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ATOM/316: Teuer und klimaschädlich - Rückbau von Kernkraftwerken (SB)


Britische Behörde schraubt Kosteneinschätzung für den Rückbau von 20 Nukleareinrichtungen erheblich nach oben


Die voraussichtlichen Kosten für die Dekontamination und den Rückbau von 20 britischen Nukleareinrichtungen mußten um 16 Prozent gegenüber den Schätzungen des Vorjahrs heraufgesetzt werden und belaufen sich inzwischen auf mehr als 73 Milliarden Pfund (ca. 110 Milliarden Euro). Das berichtete die britische Zeitung "The Guardian" (11.10.2007) unter Berufung auf eine Mitteilung der Nuclear Decommissioning Authority (NDA) vom Vortag.

Die NDA räumt Unsicherheiten bei der Einschätzung der Kosten für Arbeiten ein, die sich über die nächsten einhundert Jahre erstrecken werden. Die Umweltschutzgruppe Greenpeace gab als Antwort auf die NDA-Zahlen bekannt, daß für Rückbau und Dekontamination der 20 Nukleareinrichtungen vermutlich eher 100 Milliarden Pfund (150 Mrd. Euro) aufgebracht werden müssen.

Welche Zahl nun die zu erwartenden Kosten genauer trifft, soll an dieser Stelle nicht diskutiert werden. Vielmehr sollen hier einige Schlußfolgerungen angesprochen werden: Kernkraftwerke sind weder wirtschaftlich noch klimafreundlich.

Bleiben wir bei der konservativeren Einschätzung von Rückbaukosten in Höhe von 110 Milliarden Euro. Wieviel elektrische Energie müssen die Anlagen produziert haben, allein nur um diesen einen Posten im Gesamtaufwand, den der Bau und Betrieb eines Kernkraftwerks oder einer nuklearen Produktionsstätte erfordern, wieder hereinzuspielen? Und weiter gefragt: Wieviel Energie wird verbraucht, allein nur um den Rückbau der Anlagen zu betreiben? In welchem Verhältnis steht dies zu der Energie, die von den Kernkraftwerken zuvor produziert wurde?

An die Kosten- und Energiefrage koppelt sich eng die Frage nach der Klimafreundlichkeit. Jene 110 Milliarden Euro werden ja für Einrichtungen und Vorgänge aufgewendet, die wiederum Treibhausgase erzeugen. Das fängt mit "Kleinigkeiten" an, daß der bei einem Kernkraftwerk abgerissene Zement abgefahren werden muß oder daß der Fahrer des mit Schutt beladenen Lastwagens bei der Anreise zu seinem Arbeitsplatz Energie verbraucht hat, etc. All das sollte Eingang in die Kohlendioxidbilanz von Kernkraftwerken finden.

Wie komplex eine exakte Berechnung der Klimafreundlichkeit von Kernkraftwerken ist, läßt sich ahnen, wenn man bedenkt, daß für den Rückbau der stark radioaktiv kontaminierten Sektoren der Anlagen womöglich erst eigene Werkzeuge oder andere Einrichtungen entworfen und hergestellt werden müssen, bevor es an die eigentliche Abräumarbeit gehen kann.

Desweiteren hört sich der Begriff Dekontamination recht harmlos an. Doch die verstrahlten Teile werden nicht aus der Welt gezaubert. Beispielsweise wird schwach radioaktiver Stahl eingeschmolzen und mit unbelastetem Stahl vermischt, bis man unter den zulässigen Grenzwerten für radioaktive Belastungen liegt. Anderes Nuklearmaterial muß endgelagert werden. Dafür ist ebenfalls eine komplexe Infrastruktur zu schaffen. Castor-Behälter wachsen nicht auf dem Acker, sie müssen eigens hergestellt werden, was einen hohen energetischen Aufwand erfordert, der sich wiederum in Treibhausgasemissionen umrechnen läßt. Das gleiche gilt für die Glaskokillen, in die radioaktiver Abfall eingeschmolzen werden soll. Auch die Fabrik, die eigens gebaut werden muß, um jene Glaskokillen zu erzeugen, muß Teil der Klimabilanz für Kernkraftwerke sein.

Hier sollen nur sehr fragmentarisch wenige Stationen innerhalb der gesamten Infrastruktur angesprochen werden, die bedacht werden müssen, wenn man behauptet, daß Kernkraftwerke wirtschaftlich und klimafreundlich sind und daß in ihnen mehr Energie erzeugt wird als zuvor in sie hineingesteckt wurde.

Im öffentlichen Diskurs über Vor- und Nachteile der Kernenergie werden Mitteilungen wie die der Nuclear Decommissioning Authority über die Kostenerhöhung für den Rückbau von 20 Nukleareinrichtungen nicht angemessen berücksichtigt. Es ist der Atomlobby gelungen, den allgemeinen Eindruck zu erwecken, Kernkraftwerke seien klimafreundlich.

12. Oktober 2007