Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → MEINUNGEN

OFFENER BRIEF/011: EU-Agrarreform - 15% der Direktzahlungen für den ländlichen Raum (BUND SH)


BUND Schleswig-Holstein
Deutscher Verband für Landschaftspflege (DVL)
NABU Schleswig-Holstein
Kiel, 9. April 2013

BUND, DVL und NABU fordern den Erhalt von Mitteln für den ländlichen Raum



Die schleswig-holsteinischen Naturschutzverbände BUND und NABU sowie der Deutsche Verband für Landschaftspflege (DVL) haben sich in einem Offenen Brief an Umweltminister Habeck gewandt. Sie fordern den Minister auf, sich beim Bund und den Ländern vehementer für den Erhalt von Mitteln für den ländlichen Raum einzusetzen. Die Verhandlungen mit der EU-Kommission, dem EU-Parlament und dem Ministerrat zur EU-Agrarreform gehen ab dem 11. April voraussichtlich in die letzte Runde.

Die zu verhandelnden Mittel sind eine wesentliche Voraussetzung für die Gestaltungsmöglichkeiten der Landesregierung im ländlichen Raum notwendige Umwelt- und Naturschutzmaßnahmen umzusetzen. Über diesen Etat können insbesondere Agrarumweltmaßnahmen in der Landwirtschaft umgesetzt werden, die einen Kontrapunkt zu Maisanbau und Intensivtierhaltung setzen. In welcher Höhe Mittel für Schleswig-Holstein verhandelt werden, entscheidet über unsere Möglichkeiten, längst überfällige Maßnahmen zum Erhalt der biologischen Vielfalt, zum Klima- und Gewässerschutz durchzuführen. Dafür muss sich Minister Habeck, nach Ansicht der Verbände jetzt einsetzen.

Raute

Offener Brief

EU-Agrarreform: 15 Prozent der Direktzahlungen für den ländlichen Raum

Sehr geehrter Herr Minister Dr. Habeck,

ab dem 11. April werden die EU-Kommission, das EU-Parlament und der Ministerrat in letzter Runde über die Agrarreform verhandeln. Dabei geht es auch um eine mehr oder weniger gute finanzielle Ausstattung für Schleswig-Holstein (Mittel der "2. Säule"). In welcher Höhe Mittel für Schleswig-Holstein verhandelt werden, entscheidet über unsere Möglichkeiten, längst überfällige Maßnahmen zum Erhalt der biologischen Vielfalt, zum Klima- und Gewässerschutz umzusetzen. Die zur Verhandlung anstehenden Gelder sind eine wesentliche Voraussetzung für Gestaltungsmöglichkeiten der Landesregierung im ländlichen Raum. Im Wesentlichen über den Etat der zweiten Säule können ökologische Maßnahmen für die Gestaltung in der Landwirtschaft umgesetzt werden. Doch diese Option ist durch die jüngsten Beschlüsse des Europäischen Parlaments und des Europarates zur Ausgestaltung der gemeinsamen Agrarpolitik für die Förderperiode ab 2014 in Gefahr, verloren zu gehen - wenn nicht jetzt im Sinne der Länder verhandelt wird!

BUND, DVL und NABU appellieren an Sie, alle Möglichkeiten zur Stärkung der "2. Säule" unbedingt zu nutzen. Zur Disposition bei den Verhandlungen steht, 15 Prozent der Direktzahlungen in die 2. Säule umzuwidmen. Wir bitten Sie eindringlich, bei den anstehenden Verhandlungen auf Bundesebene die notwendige Überzeugungsarbeit zu leisten. Allgemein sind die Beschlüsse des Europäischen Parlaments und des Europarates eine große Enttäuschung. Die Europäische Kommission hatte mit ihren Vorschlägen im Herbst 2011 signalisiert, dass sie in der kommenden Förderperiode verstärkt dem Grundsatz "öffentliche Gelder für öffentliche Güter" folgen wollte. Dieser Grundsatz wird zwar offiziell weiter verfolgt, die Inhalte der Beschlüsse zeigen aber, dass der Reformgedanke offensichtlich weitgehend fallengelassen worden ist. Ein wesentlicher Schritt wäre eine verbesserte finanzielle Ausstattung der 2. Säule gewesen. Hier sind die bisherigen Beschlüsse aber genau gegenläufig. Die 2. Säule wird sogar nach der Festsetzung des EU-Finanzrahmens deutlich stärkere Einbußen gegenüber dem Status quo hinnehmen müssen als die 1. Säule (Direktzahlungen):

Bereits der Vorschlag der Kommission aus dem Jahr 2012 basiert auf dem Fortschreiben des Status Quo ohne Inflationsausgleich, was bis 2020 einer faktischen Kürzung gleichkommt. Dies betrifft besonders die 2. Säule. Nach dem EU-Gipfel sind jeweils 5 Mrd. Kürzung sowohl in der 1. als auch in der 2. Säule vorgesehen. In der deutlich schlechter ausgestatteten 2. Säule bedeutet dies eine Kürzung von 11 Prozent. Deutschland hat keine Sonderzuschläge in der 2. Säule verhandelt. Danach sind zu den 11 Prozent noch weitere 6 Prozent Kürzungen zu erwarten, da sich andere Mitgliedsstaaten Gelder reserviert haben. Zusätzlich wird ein wirksames "Greening" verhindert. Dies ist besonders bedauerlich, da das Greening das Grundgerüst für Biodiversität in der Agrarlandschaft sein muss.

