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ATOM/340: Oyster Creek - Laufzeitverlängerung für ältestes US-Akw (SB)


Ältestes US-Kernkraftwerk darf zwei Jahrzehnte länger in Betrieb sein

Einwände gegen Oyster Creek abgeschmettert


Kein anderes der 104 Kernkraftwerke in den USA ist länger am Netz als das am 23. Dezember 1969 in Betrieb genommene Akw Oyster Creek in New Jersey. Vor kurzem hat die Nukleare Aufsichtsbehörde der USA, die Nuclear Regulatory Commission (NRC), den Antrag des Betreibers AmerGen, der zu dem Konsortium Exelon gehört, auf Verlängerung der Laufzeit um 20 Jahre genehmigt. [1] Alle Bemühungen seitens Bürgerinitiativen und Nichtregierungsorganisationen wie der Koalition Stop the Relicensing of Oyster Creek [2], den Betrieb dieser permanenten Emissionsquelle für Radionukleotide und diesen potentiellen Gefahrenherd für Unfälle mit der Freisetzung radioaktiver Substanzen blieben erfolglos. Bis zum 9. April 2029 darf Oyster Creek weiter Nuklearmaterial verbrennen.

Die Anti-Atomkraftbewegung hat in den USA zur Zeit einen schweren Stand. Sie muß Gegner bekämpfen, mit denen sie nicht rechnen konnte und denen sie kaum gewachsen ist. So lautet eines der Argumente der Befürworter Oyster Creeks, daß ein Ersatz des 619 MW leistungsstarken Siedewasserreaktors die Chancen New Jerseys, die Kohlendioxidemissionen zu senken, zunichte machen würde. Im ehrgeizigen Global Warming Response Act of 2007 hat sich der Bundesstaat vorgenommen, bis 2020 mindestens 25 Prozent seiner CO2-Emissionen und bis 2050 80 Prozent der CO2-Emissionen bezogen auf das Jahr 2006 zu reduzieren.

Aus klimapolitischen Gründen wäre es deshalb sinnvoller, das Akw weiter zu betreiben und dadurch jährlich 7,5 Mio. Tonnen Kohlendioxid, die bei einem Ersatz durch ein Kohlekraftwerk in die Luft gepustet würden, einzusparen. Das entspräche dem Schadstoffausstoß von rund zwei Millionen Autos und damit fast der Hälfte der in New Jersey zugelassenen Fahrzeuge. (Der Vergleich mit einem Kohlekraftwerk ist geschickt, denn dadurch erscheint die Nuklearenergie umweltmäßig am günstigsten.)

Mit diesem Argument befinden sich die Kraftwerksbetreiber in einer überaus bequemen Position. Sie behaupten, daß man, da das Akw nun mal stehe, es auch nutzen sollte. Dabei unterschlagen sie, daß nicht nur beim Bau, sondern auch Betrieb des Kernkraftwerks und bei der Verbringung des Nuklearabfalls CO2-Emissionen anfallen. Das wird in der Rechnung der Lobbyisten, die das Märchen von der Klimafreundlichkeit von Akws zum besten geben, gern unterschlagen. Die Anti-Atombewegung hat jedoch schlechte Karten, wenn sie in der heutigen Zeit des wirtschaftlichen Niedergangs und der wachsenden Überlebensnot vieler US-Bürger auf bereits zurückliegende oder zukünftige CO2-Emissionen von Kernkraftwerken verweist, um den Weiterbetrieb einer Anlage zu stoppen.

Überhaupt hängt die schwere Finanz- und Wirtschaftskrise wie ein Damoklesschwert über den Häuptern nicht nur der Bürger in den USA. Forderungen von Klimaschützern, die Regierungen sollten die Gelegenheit der Krise, so gern man auch darauf verzichtet hätte, nutzen, um dem systemischen, marktwirtschaftlichen Zwang zur Expansion mit seiner untragbaren Folge des permanenten Verbrauchs endlicher Sourcen wie atmosphärischen Sauerstoff, Trinkwasser, Boden, Tiere, Pflanzen, Mineralstoffe und, last but not least, des Menschen, dessen Verwertung sogar im Mittelpunkt des herrschaftsgestützten und -begründenden System steht, ein für alle Mal ein Ende zu bereiten, verhallen folgenlos. Kernenergie wird zu einer der Säulen der Regierung Barack Obamas. Sein Energieminister Steven Chu gilt als grün gewandet und Befürworter der Nukleartechnologie - was nicht als Widerspruch wahrgenommen wird, wie die fehlgeleitete Behauptung, Akws seien klimafreundlich, beweist.

