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GENTECHNIK/269: Prinz Charles geißelt "Experiment an der Menschheit" (SB)


Britischer Thronfolger für Förderung bäuerlicher Familienbetriebe

Agrokonzerne sorgen für "größte Umweltkatastrophe aller Zeiten"


Sicherlich bedarf es nicht eines Vertreters des britischen Establishments wie Prinz Charles, um auf die Profitinteressen der Agrokonzerne und die umweltzerstörenden Konsequenzen der von ihnen betriebenen Produktionsweisen aufmerksam zu machen. Zumal der Großgrundbesitzer gewiß nicht die Absicht hegt, sich zum Sozialrevolutionär aufzuschwingen, der einen Befreiungskampf für die Kleinbauern in den Ländern des Südens führt. Dennoch weist das Interview, das der britische Thronfolger diese Woche der Zeitung "Daily Telegraph" [1] gegeben hat, einige Stellungnahmen auf - als Analysen sollten man sie nicht bezeichnen -, die im Zusammenhang mit den Anstrengungen der Agrokonzerne zur weltweiten Durchsetzung ihrer Interessen nicht häufig genug erwähnt werden können, solange sich gesellschaftliche Kräfte breitmachen, die der mangelgenerierenden Gentechnik in der Landwirtschaft das Wort reden.

Der Sproß aus dem Hause Windsor, der selbst auf seinem Gut Highgrove ökologisch orientierte Landwirtschaft betreibt, hat sich in der Vergangenheit häufiger gegen Hybridsaat, die mittels sogenannter gentechnischer Verfahren hergestellt wird, gewandt. In dem "Telegraph"-Interview jedoch gingen seine Aussagen über das hinaus, was bisher von ihm zu hören war. Die massenhafte Entwicklung gentechnisch veränderten Getreides berge das Risiko der weltweit schlimmsten Umweltkatastrophe. Die multinationalen Konzerne führten seiner Meinung nach ein "gigantisches Experiment mit der Natur und der gesamten Menschheit durch, das vollkommen fehlgelaufen" sei.

Der britische Thronfolger forderte eine Debatte über "Nahrungssicherheit" und nicht über "Nahrungsproduktion". Das sei entscheidend und werde von den Leuten nicht verstanden. Und sollten sie glauben, daß es doch funktioniere, weil sie eine Form von "schlauer genetischer Technologie" nach der anderen herausbrächten, sei dies die Garantie - da könne man ihn beim Wort nehmen -, für die größte Umweltkatastrophe aller Zeiten.

Zig Millionen Kleinbauern auf der ganzen Welt würden von ihrem Land in "nicht nachhaltige, nicht zu bewirtschaftende, degradierte und dysfunktionale Siedlungsräume von unsäglicher Schrecklichkeit vertrieben".

Das sind starke Worte für jemanden, der im Grunde genommen an der Spitze einer Sozialhierarchie steht, an deren Fundament sich jene von ihm beklagten Kleinbauern befinden. Der Reichtum der Windsors gründet sich unter anderem auf die Raubzüge - politisch korrekt, wenngleich verharmlosend spräche man von Handelsgeschäften - der ehemaligen Kolonialmacht in Afrika.

Als ein an der Landwirtschaft interessierter Mensch, der zudem über die entsprechenden pekuniären Mittel für ausgedehnte Reisen verfügt, ist Prinz Charles viel in der Welt herumgekommen und hat gesehen, unter welch kläglichen Verhältnissen Bauern versuchen, Getreide und andere Nutzpflanzen anzubauen, um sich und ihre Familien am Leben zu erhalten. Deshalb sollte ihm ein persönliches Betroffenheitsempfinden dafür, daß Menschen in Afrika ohne Maschinenkraft mit einem Holzpflug die Erde aufwerfen, um in die Furche ein paar vom Mund abgesparte Samen einzubringen, nicht abgesprochen werden.

