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GENTECHNIK/290: Nahrungsnot in Kenia - Regierung will Gen-Mais einführen (SB)


Schwerste Dürre am Horn von Afrika seit sechzig Jahren

... für Gentech-Konzerne eine frohe Botschaft


Zu Zehntausenden strömen somalische Flüchtlinge gegenwärtig nach Kenia. Sie flüchten vor der anhaltenden Dürre in ihrem Land, obgleich der Nordosten Kenias ebenfalls vom Wassermangel betroffen ist. Aber nicht ganz so schlimm wie ihre Heimat, in der außerdem Bürgerkrieg herrscht. Im kenianischen Flüchtlingslager Dadaab wurden bereits hunderttausende Menschen aufgenommen, es handelt sich um eine Großstadt mit Zelten statt Häusern.

Vom regelmäßig wiederkehrendem akuten Nahrungsmangel sind neben Somalia und Kenia auch alle anderen ostafrikanischen Staaten betroffen. Nach Einschätzung der Vereinten Nationen sind derzeit in Äthiopien, Dschibuti, Eritrea, Kenia und Somalia mehr als zehn Millionen Menschen von Hunger bedroht [1]. Sie hungern, denn Dürre bedeutet abgesehen vom akuten Wassermangel immer auch Verlust von Vieh und Ernte. Die kenianische Regierung hofft nun, mit Hilfe der Grünen Gentechnik die landwirtschaftliche Produktion ankurbeln und das Hungerproblem lösen zu können.

Wie der Direktor der kenianischen Nationalen Sicherheitsbehörde NSA (National Safety Authority), Roy Mugiira, laut Reuters [2] am 29. Juni ankündigte, werde sein Land in Kürze erstmals die Einfuhr von gentechnisch veränderten Mais zulassen, um den Mangel zu beheben. Den Prognosen der Regierung zufolge wird Kenia dürrebedingt für die Saison 2011/12 etwa 14,8 Millionen Sack Mais zu je 90 kg importieren müssen. Die Einzelheiten der Einfuhrbestimmungen werden für diese Woche angekündigt.

Die Regierung Kenias reagiert mit ihrer Entscheidung auf eine Not, die keineswegs allein natürlichen Ursprungs ist, sondern vor allem eine Frage der Produktionsbedingungen. Man könnte von einem Teufelskreis der Verarmung sprechen: In Kenia herrscht Nahrungsmangel, also greift die Regierung auf Nahrung von Produzenten zurück, die von einem globalen Handels- und Wirtschaftssystem, das solche Mangelregionen bestehen läßt, besonders stark profitieren.

Eigentlich lehnen viele Einwohner Kenias und anderer Länder gentechnisch veränderte Produkte ab, da sie wissen, daß die langfristigen gesundheitlichen Folgen dieser Nahrung ebensowenig genügend ausgeforscht wurden wie die Folgen für die Umwelt. Nun verhält es sich aber so, daß mit der Verbreitung der grünen Gentechnik (GM) ein strenges Lizenzierungssystem Einzug hält, das mit zu den strengsten Sortenschutzgesetzen zählt. So werden die Landwirte genötigt, eine zivilisationsgeschichtlich uralte landwirtschaftliche Praxis aufzugeben, nämlich etwas Saat über den Winter aufzuheben, um sie im nächsten Frühjahr auszusäen. Bei der heutigen GM-Saat geht das aus rechtlichen Gründen nicht mehr, die Landwirte müssen Jahr für Jahr Lizenzen entrichten.

Die transnationalen Agrokonzerne stehen an der Spitze eines Trends in der gesamten Landwirtschaft zu immer größeren Betrieben. Um weiter profitträchtige Geschäfte machen zu können, haben sie die grüne Gentechnik erfunden, und um über dieser stark verrechtlichte Form der Landwirtschaft hinaus auch in Zukunft weiter zu expandieren, wird die Idee des Agro- bzw. Biosprits propagiert. Inzwischen wandern 40 Prozent des in den USA erzeugten Maises in die Herstellung von Treibstoff, ein erheblicher Anteil daran entfällt auf den GM-Mais [3].

Wir haben es also mit zwei Entwicklungen zu tun: Auf der einen Seite ein eklatanter Bedarf an Nahrung unter Millionen verarmten Einwohnern Ostafrikas, bzw. rund einer Milliarde Menschen weltweit. Auf der anderen Seite Agrokonzerne, die Mais für Treibstoff produzieren, weil sie von den Abnehmern mehr Geld erhalten, als sie jemals auch nur annäherungsweise von den Hungernden für den Mais erhielten [3]. Das wiederum liegt daran, daß diese keine ausreichende staatliche Unterstützung erhalten. Innerhalb der gesellschaftlichen Ordnung an den Rand gedrängt, werden sie weitgehend sich selbst überlassen. In Kenia und anderen Ländern existieren zwar staatliche Hilfsprogramme, auch beteiligen sich Hilfsorganisationen der Versorgung von Betroffenen, aber alles in allem fallen Jahr für Jahr Millionen Menschen dem Hunger zum Opfer.

