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LAIRE/306: Insektensterben - Gifte, Pestizide, Bienentod ... (SB)



Innerhalb von drei Monaten dieses Jahres sind in Brasilien über 500 Millionen Bienen gestorben. Unter dringendem Verdacht, das Massensterben begünstigt oder sogar ausgelöst zu haben, steht der Pestizideinsatz in der Landwirtschaft. Seit Amtsantritt am 1. Januar 2019 wurden unter Brasiliens neuem Präsidenten Jair Bolsonaro 290 Pestizidprodukte zugelassen, berichtete Mongabay. Darunter seien auch Mittel, die in der Europäischen Union und den USA verboten sind. [1]

Auch wenn sich das Bienensterben nicht auf Brasilien beschränkt, sondern weltweit beobachtet wird, und es darüber hinaus auch nicht nur innerhalb der letzten sieben Monate in dem größten südamerikanischen Land auftrat, treibt die agrarindustriefreundliche Bolsonaro-Administration den Trend massiv voran. So hat sie mehr als 1900 zugelassene Pestizide einer Neubewertung unterzogen und die Zahl der als extrem toxisch eingestuften Mittel von 702 auf 43 zusammengestrichen. Als extrem toxisch gelten nur noch solche Pestizide, die, wenn sie geschluckt oder eingeatmet werden oder mit der Haut in Kontakt kommen, lebensbedrohlich sind. Aus der seit 1992 geltenden Kategorie "extrem toxisch" wurden nun jene Mittel herausgestrichen, die "nur" beispielsweise Geschwüre, Hautverätzungen oder Hornhauttrübungen auslösen können. Auf diese Weise zeigt Bolsonaro seine Dankbarkeit gegenüber und tiefe Verbundenheit mit der Agrarwirtschaft, auf deren Unterstützung er im Wahlkampf angewiesen war. Eine Hand wäscht die andere.

Ab Oktober 2018 hatten brasilianische Imker in vier Bundesstaaten über ein Massensterben unter Bienen berichtet. Am stärksten betroffen war Rio Grande do Sul mit seinem ausgedehnten Sojaanbau. Im Unterschied zu Nordamerika und Europa, wo schon seit Jahren ganze Bienenvölker verschwinden und leere Stöcke hinterlassen, sterben die Bienen in Brasilien innerhalb ihrer Behausungen.

Sofern überhaupt Giftigkeitsprüfungen durchgeführt werden und nicht, wie aktuell in Brasilien, zahlreiche Wirkstoffkombinationen auf den Markt kommen, von denen niemand weiß, welche Begleitfolgen sie haben, sind diese naturgemäß eingeschränkt. Man muß in diesem Fall nicht mit dem Finger auf Brasilien zeigen, denn alle Verfahren zur Zulassung neuer Pestizide laufen im Prinzip auf breit angelegte, unkontrollierte Freilandversuche hinaus. Es ist analytisch gar nicht möglich, das Schadenspotential eines Wirkstoffs in seiner ganzen Breite und Vielfalt hundertprozentig zu bestimmen. In Laborexperimenten und auch noch bei Feldversuchen müssen die Parameter eingeschränkt werden, um bestimmte Effekte überhaupt untersuchen zu können. Stets wird abgewogen, welchen Aufwand man betreiben will, um das Gefahrenpotential einer Substanz zu bestimmen.

Unter Umständen wirken Pestizide eben nicht ausschließlich bei Zielorganismen, den "Schadinsekten", sondern zum Beispiel auch bei "Nutzinsekten" wie den Bienen und anderen Bestäubern. Auch synergistische Effekte (Zusammenwirken mehrerer Wirkstoffe) oder Langzeitfolgen beispielsweise durch zunächst unterschwellig bleibende Akkumulationseffekte können niemals gänzlich ausgeschlossen werden.

