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ATOM/371: Wirtschaftskrise - befristeter Beistand für Anti-Atombewegung der USA (SB)


Sinkender Bedarf an elektrischer Energie in den USA führt zu einem Aufschub von Akw-Neubauten


Unter Präsident Barack Obama vollzieht die US-Administration eine tendenzielle Abkehr von der erdölgestützten Energieversorgung und bevorzugt als Ersatz Agrotreibstoffe. Außerdem will sie die Atomtechnologie weiter ausbauen. Fast dreißig Jahre nach dem Beinahe-GAU von Three Mile Island in Harrisburg, in denen in den USA keine neuen Akws gebaut wurden, haben Obama und sein Energieminister, der Physik-Nobelpreisträger Steven Chu, eine Renaissance der Atomtechnologie auf der Agenda.

Doch die Pläne für Akw-Neubauten werden mangels Bedarf an Elektrizität auf die lange Bank geschoben. Die Finanz- und Wirtschaftskrise sowie die relativ günstigen Preise für Erdgas lassen den Bau neuer Atomkraftwerke zum gegenwärtigen Zeitpunkt unattraktiv erscheinen. Das sagte der Präsident und CEO des Nuclear Energy Institute (NEI), Marvin Fertel, kürzlich auf dem Jahrestreffen der World Nuclear Association in London. [1] Erdgas werde weiterhin die Hauptquelle der neuen Energieproduktion bleiben, erklärte er. In den zurückliegenden 15 Jahren wurden in den USA 320 GWe aus Gaskraftwerken dazugewonnen, wohingegen alle anderen Zubauten nur auf eine Summe von 20 GWe kamen.

Gegenwärtig durchlaufen zwar dreizehn kombinierte Bau- und Betriebslizenzen, die 22 neue Akws repräsentieren, das Prüfungsverfahren durch die US Nuclear Regulatory Commission (NRC), erklärte Fertel, aber die Industrie rechne nicht damit, daß tatsächlich so viele Meiler in naher Zukunft errichtet werden. Sollten vier bis acht Reaktoren bis 2020 in Betrieb gehen, wäre das ein "erfolgreicher Start" für die Akw-Neubauten.

Der unverhoffte Beistand für die US-amerikanische Anti-Atom-Bewegung scheint somit nur einige Jahre Aufschub zu gewähren. Wenn dieser Zeitraum nicht genutzt wird, um die gesellschaftlichen Widerstandskräfte gegen diese zentralistische und überteuerte, die Umwelt und Gesundheit gefährdende Technologie zu bündeln und der Bewegung Wucht zu verleihen, werden sich die Vereinigten Staaten in einen Atomstaat verwandeln, der genauso wie Deutschland eine unkontrollierbare, unberechenbare Technologie begonnen hat, ohne daß das seit mehr als einem halben Jahrhundert anstehende Problem der sicheren Endlagerung hochradioaktiven Mülls gelöst worden wäre. Ähnlich wie die "Erkundung" - ein versteckter Endlagerausbau - des Salzstocks Gorleben jahrelang ausgesetzt wurde und jetzt wieder aufgenommen werden soll, steckt die Obama-Administration keine Gelder mehr in die Erschließung des in Nevada liegenden Endlagerstandorts Yucca Mountain. Der hat sich als geologisch völlig ungeeignet erwiesen - auch dieser Aspekt ist bei Gorleben anzutreffen.

Vier bis acht neue Atomreaktoren, die innerhalb der nächsten zehn Jahre elektrischen Strom produzieren, wären aus Sicht der US- Nuklearwirtschaft sicherlich eine Erfolgsgeschichte - vom Standpunkt einer Bevölkerung, die zunehmend verarmt und aufgrund dessen kaum Nutzen von einem solch zweifelhaften energetischen Zugewinn haben dürfte, handelt es sich selbst bei der Ankündigung einer Verzögerung für Akw-Neubauten aus dem Mund eines Lobbyisten der Atomwirtschaft um eine Horrormeldung. Beweist diese doch, daß sich lediglich die Bedingungen ein klein wenig ändern müssen, dann würden in den USA wieder Atomkraftwerke aus dem Boden gestampft. Eine globale Renaissance der Atomtechnologie ist trotz mancher gegenteiligen Tendenzen nicht zu erkennen - aber ein Verzicht für die nächsten Jahrzehnte ebenfalls nicht.


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Anmerkungen:

[1] "US new build plans delayed", World Nuclear News, 17. September 2010
http://www.world-nuclear-news.com/NN-US_new_build_plans_delayed- 1709108.html

20. September 2010