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ATOM/373: MIT-Forscher um Zeitgewinn für Umgang mit US-Atommüll bemüht (SB)


Ungeklärte Endlagerfrage der USA

US-Experten wollen Strahlenmüll hundert Jahre lang in Zwischenlagern auskühlen lassen


The Future of the Nuclear Fuel Cycle - die Zukunft des Nuklearbrennstoffkreislaufs - unter diesem Titel wurde in den USA eine neue Studie veröffentlicht, die Maßstäbe für die zukünftige Atomenergiepolitik des Landes setzen könnten. Die Forscher der Energy Initiative des renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge widersprechen der verbreiteten Vorstellung, daß in absehbarer Zukunft die weltweiten Uranvorräte eine begrenzende Größe für den Ausbau der Atomkraft darstellen. Auch ohne Wiederaufbereitung von abgebrannten Brennelementen würde die heutige Reaktortechnologie einen wichtigen Beitrag für den Klimaschutz leisten, da die Akws die mit fossilen Brennstoffen betriebenen, CO2-emittierenden Kraftwerke ersetzen könnten. Weitere Forschungen seien erforderlich, um den günstigsten nuklearen Brennstoffkreislauf der nächsten Generation zu bestimmen.

Ernest J. Moniz, Leiter der MIT Energie Initiative und Co-Autor der neuen Studie, berichtete, daß die Vorstellung, die Uranvorräte seien begrenzt, zur jahrzehntelangen Entwicklung und Erforschung des Schnellen Brüters verleitet hätte. [2] Da dieser unwirtschaftlich arbeitet, schlagen die Forscher vor, Natururan oder abgereichertes Uran einem Brutreaktor, der mit angereichertem Uran betrieben wird, mit der gleichen Geschwindigkeit, wie der Kernbrennstoff verbraucht wird, hinzuzufügen. Diese Art von Brüter würde im Unterschied zum Schnellen Brüter kein Plutonium erzeugen, was die Proliferationsgefahr verringere. Die Forscher räumen allerdings ein, daß bislang nur wenige abklopfbare Daten vorliegen, ob ein solcher Kreislauf wirklich praktikabel und wirtschaftlich konkurrenzfähig ist. Deshalb fordern sie weitere Untersuchungen, so daß bessere Entscheidungen getroffen werden können.

Das US-Energieministerium hat in seinem aktuellen Haushalt keine Gelder zur weiteren Erkundung und Erschließung des zentralen atomaren Endlagers in Yucca Mountain, Bundesstaat Nevada, ausgewiesen. Für die Forscher ist das kein Problem. Sie schlagen vor, daß die radioaktiven Abfälle bis zu hundert Jahre in regionalen Zwischenlagern verbleiben. Dort werde der Strahlenstoff auskühlen und sei anschließend leichter zu handhaben. Unterdessen bestünde genügend Zeit, neue Technologien zu entwickeln und dann zu entscheiden, ob das Material als Ressource für die Wiederaufbereitung oder als Abfall, der schließlich in eine geologische Formation verbracht wird, anzusehen sei.

Des weiteren raten die Autoren der Obama-Administration, Bürgschaften für die ersten Akw-Neubauten zu übernehmen, und schlagen vor, Akws als Klimaschutzmaßnahme einzusetzen und anzuerkennen, gegebenenfalls im Rahmen eines CO2-Emissionshandelssystems. Nach Einschätzung der Studienautoren repräsentieren die laufenden 104 Atomkraftwerke der USA 70 Prozent aller kohlenstoffemissionsfreien elektrischen Stromproduktion.

Aus den hier in knapper Form wiedergegebenen Kernaussagen der 36seitigen Studie läßt sich unschwer ablesen, daß die MIT-Forscher entschiedene Befürworter der Atomkraft sind. Immerhin gehen sie locker darüber hinweg, daß sich die Vereinigten Staaten vor über einem halben Jahrhundert auf eine Technologie eingelassen haben, ohne zu wissen, wie der aufgebrauchte Strahlenstoff am Ende der Produktionskette sicher gelagert werden kann. (Wobei ein Großteil des hochradioaktiven Materials, für das Yucca Mountain vorgesehen war, aus der Atombombenproduktion stammt.) Das alles macht rein gar nichts, scheinen die Forscher zu glauben, denn man kann ja den Strahlenstoff in zahlreichen Zwischenlagern verbringen. Daß das eine eine permanente Unfallgefahr darstellt, stört sie nicht. Unterschlagen wird auch, daß der Abbau von Uran mit extremen Umwelt- und Gesundheitsschäden einhergeht und daß eine verteilte Aufbewahrung der radioaktiven Substanzen eine strenge militärische Überwachung und Sicherheitsarchitektur erfordert, wie sie Robert Jungk als Atomstaat bezeichnet hat.

Zu all dem kommt hinzu, daß Akws keineswegs CO2-frei sind. Was ist von Wissenschaftlern zu halten, die unerwähnt lassen, daß das Natururan unter hohem Energieeinsatz aus dem Fels gestemmt, chemisch behandelt und angereichert werden muß, was Energie kostet? Und daß auch der Rückbau von Akws und die Verbringung des Strahlenstoffs energieaufwendig sind? Das alles mit dem Schlagwort "kohlenstofffrei" vom Tisch zu fegen zeugt entweder von fahrlässiger Unkenntnis oder von Voreingenommenheit. Letzteres dürfte zutreffen. Die Studie wurde von Atomkonzernen und ihren Lobbyisten wie Electric Power Research Institute, Idaho National Laboratory, Nuclear Energy Institute, Areva, GE-Hitachi, Westinghouse, Energy Solutions und Nuclear Assurance Corporation finanziert. Eine andere als der Atomtechnologie zugewandte Studie war von den MIT-Forschern der Energy Initiative nicht zu erwarten.

Moniz gehört zu der Blue Ribbon Commission on America's Nuclear Future, die im Januar dieses Jahres vom Energieministerium gegründet wurde, damit sie politische Maßnahmen zum Umgang mit dem Nuklearmaterial am hinteren Ende des atomaren Brennstoffkreislaufs evaluiert. Deshalb besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür, daß die Ergebnisse der aktuellen Studie in die Politik der US-Regierung der nächsten Jahre einfließen werden.


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Anmerkungen:

[1] "The Future of the Nuclear Fuel Cycle. An Interdisciplinary MIT-Study", MIT, 16. September 2010
http://web.mit.edu/mitei/docs/spotlights/nuclear-fuel-cycle.pdf

[2] "MIT releases major report: The Future of the Nuclear Fuel Cycle", Presseerklärung des MIT, 16. September 2010
http://www.mit.edu/press/2010/nuclear-report-release.html

23. September 2010