Jedenfalls hat die Geschichte des chemikaliengestützten Pestizideinsatzes in der Landwirtschaft, angefangen von DDT in den 1950er Jahren bis zu den Neonicotinoiden in den 1990ern, gezeigt, daß die Gefahren außerhalb des Labors und Versuchsfelds häufig falsch eingeschätzt werden. Oder man hat die Gefahren wider besseren Wissens ignoriert. Für die Agroindustrie kann das Verbot von Pestiziden ein gutes Geschäft sein, wenn zum Beispiel der Patentschutz für einen Wirkstoff ausgelaufen ist und an seiner statt ein neues, nunmehr patentgeschütztes Mittel auf den Markt kommt.

Zu den unter Bolsonaro zugelassenen Pestiziden gehören mindestens sechs, die Glyphosat enthalten, obgleich die Internationale Krebsforschungsagentur IARC, die der Weltgesundheitsorganisation (WHO) unterstellt ist, Glyphosat als "wahrscheinlich krebserregend" eingestuft hat. Die brasilianische Regierung hat jetzt neben vielen Wirkstoffen, die zwar bereits einzeln, aber nicht in Kombination zugelassen waren, auch zwei gänzlich neue Wirkstoffe freigegeben, Florpyrauxifen-benzyl und Sulfoxaflor. Ersteres durchläuft zur Zeit in der EU ein Zulassungsverfahren, bei letzterem besteht der Verdacht, daß es Bienen schädigt. In Brasilien wird auch Fipronil verwendet, das seit März 2014 in der EU nicht mehr im Freiland ausgebracht werden darf, nachdem es wahrscheinlich für den millionenfachen Bienentod in Europa verantwortlich geworden war.

Im November 2018 sind in Südafrika mehr als eine Million Bienen im Zusammenhang mit Fipronil umgekommen, meldete die BBC [2], und im vergangenen Jahr verstarben in den USA vier von zehn Bienenvölkern. Massensterben unter Honigbienen werden in diesem Jahr auch aus 20 Regionen Rußlands gemeldet. In den letzten 18 Monaten kamen ähnliche Schreckensmeldungen aus Kanada, Mexiko, Argentinien und der Türkei. [3]

Nicht allein mit den zahlreichen Bränden in diesem Jahr im Amazonas-Regenwald zwecks Ausdehnung landwirtschaftlicher Flächen dreht Bolsonaro an den planetaren Stellschrauben. Auch der Pestizideinsatz in der Landwirtschaft und in dessen Folge der fortgesetzte Massentod unter Bienen wird weitreichende Folgen für die auf die Bestäubungsleistung angewiesene Nahrungsproduktion des Menschen haben. Doch mit solchen Bedenken wird man Bolsonaro nicht erreichen. Er verfolgt bestimmte Interessen und setzt in seiner Politik dementsprechende Prioritäten. Bolsonaro ist Präsident aller Brasilianerinnen und Brasilianer, nur eben nicht der Indigenen, Kleinbäuerinnen und Kleinbauern, Homosexuellen, außerparlamentarischen und parlamentarischen Oppositionellen, Intellektuellen, einfachen Arbeiterinnen und Arbeiter, Nicht-Evangelikalen, Friedensbemühten, Frauen ...

Der Folterbefürworter Bolsonaro wird ein Erbe hinterlassen, an dem zukünftige Generationen lange zu tragen haben, sofern er eine volle Amtszeit übersteht, also ausreichend Zeit hatte, eine Spur der Verwüstung zu hinterlassen. Der Tod der Bienen paßt zu seiner Politik der Rücksichtslosigkeit gegenüber jenen, die in seinen Augen als schwach gelten und nur dazu da sind, seinen Interessen zu dienen.


Fußnoten:

[1] https://news.mongabay.com/2019/08/bolsonaro-administration-approves-290-new-pesticide-products-for-use/

[2] https://www.bbc.com/news/world-africa-46345127

[3] https://www.bbc.com/news/newsbeat-49406369

3. September 2019


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