Für Großbritannien favorisiert Charles ein System, das sich mehr und mehr auf von Familien geführten landwirtschaftlichen Produktionsgemeinschaften stützen sollte. Auf die Nachfrage, ob damit nicht die Zeit zurückgedreht würde, erwiderte er, daß er das nicht glaube. Es täte ihm leid, aber das sei kein Rückschritt. Damit werde lediglich anerkannt, daß der Mensch mit der Natur und nicht gegen sie ist. "Wir haben viel zu lange gegen die Natur gearbeitet", meinte der Prinz.

Als negatives Beispiel führte er die Grüne Revolution in Indien an. Sie habe kurze Zeit funktioniert, aber nun müsse der Preis dafür bezahlt werden. Er habe die Katastrophe in Punjab gesehen, wo im Übermaß Bewässerungswirtschaft betrieben wurde, weil die Hybridsaaten enorme Mengen Wasser benötigten: "Der Grundwasserspiegel ist verschwunden. Damit haben sie riesige Probleme. Es gibt Pestizidprobleme, und die Komplikationen schlagen nun zurück." Ähnliches wußte er von Westaustralien zu berichten. Dort bestehe das riesige Problem der Versalzung. Das habe er mit eigene Augen gesehen. Das seien nur einige der exzessiven Beispiele für moderne Bewirtschaftungsformen.

An diesen Ausführungen wird deutlich, daß es Prinz Charles nicht darum geht, das Wirtschaftssystem an sich, von dem die Landwirtschaft ein Teil ist und das sich in ihr repräsentiert, in Frage zu stellen. Vielmehr verfolgt er einen Ansatz, wie man ihn auch von weniger gut betuchten Umwelt- und Naturschützern kennt, die sich für den Erhalt der Natur bzw. nachhaltige Bewirtschaftungsformen einsetzen. Damit spricht Prinz Charles vielen Menschen aus dem Herzen - und vielleicht macht ihn genau das zu keinem besonders guten Kandidaten für die Thronnachfolge. In der Vergangenheit hat er sich häufiger zu Themen, für die er sich besonders interessierte, zu Wort gemeldet, auch wenn das seinem Ruf geschadet hat.

Mit dem aktuellen Interview jedenfalls hat er dem britischen Premierminister und seinem Kabinett eine schallende Ohrfeige versetzt, denn die macht sich sehr für die Einführung der Grünen Gentechnik stark. Kürzlich haben sogar britische Wissenschaftler vorgeschlagen, künftig geheimzuhalten, wo Freilandversuche mit gentechnisch veränderten Pflanzen durchgeführt werden, da die Felder immer wieder von Gentechnikgegnern zerstört würden. Man könne aber auch die Felder in Hochsicherheitsbereichen, die rund um die Uhr bewacht werden, anlegen, so die Forscher.

Einzelheiten, wie er sich die künftige Landwirtschaft vorstellt und wie er glaube, das Problem des Nahrungsmangels in der Welt lösen zu können, fragte der "Daily Telegraph" nicht ab. Deshalb geht ein Gutteil der Kritik an Prinz Charles' Ausführungen, derzufolge sie naiv seien, auch am Thema vorbei.

Der Trend zur Monopolisierung ist dem kapitalistischen System immanent. In der Agro- und Lebensmittelbranche hat es auch vor der Verbreitung von Gentech-Pflanzen, die in der ersten Hälfte der neunziger Jahre in den Vereinigten Staaten von Amerika auf den Markt kamen, Unternehmenszusammenschlüsse gegeben. Wenn nun Prinz Charles erklärt, daß es zu einer "absoluten Katastrophe" führt, wenn man sich auf "gigantische Konzerne" für die Lebensmittelherstellung verließe, dann blickt er zwar insbesondere auf die Biotechkonzerne, aber seine Erklärung ist eigentlich umfassender zu verstehen. Jedenfalls nannte der Prinz von Wales dies den "klassischen Weg, um sicherzustellen, daß es in Zukunft keine Nahrung gibt".

Damit widerspricht er den Lobbyisten der Biotechbranche, die immer wieder das Märchen erzählen, daß beim Kampf gegen den Hunger in der Welt auf die Gentechnik in der Landwirtschaft nicht verzichtet werden kann.


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Anmerkungen:

[1] http://www.telegraph.co.uk/earth/main.jhtml?xml=/earth/2008/08/12/eacharles112.xml

14. August 2008