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ATOM/337: Japan - Gerichtlicher Stopp des Reaktors Shiga 2 aufgehoben (SB)


Niederlage für besorgte Einwohner

Japanisches Gericht revidiert Betriebsverbot des Reaktors Shiga 2


Ausgerechnet Japan, das regelmäßig von teils sehr schweren Erdbeben heimgesucht wird, deckt rund 30 Prozent seines elektrischen Energiebedarfs durch Kernkraftwerke ab. Nur weil es bislang noch zu keiner schweren Katastrophe an einem der über 50 Nuklearreaktoren aufgrund seismischer Aktivitäten kam, bedeutet das nicht, daß das Risiko eines Bruchs zu vernachlässigen ist. Eine Gruppe von Anwohnern des japanischen Kernkraftwerks Shiga (andere Schreibweise: Shika) in der Präfektur Ishikawa sowie von Einwohnern anderer Präfekturen ist jedenfalls überzeugt davon, daß die Anlage gegenüber seismischen Aktivitäten ungenügend gesichert wurde.

Also haben sie Klage gegen die Betreiberfirma Hokuriku Electric Power Co. eingereicht und zunächst gewonnen. Vor drei Jahren ordnete ein Gericht des Distrikts Kanazawa an, daß die erst wenige Tage zuvor fertiggestellte 1358-MW-Anlage Shiga 2 nicht in Betrieb genommen werden dürfe, bevor nicht Fragen zur Sicherheit geklärt wären. [1] Daraufhin wurden rund 1200 Veränderungen zum angeblich besseren Schutz des Reaktors vor Bebenschäden durchgeführt. Das wurde von der Nuklearen und Industriellen Sicherheitsbehörde und der Nuklearen Sicherheitskommission getrennt voneinander überprüft. Beide kamen zu dem Ergebnis, daß Shiga 2 ausreichend erdbebensicher ist. [2]

Am 18. März 2009 hat ein höheres Gericht die Entscheidung des unteren Gerichts revidiert und den Betreibern grünes Licht erteilt. Der Reaktor Shiga 2 darf hochgefahren werden, es seien "adäquate" Sicherheitsmaßnahmen ergriffen worden, hieß es. Die Beurteilung des Betreibers der aktiven tektonischen Brüche im Umfeld der Anlage und die Berechnungen der seismischen Bewegungen spiegelten das aktuelle Wissen aus Erdbebenstudien wider, befand das höhere Gericht. Die Anlage stelle "keine echte Gefahr für das Leben und die Gesundheit der Einwohner in der Nähe" dar.

Das Unternehmen Hokuriku zeigte sich zufrieden mit dem Urteil und fühlte sich in seiner Einschätzung der geringen Erdbebengefahr bestätigt. Man werde sich weiterhin bemühen, das Vertrauen der Öffentlichkeit zu gewinnen und den Betrieb der Anlage sicher zu machen, ließ man verlauten.

Die beiden Shiga-Reaktoren haben eine bewegte Geschichte hinter sich. Im August 1999, kurz nach Beginn der Bauarbeiten für Shiga 2, hatten erstmals 135 Anti-Atomkraft-Aktivisten und Anwohner Klage eingereicht, weil ihrer Meinung nach der Reaktor zu erdbebenanfällig konzeptioniert war. Und bei einer Sicherheitsinspektion im Juli 2006 wurden Brüche in Turbinenblättern entdeckt; solche Schäden waren zuvor bei Turbinen des baugleichen Reaktors Hamaika 5 der Chubu Electric Power Co. festgestellt worden. Eigentlich hatte Hokuriku beabsichtigt, Shiga 2 im Mai 2007 im Anschluß an die Reparatur der Turbinen wieder hochzufahren, aber dann stellte sich heraus, daß die Betreiber einen gravierenden Unfall vom 18. Juni 1999 in Shiga 1 vertuscht hatten.

