Pressemitteilung der ASU: "Wir wissen, daß manche Viren bei Menschen Krebs auslösen, indem sie ihre Umgebung - in diesem Fall menschliche Zellen - so verändern, daß sie ihnen genehmer ist. Im Prinzip machen wir das gleiche. Wir verändern die Umwelt, damit sie für uns angenehmer ist, wobei sich die Veränderungen negativ auf viele Spezies und auf vielen verschiedenen Ebenen auswirken. Dazu zählt auch die Wahrscheinlichkeit einer Krebserkrankung." [2]

Sepps Kollege Mathieu Giraudeau ergänzt: "Krebs unter Wildpopulationen ist ein vollkommen vernächlässigtes Thema, und wir wollen die Forschungen hierzu anregen."

Einer der vielen Faktoren, weswegen Menschen Krebs entwickeln, ist die sogenannte Lichtverschmutzung. Weil die Nacht vor allem in Städten durch künstliche Lichtquellen hell erleuchtet ist, können hormonelle Veränderungen eintreten, die wiederum Zellen wuchern lassen. Für eine zunehmende Zahl an Tieren, die nahe einer beleuchteten Straße, einer Stadt oder gar in ihr leben, könnte das gleiche gelten. Das Problem besteht darin, daß es nicht mehr dunkel wird. Zum Beispiel reagieren bei Vögeln diejenigen Hormone auf Licht, die bei Menschen mit Krebs in Verbindung gebracht werden. Es wäre also der nächste Schritt zu untersuchen, ob das für die Tiere ebenfalls gilt, sagte Sepp.

In einer anderen Studie, die vor kurzem erschienen ist, wurde die menschliche Spezies als Biomasse gerechnet [3]. Demnach haben die rund 7,6 Milliarden Menschen eine Biomasse von 0,06 Gigatonnen Kohlenstoff (Gt C). Damit ist der menschliche Anteil gering verglichen mit der gesamten Biomasse von 550 Gt C aller pflanzlichen und tierischen Spezies. Der Mensch spielt da in einer Liga mit Termiten, hat allerdings einen ungleich größeren Einfluß auf die meisten anderen Spezies und deren Lebensräume als jene staatenbildenden Insektenbaumeister. Beispielsweise durch die Tierhaltung. Von Menschen gehaltene Hühner und anderes Geflügel haben mehr als doppelt so viel Biomasse (0,005 Gt C) wie alle wildlebenden Vögel zusammengenommen (0,002 Gt C). Und allgemein kommt allen wildlebenden Tieren (0,007 Gt C) nur ein Bruchteil der Biomasse aller sogenannten Nutztiere (0,1 Gt C) zu.

Die negativen Folgen der Intensivtierhaltung sind hinlänglich beschrieben: Gülleschwemme und Überdüngung der Landschaft, vermehrte Algenblüten unter anderem in Binnengewässern und Randmeeren, Geruchs- und Feinstaubbelastung von Anwohnern der Betriebe mit Massentierhaltung, Verschärfung von Antibiotikaresistenzen durch den Einsatz von Mastmitteln. Der Mensch übt somit auch "über Bande" auf seine menschliche und tierliche Mitwelt negativen, mitunter krebsfördernden Einfluß aus. Das alles vor dem Hintergrund, daß die globale Erwärmung, die nach der letzten Kaltzeit vor rund zwölftausend Jahren einsetzte, seit Beginn der Industrialisierung vor rund zweihundert Jahren durch menschengemachte Treibhausgasemissionen enorm beschleunigt wird. Davon sind pauschal alle anderen Spezies betroffen.

Der Mensch hat sich selbst den Namen "Homo sapiens" verliehen. Aus dem Lateinischen übersetzt heißt dies "vernunftbegabter Mensch". Die Bezeichnung könnte treffender nicht sein, wenngleich nicht im üblichen Verständnis, geht doch "Vernunft" von seiner Wortherkunft her auf "nehmen", "ergreifen", im Althochdeutschen "nama" - "gewaltsames Nehmen" und "Raub" - zurück. Der Mensch lebt auf Kosten aller übrigen und hält dies für klug.

Mit der vorherrschenden Annahme, daß diese Überlebensratio dem Menschen ins Blut geschrieben ist, wird die Idee, der Wunsch und das Begehren, hierzu eine Gegenposition zu entwickeln, bereits für gescheitert erklärt, noch bevor solches Ansinnen über den üblicherweise hierzu aufgerufenen Reflektionsapparat, dank dessen Besitz sich der Mensch den Tieren überlegen fühlt, auch nur vorformuliert werden kann.


Fußnoten:

[1] https://www.nature.com/articles/s41559-018-0558-7

[2] https://asunow.asu.edu/20180521-discoveries-asu-are-humans-causing-cancer-in-wild-animals

[3] http://www.pnas.org/content/early/2018/05/15/1711842115

25. Mai 2018


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