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ATOM/359: USA - Studie über Krebshäufigkeit und Nuklearstandorten geplant (SB)


Legitimationshilfe für den Bau neuer Atomkraftwerke

US-Regierung läßt Krebshäufigkeit in der Nähe von Nuklearstandorten untersuchen


Mehr als drei Jahrzehnte nach dem Beinahe-GAU des Akw Three Mile Island will die US-Regierung erstmals wieder neue Kernkraftwerke bauen. Der Plan ist Bestandteil einer Reform der Energieversorgung, die einerseits das Land von der Abhängigkeit von Erdöl- und Erdgasimporten befreien und andererseits Klimaschutzaspekte berücksichtigen soll. Daß durch den Bau neuer Kernkraftwerke keineswegs die Erdölimporte verringert werden, wird zwar in Fachkreisen diskutiert, in der öffentlichen Debatte jedoch kaum zur Kenntnis genommen. Umfragen zufolge steigt in der US-Bevölkerung die Akzeptanz von Kernenergie; außerdem überwiegt inzwischen die Ansicht, daß die Energieversorgung wichtiger ist als der Umweltschutz.

Dieser Umschwung in der öffentlichen Meinung geht zweifelsfrei auf den zunehmenden ökonomischen Druck auf die Bevölkerung zurück. Durch die Mortgage-Krise haben viele Bürger ihr Haus, dessen Hypotheken sie nicht mehr bezahlen konnten, verloren; der Benzinpreis ist für amerikanische Verhältnisse empfindlich gestiegen; die Arbeitslosigkeit nimmt dramatisch zu; die privaten Suppenküchen müssen immer mehr Bedürftige mit leeren Mägen nach Hause schicken. Die Zahl der Anspruchsberechtigen von Lebensmittelmarken hat die Marke von 35 Millionen überschritten; viele Städte und Gemeinden sind so verarmt, daß sie öffentliche Einrichtungen schließen, den Straßenbau verkommen lassen und sich Schritt für Schritt aus der Versorgung der Bevölkerung herausziehen.

Angesichts dieser zugespitzten Verhältnisse wundert es nicht, daß sich die Bürger Sicherheit wünschen und nach jedem Strohhalm greifen, der ihnen hingehalten wird. Und die Atomwirtschaft hat es schon immer verstanden, negative Entwicklungen zu nutzen und sich als Retter in der Not zu präsentieren, sei es bei der mangelnden Energieversorgung, dem Klimawandel und seit neuestem auch der Proliferation. [1]

Doch trotz aller Beschönigung der vermeintlich kontrollierten nuklearen Kettenreaktion in Kernkraftwerken haftet den Meilern noch immer der Ruch an, potentiell gesundheitsgefährlich zu sein. Entweder weil sie schon mal explodieren können wie 1986 in Tschernobyl oder weil sie im normalen Dauerbetrieb Strahlenpartikel an die Umwelt abgeben.

Deshalb wird in den USA zeitgleich mit der Renaissance der sogenannten zivilen Nutzung der Kernenergie (die von jeher ein Spin-off-Effekt des Wunschs nach der ultimativen Zerstörungswaffe, der Atombombe, war und sich alles andere als "zivil" verhalten hat, wie die lange Geschichte der Unfälle mit Freiesetzung radioaktiver Substanzen belegt) eine neue Studie zum Krebsrisiko durch Kernkraftwerke vorbereitet. Zwei Jahrzehnte nach der Veröffentlichung eines NCI-Report, dem Bericht des Nationalen Krebs-Instituts über die Krebshäufigkeit in der Nähe von Kernkraftwerken, hat die Nuclear Regulatory Commission (NRC) den National Research Council und das Institute of Medicine gebeten, eine neue, genauere Untersuchung zum Krebsrisiko durchzuführen. [2]

Gegenwärtig werden die Einzelheiten der Studie ausgearbeitet. So weit bekannt, werden die Flächen, in denen das Krebsrisiko bestimmt wird, nicht mehr an den Counties (Bezirken) orientiert, sondern sie werden kleinräumlicher festgelegt. Bei der NCI-Studie wurden mehr als 900.000 Krebs-Todesfälle aus dem Zeitraum 1950 bis 1984 aus dem Sterberegister von 107 Counties untersucht, in denen entweder ein Kernkraftwerk stand oder in deren Nähe eine der 62 Nuklearanlagen lag. Die Studie vermochte keine signifikante Häufung von Krebsfällen festzustellen. Schon damals wurde die Aussagekraft der Untersuchung in Frage gestellt, weil Counties als Bemessungsgrundlage zu groß waren, um einen Zusammenhang zwischen Krebstoten und Nähe zu Kernkraftwerken nachzuweisen.