Abgesehen von solch grundsätzlichen Hindernissen, die von der Anti-Atombewegung allgemein beiseite zu räumen sind, kommt speziell für Oyster Creek hinzu, daß die Betreiber eine geschickte Öffentlichkeitsarbeit pflegen. [3] Sie spielen die philantropische Karte aus, unterstützen die Erforschung von Meeresschildkröten, finanzieren die Errichtung eines künstlichen Riffs und Naturschützern der Rutgers-Universität ein Motorboot, helfen, eine Ölverseuchung im Delaware-Fluß zu beseitigen, und so weiter uns fort. Mit all diesen Maßnahmen lenken sie von der zentralen Erkenntnis ab: Kernkraftwerke sind permanente radioaktive Quellen und eine Gefahr für die Gesundheit, deren Erhalt durch nichts einzukaufen ist. Da nutzt es den Gemeinden im Umfeld nichts, wenn die Akw-Betreiber ihren Fluß säubern helfen oder wenn Naturschützer mit ein paar tausend Dollar eingekauft werden, wenn über den Betrieb des Akw Gesundheit und Leben der Anwohner ruiniert werden. Den Betreibern gelang es jedoch, sich in die Gemeinde zu integrieren und den Eindruck zu erwecken, das Akw böte über Arbeitsplätze hinaus viele Vorteile und gehöre genauso in die Region wie beispielsweise der Bäcker um die Ecke.

Es wurde festgestellt, daß Oyster Creek, auf dessen Gelände 1000 Tonnen Nuklearabfall lagern, zu jenen Kernkraftwerken in den USA gehört, die zwischen 2001 und 2004 mit am meisten radioaktive Emissionen an die Umwelt abgegeben haben, was zu meßbaren Belastungen des Wassers, der Fische, Sedimente und Vegetation nahe der Anlage geführt und Ocean County, dem Standort des Akw, die höchste Krebsrate innerhalb New Jerseys beschert hat. [4] Die Betreiber warten dagegen mit Statistiken auf, denen zufolge die Beschäftigten des Kraftwerks zwischen 2005 und 2008 die geringste Belastung aller Kernkraftwerksarbeiter in den USA ertragen mußten. [3] (Was ein relativer Wert ist und kein absoluter. Er besagt somit nichts über die tatsächliche Belastung und die davon ausgehenden Gesundheitsgefahren.)

Bei einer öffentlichen Anhörung am 31. Mai 2007 über die Umweltfragen hinsichtlich des Antrags auf Laufzeitverlängerung sprachen sich mehrere Einwohner von Ocean County gegen die Fortsetzung des Betriebs aus, was die Organisatoren der Anhörung vom Atomic Safety Licensing Board (ASLB) nötigte, eine komplette öffentliche Anhörung zu der Frage der Überwachung der Korrosion von Rohrleitungen des Primärkreislaufs anzuberaumen. Selbst die Umweltschutzbehörde New Jerseys, NJDEP (Department of Environmental Protection), monierte, daß sich Exelon und NRC bei ihrer Bewertung der Umweltrisiken auf 30 Jahre alte Studien beriefen, und verweigerte zunächst seine Zustimmung für den Weiterbetrieb Oyster Creeks. Doch am 8. April dieses Jahres waren sämtliche Einwände abgeschmettert und alle offiziellen Sicherheitsauflagen angeblich erfüllt worden, so daß die Anwohner weitere zwei Jahrzehnte mit einem veralteten Kernkraftwerk in ihrer Nachbarschaft werden leben müssen.


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Anmerkungen:

[1] http://www.philly.com/inquirer/local/20090409_Oyster_Creek_nuclear_plant_gets_20 -year_license_renewal.html

[2] http://www.reuters.com/article/environmentNews/idUSN0324750620080103?feedType=RSS&feedName=environmentNews&rpc=22&sp=true

[3] http://www.oystercreeklr.com/philanthropy.html

[4] http://www.radiation.org/spotlight/070612_oystercreekreport.html

13. April 2009