Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → REDAKTION

ATOM/379: Asse und Krebs - Ausrede "statistischer Zufall" (SB)


Statistische Verschleierung der höheren Krebshäufigkeit um radioaktives Endlager Asse


In ihrer ersten offiziellen Stellungnahme zur auffälligen Krebshäufung in der Samtgemeinde Asse bemüht die Bundesregierung eine vertraute, wenngleich inakzeptable Erklärung: Zufall.

Die Parlamentarische Umweltstaatssekretärin Ursula Heinen-Esser beantwortete eine Bundestagsanfrage der Grünen damit, daß das gehäufte Auftreten von Leukämie unter Männern und Schilddrüsenkrebs unter Frauen in der Samtgemeinde Asse "nicht durch die Strahlenbelastung aus der Asse erklärt werden" kann. Eine Analyse seltener Krebserkrankungen in einer kleinen Region unterläge "zwangsläufig starken statistischen Schwankungen", sagte Heinen-Esser laut der "Braunschweiger Zeitung". Bei solchen Auswertungen in einer bestimmten Anzahl von Gemeinden könnten höhere Erkrankungsraten "allein aufgrund des statistischen Zufalls" gefunden werden. "Um den beobachteten Anstieg mit Strahlung erklären zu können, müsste nach den vorliegenden wissenschaftlichen Kenntnissen über die Entstehung entsprechender Krebserkrankungen die Dosis etwa 10.000 mal höher sein als beobachtet." [1]

Mit der Erklärung, daß "Zufall" für die Krebshäufung verantwortlich ist, wird eine Antwort geliefert, die vor der Komplexität der Aufgabe, die schädigenden Einflüsse genauer zu bestimmen, kapituliert. "Zufall" ist ein Beruhigungsbegriff und meint eigentlich "Schicksal".

Zwar trifft es zu, daß bei kleineren statistischen Datensätzen mit einer größeren Schwankungsbreite der Krebshäufigkeit und -verteilung zu rechnen ist [2], aber dadurch wird das einzelne Auftreten von Krebs zu keinem Zufall und schon lange nicht zu einem akzeptablen Schicksalsschlag. Hinter jeder Krebserkrankung steckt eine Leidensgeschichte, die durch keinerlei Statistik verwischt werden kann. In einer so wichtigen, existentiellen Frage wie die nach den bestimmenden Faktoren der Krebserkrankung sollte die Regierung nicht vor den Problemen der Aufgabe kapitulieren.

Würde die von Niedersachsen eingesetzte Untersuchungskommission zur Krebshäufung um das radioaktive Endlager Asse ihre Arbeit in dem Glauben aufnehmen, daß "Zufall" verantwortlich ist, könnte man schon nicht mehr von einer ergebnisoffenen Herangehensweise sprechen, sondern müßte von einer zielführenden Ermittlung ausgehen. Nach der Einstellung: Die Asse kann es nicht sein, weil unsere Radioaktivitätsmessungen das nicht hergeben.

Doch was ist mit der Niedrigstrahlung, der namhafte Experten eine krebsauslösende Wirkung attestieren? Und noch grundsätzlicher könnte man fragen, ob die physikalischen Meßgeräte, die ja immer nur auf bestimmte Aspekte der Strahlung ansprechen, überhaupt in der Lage sind, sämtliche schädigenden Einflüsse von Strahlung auf den Organismus zu erfassen. [3] Zugegeben, letzteres ist spekulativ, aber damit wird sicherlich weniger der Spekulation das Wort geredet als durch fatalistische Konzepte wie "Zufall".


*


Anmerkungen:

[1] Zitiert nach: ZEIT ONLINE, 4.12.2010

[2] Wählte man den Datensatz so klein, daß er die Bewohner nur eines einzigen Haushalts repräsentierte, und eine Person wäre an Leukämie erkrankt, dann läge der Faktor 1 bzw. 100 Prozent für alle Haushalte extrem weit über dem bundesrepublikanischen Durchschnitt, da Leukämie selbstverständlich nicht in jedem Haushalt auftritt.

[3] Ein Meßgerät ist ein Maßstab, der sich durch seine Spezifität auszeichnet. Beispielsweise kann mit einem Quecksilberthermometer nur die Wärmeausdehnung von Quecksilber gemessen werden. Die in heutigen Wetterberichten immer häufiger zu vernehmende Angabe der "gefühlten Kälte" (chill factor) trifft bekanntlich die Kältewirkung sehr viel genauer. Übertragen auf das Beispiel der Strahlenmessung könnte das bedeuten, daß schädigende Strahleneinflüsse gar nicht erst erfaßt werden. So wird beim bekanntesten Strahlenmeßgerät, dem Geigerzähler, der Arbeitsbereich (die Empfindlichkeit) dem Einsatzzweck angepaßt. Es wird also nur das gemessen, was diejenige Person, die die Anpassung vornimmt, zu messen erwartet. Man kann sagen, daß Unerwartetes und Unerwünschtes nicht registriert wird. Darüber hinaus ist festzustellen, daß das Meßgerät selbst grundsätzlich nur auf spezielle Aspekte von Strahlung ansprechen kann und dann bei jedem Reiz, wie immer er zustandekommt, pauschal auf stets die gleiche Weise reagiert.

5. Dezember 2010