Wie grundsätzlich problematisch kausale Zuordnungen von möglichen radioaktiven Emissionen, ihren Immissionen und der Krankheitsanfälligkeit der Bevölkerung sind, hat die deutsche KiKK-Studie (Kinderkrebs in der Umgebung von Kernkraftwerken) aus dem Jahr 2007 gezeigt. Darin wurde herausgefunden, daß sich die Krebswahrscheinlichkeit bei Kindern unter fünf Jahren im Umkreis von fünf Kilometern um die Kernkraftwerke in Deutschland erhöht. Besonders auffällig war die Häufung bei Leukämie. Dennoch beweist nach Ansicht des Bundesamts für Strahlenschutz diese statistische Auffälligkeit nicht, daß Kernkraftwerke bei Kindern unter fünf Jahren Krebs auslösen können. Die Studie beweist allerdings auch nicht das Gegenteil, solange sich die Experten nicht auf einen oder mehrere Ursachen der Krebshäufung geeinigt haben. Das statistische Phänomen kann nicht geleugnet werden, Eltern mit kleinen Kindern hätten gute Gründe, nicht in der Nähe von Kernkraftwerken wohnen zu wollen.

Mit der hier nur in Grundzügen angesprochenen Kontroverse um die KiKK-Studie soll auf die Problematik - man könnte mit einiger Berechtigung auch von der Unmöglichkeit sprechen - eines wissenschaftlichen Beweises auf der Basis epidemiologischer Untersuchungen aufmerksam gemacht werden. Der gesunde Menschenverstand sagt, daß es besser wäre, keine Kleinkinder in der Nähe der Nuklearanlagen wohnen zu lassen - der wissenschaftliche Experte erklärt hingegen, daß deren Schädlichkeit nicht nachgewiesen wurde.

Im übrigen mangelt es der NCI-Studie von 1990 an einer echten Vergleichsmöglichkeit. Die Forscher hatten zwar die Krebshäufung von Counties, die sich nicht in der Nähe von Nuklearanlagen befanden, zum Maßstab genommen, aber was wäre, wenn die Krebshäufigkeit in sämtlichen Counties der USA als Folge der bis in die 1960er Jahre hinein oberirdisch durchgeführten Kernwaffenversuche angestiegen wäre? Würde das nicht die Ergebnisse verfälschen, weil der Effekt dieser Verstrahlung den möglichen Effekt einer Verstrahlung durch Kernkraftwerke überprägt hätte? Wenn das zuträfe, würde es heute in den USA insgesamt weniger Krebstote geben, wenn nicht Forscher die Atombombe und ihr Abfallprodukt, das Kernkraftwerk, erfunden hätten.

Was ist von der neuen Studie in den USA zu erwarten? Selbstverständlich sollte man davon ausgehen, daß sie ergebnisoffen durchgeführt wird. Aber wenn selbst die KiKK-Untersuchung und andere Studien, die zumindest einen auffälligen statistischen Zusammenhang zwischen Nuklearbetrieben (wie zum Beispiel der Wiederaufbereitungsanlage Sellafield) und Krebshäufigkeit bei Kindern aufzeigen, nicht zur politischen Konsequenz des Atomausstiegs geführt haben, dürfte eine neue US-Studie daran ebenfalls nichts ändern. Alle anderen Resultate dienen jedoch zur Legitimation der Laufzeitverlängerung bestehender und des Baus neuer Kernkraftwerke.


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Anmerkungen:

[1] http://nuclear-news.net/

[2] "NRC Asks National Academy of Sciences to Study Cancer Risk in Populations Living Near Nuclear Power Facilities", NRC NEWS, U.S. NUCLEAR REGULATORY COMMISSION, No. 10-060, 7. April 2010
http://www.nrc.gov/reading-rm/doc-collections/news/2010/10-060.html

9. April 2010