Nun will Kenia gentechnisch veränderten Mais importieren - eine wegweisende Entscheidung, die zur Umorientierung der Landwirtschaft führen wird, wahrscheinlich sogar ein Dammbruch, denn sie bindet Kenia agrarwirtschaftlich enger an Länder wie Südafrika, USA und China, in denen bereits gentechnisch veränderter Anbau betrieben wird. Somit werden unternehmerische Strukturen gefördert, die von der Not der Menschen profitieren. Das gleiche gilt auch für andere Agrokonzerne, die keine Gentechnik im Programm haben, ließe sich berechtigterweise einwenden. Dem wäre allerdings zu entgegnen, daß hier erstens auch nichts anderes behauptet werden soll, daß aber zweitens die Gentechkonzerne Vorreiter der Verrechtlichung der landwirtschaftlichen Produktion und ihre Lizenzbestimmungen sehr streng sind.

Wenn demnächst säckeweise gentechnisch veränderter Mais nach Kenia eingeführt wird, dürfte das die Mangellage bis zu einem gewissen Grad lindern. Doch ist die grüne Gentechnik einmal fest etabliert, können die Unternehmen die Daumenschrauben anziehen. Denn sie profitieren von einer Wirtschaftsordnung, die nicht primär darauf ausgerichtet ist, den Mangel zu beheben, sondern darauf, ihn zu produzieren. Das klingt zunächst paradox, denn die Saatgutunternehmen verkaufen doch Mais, der ausgesät wird, um Nahrungs- oder Futtermittel zu erzeugen. Somit wird etwas geschaffen, was vorher nicht existierte. Bei diesem Einwand wird vergessen, daß die Unternehmen profitorientiert arbeiten. Ihre Güter sind nur dann etwas wert, wenn das Angebot nicht die Nachfrage übersteigt. Ansonsten ginge der Preis in den Keller, die Unternehmen machten Verluste, Gläubiger würden ihre Schulden eintreiben, bis dahin, daß ein Unternehmen in Konkurs ginge.

Von daher muß ein Agrokonzern allein schon aus Selbsterhaltungsgründen Sorge dafür tragen, daß die Nachfrage nicht nachläßt. Ein beliebtes marktwirtschaftliches Mittel: Anheben des Preises. Durch die Konkurrenz wird dieses Mittel zwar nicht aufgehoben, aber geschwächt. Umgekehrt wird Konkurrenz allerdings durch die Bildung von Monopolen aufgehoben. Oder von einem Oligopol, wie es global in der Saatgutproduktion entstanden ist, vor allem auf dem Feld des gentechnisch veränderten Anbaus.

Was bedeutet das für Kenia? Um die Nahrungsnot zu lindern, die nicht zuletzt eine Folge des globalgesellschaftlichen Wirtschaftsordnung ist, in der klimatisch benachteiligte Länder wie die Ostafrikas als Notregionen (und Zuchtmittel für alle Menschen, die niemals in eine so mißliche Lage kommen wollen wie ihre Artgenossen in den Dürregebieten am Horn von Afrika und deshalb bereits sind, fremdnützige Arbeit zu verrichten) bestehen bleiben, schließt sich die kenianische Regierung dem weltweiten Trend an. Sie öffnet der Grünen Gentechnik Tür und Tor und sucht die Unterstützung wesentlicher Profiteure dieses mangelgenerierenden Systems. Keine Frage, das Oligopol in der Agrarbranche wäre auch ohne Gentechunternehmen entstanden. Deshalb genügte es auch nicht, wollte man Hunger, Armut und Ausbeutung ein für alle Mal aus der Welt schaffen, sich als GentechnikgegnerIn zu definieren. Im Gegenteil, in dieser Zuordnung wird die Verwässerung des Widerspruchs mitgeliefert: So würde das Nein nur für eine bestimmte Agrarpraxis gelten und sich nicht grundsätzlich gegen die vorherrschenden Kräften und Interessen richten.

Anmerkungen:

[1] "Hungersnot am Horn von Afrika", Neues Deutschland, 29. Juni 2011
http://www.ag-friedensforschung.de/regionen/Afrika/duerre2.html

[2] "Kenya to allow GM maize to alleviate shortage", Reuters, 29. Juni 2011
http://www.africanagricultureblog.com/2011/06/kenya-to-allow-gm-maize-to-alleviate.html

[3] In den USA ringen zwei einflußreiche Branchen miteinander. Auf Druck der Lebensmittelbranche hat der US-Senat kürzlich seine Zustimmung zur weiteren Subventionierung von Biosprit versagt.

[4] Der Einfachheit halber haben wir nicht zwischen reinem Futtermais und Mais als Lebensmittel unterschieden. Das halten wir insofern für begründbar, als daß auf den Flächen, auf denen heute Futtermais angebaut wird, auch andere Maissorten gepflanzt werden könnten.

4. Juli 2011