Damals war es während eines Routinetestlaufs zu einem kritischen Ereignis gekommen, das heißt zu einer unkontrollierten nuklearen Kettenreaktion, die etwa 15 Minuten dauerte und unverzüglich hätte gemeldet werden müssen. [3] Den Angaben zufolge wurde niemand verstrahlt. Drei der 89 Brennstäbe waren auseinandergebrochen, wodurch in einem Teil des Reaktors die unkontrollierte nukleare Kettenreaktion einsetzte. Die automatische Notabschaltung hatte versagt.

Die Kläger glauben, daß auch der neue Reaktor nicht erdbebensicher ist, obgleich die japanische Regierung vor zwei Jahren den Wert, bis zu dem ein Kernkraftwerk geschützt sein muß, von der Erdbebenstärke 6,5 auf 6,8 nach der Richterskala hinaufgesetzt hat. Später behauptete das Betreiberunternehmen, es erfülle die neuen Standards der Regierung, und erhielt im Juni 2008 für Shiga 2 die Betriebsgenehmigung. Dies wurde nun vom Nagoya High Court bestätigt. [4]

Gegenüber dem privaten Fernsehsender TBS erklärten die Kläger anschließend, daß sie das Oberste Gericht anrufen werden. Ihrer Meinung nach müsse der Reaktor ein Erdbeben der Stärke 7,3 schadlos überstehen. Sie verweisen unter anderem auf den Unfall vor zehn Jahren, als zwar in Shiga 1 kein Erdbeben zum Bruch der Brennstäbe führte, der aber deutlich machte, wie gefährlich Kernbrennstoff reagiert, wenn er mechanisch beschädigt wird. Zudem verweisen die Kläger auf ein Erdbeben der Stärke 6,8, das im Juli 2007 in Nordjapan auftrat und zu Beschädigungen am Nuklearkomplex Kashiwazaki-Kariwa, dem weltweit leistungsstärksten Kernkraftwerk, führte. Bei dem Beben starben 15 Personen, mehr als 2300 wurden verletzt.

Die ursprünglichen Bestimmungen Japans zur Sicherheit von Kernkraftwerken aus dem Jahre 1978 wurden, wie gesagt, vor zwei Jahren überarbeitet. In den letzten Jahren wurde allerdings im Rahmen geologischer Messungen festgestellt, daß die bisherige Vorstellung von tektonischen Bruchzonen in Japan mitunter ziemlich weit entfernt von dem war, wie es tatsächlich im Untergrund aussah. Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß die Betreiber von Kernkraftwerken vorhandene Bruchzonen bislang gar nicht bemerkt haben. Auch können jederzeit neue Bruchzonen entstehen, und die Natur schert sich nicht darum, daß japanische Kernkraftwerke ab Erdbeben der Stärke 6,8 nicht mehr sicher sind. Die größte aller Gefahren scheint aber von den Menschen selbst auszugehen. Eine Reihe von Vertuschungs- und Verharmlosungsskandalen in der japanischen Nuklearwirtschaft läßt die Sorge der Kläger über den Reaktor Shiga 2 nur allzu berechtigt erscheinen. Die Möglichkeiten, für die Firma unangenehme Erkenntnisse zu unterdrücken und Gutachten zu beschönigen, sind vielfältig.


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Anmerkungen:

[1] "High court overturns Shika 2 shutdown order", 18. März 2009.
http://www.world-nuclear-news.org/RS-High_court_overturns_Shika_2_shut _down_order-1803095.html

[2] "EDITORIAL: Ruling on Shika plant", The Asahi Shimbun (IHT/Asahi), 20. März 2009.
http://www.asahi.com/english/Herald-asahi/TKY200903200077.html

[3] "Hokuriku hid '99 reactor criticality accident. Radiation exposure denied; no coverup record kept", 16. März 2007.
http://search.japantimes.co.jp/cgi-bin/nn20070316a1.html

[4] "Japan court rules nuke plant is quake-proof", AFP, 18. März 2009.
http://green.yahoo.com/news/afp/20090318/wl_asia_afp/japanjusticenuclearquake.html

20. März 2009