Zusammen mit Maßnahmen aus einer gut ausgestatteten 2. Säule könnten so wirksame Umweltleistungen in Schleswig-Holstein erbracht werden, die einen Kontrapunkt zur weiteren Industrialisierung der Landwirtschaft setzen könnten. Essentieller Bestandteil des Greenings muss gemäß Kommissionsentwurf die Festsetzung von mindestens 7 Prozent ökologischer Vorrangflächen im Ackerland sein. Doch nach den Beschlüssen von Parlament und Agrarrat soll gerade dieser Anteil jetzt nahezu halbiert und somit inhaltlich abgeschwächt werden. Damit wäre jedoch keines der gesteckten Ziele zum Erhalt der Biodiversität auf der EU- bis zur Landesebene erreichbar. Nach den Berechnungen der Kommission sollten immerhin 1/3 der Direktzahlungen der 1. Säule zur Kompensation für die Greening-Leistungen aufgebracht werden. Trotz der nun erheblich reduzierten Greening-Anforderungen ist aber keine Reduktion der Direktzahlungshöhe vorgesehen.

Diese aktuelle Beschlusslage werden eine wirksame Umweltpolitik kaum möglich machen und die Handlungsfähigkeit Schleswig-Holsteins für den gesamten ländlichen Raum erheblich einschränken. In den gesamten GAP-Beschlüssen gibt es derzeit nur eine einzige Option, die es dem Land überhaupt noch möglich machen könnte, seinen umfangreichen Umweltverpflichtungen und -zielen finanziell nachzukommen. So ist vorgesehen, den Mitgliedsstaaten die Möglichkeit zu geben, 15 Prozent aus der 1. in die 2. Säule zu verlagern, um die Kürzungen in der 2. Säule abzufedern. Diese Mittel müssen nicht kofinanziert werden, sondern könnten als 100 Prozent-Förderung von den Ländern verausgabt werden. Gerade durch diese 100 Prozent-Förderung ergeben sich für Schleswig-Holstein attraktive finanzielle Gestaltungsoptionen.

Maßnahmen mit relativ geringen Nutzungseinschränkungen und dementsprechend geringem Kostenbedarf - sogenannte "hellgrüne Maßnahmen" - könnten dank Kofinanzierung von bis zu 90 Prozent durch EU und GAK großflächig angeboten werden. Mit den nicht kofinanzierungsbedürftigen Mitteln aus der Umschichtung könnten hingegen die notwendigen "dunkelgrünen" Spezialmaßnahmen finanziert werden.

Voraussetzung ist, dass die Mittel aus dieser Umschichtung tatsächlich in biodiversitätsfördernde Maßnahmen eingesetzt werden und nicht in Wegebau, Breitbandverkabelung, Aktivregionen-Projekte oder sonstige "harte" Infrastrukturmaßnahmen fließen. Für die einzelnen Landwirte ist diese Verringerung der Direktzahlungen durch die Umschichtung um 15 Prozent keine unzumutbare Belastung, da von ihnen durch das kaum noch wahrnehmbare Greening weniger Leistung gefordert wird. Diese Chance der Umschichtung muss dringend aufgegriffen werden!

Sehr geehrter Herr Minister Dr. Habeck, BUND, DVL und NABU bitten Sie, sich dafür einzusetzen, dass Deutschland die 15 Prozent-Option aufgreift. Nach der offensichtlich verpassten Greening-Chance ist dies die letzte Möglichkeit, bei der neuen GAP-Runde die EU- und Landesziele zum Schutz der Biodiversität finanzierbar zu machen.

Hans-Jörg Lüth
BUND Schleswig-Holstein

Uwe Dierking
Deutscher Verband für Landschaftspflege (DVL)

Fritz Heydemann
NABU Schleswig-Holstein

*

Quelle:
Pressemitteilung und Offener Brief, 09.04.2013
BUND Schleswig-Holstein
Deutscher Verband für Landschaftspflege (DVL)
NABU Schleswig-Holstein
weitergeleitet durch:
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V.
BUND Landesverband Schleswig-Holstein
Lerchenstr. 22, 24103 Kiel
Tel.: 0431/66060-0, Fax: 0431/66060-33
E-mail: bund-sh@bund-sh.de
Internet: www.bund-sh.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. April 2013