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KLIMA/409: CNA und Klimawandel - Klassenkampf von oben (SB)


Der Klimawandel gefährdet die Sicherheit

US Think Tank sorgt sich um staatliche Belastbarkeit


Der Klimawandel bedroht "die Sicherheit", er gefährdet die "nationale Sicherheit" und wirkt als "Multiplizierer" problematischer Entwicklungen. So schätzen westliche Regierungen die Entwicklung der nächsten Jahre und Jahrzehnte ein, und so wird es von den Medien meist unkritisch kolportiert. Wessen Sicherheit als gefährdet angesehen wird, welche Funktion der Begriff "Nation" vor dem Hintergrund eklatanter innergesellschaftlicher Widersprüche hat und unter welchen herrschaftsförmigen Voraussetzungen der Klimawandel zu einem Multiplizierer werden kann, wird viel zu wenig öffentlich thematisiert. Statt dessen scheint sich die Klimaschutzdebatte immer mehr darauf zuzuspitzen, welche Treibhausgas-Reduktionsziele eine Regierung bei der UN-Klimakonferenz im Dezember in Kopenhagen verspricht. Erstarrten Blicks schaut die Weltöffentlichkeit zu, wie im Vorwege gefeilscht und jetzt schon die Meßlatte so tief gehängt wird, daß jedes beliebige Verhandlungsergebnis als Erfolg ausgewiesen werden kann.

Die bedeutenderen Entwicklungen, die viel mehr das Leben der Menschen bestimmen könnten, werden möglicherweise gar nicht bei UN-Konferenzen in die Wege geleitet, sondern schon weit im Vorfeld solcher inszenierten Gipfeltreffen. Man kann sogar vermuten, daß vieles gar nicht Teil eines öffentlichen Diskurses ist. Dafür kämen eher "politische Hinterzimmer" und Geheimdienstzentralen in Frage. Einen begrenzten Einblick in die Denkweise der sich eher bedeckt haltenden Wegbereiter und Stichwortgeber für politische Entwicklungen, die scheinbar verdaulich gemacht nach außen getragen werden, liefern die diversen Think Tanks. Sie erfüllen eine Vermittlungsfunktion an der Schnittstelle zwischen jener internen und der öffentlichen Debatte.

In Fragen des Klimawandels hat sich schon vor einigen Jahren der in Alexandria, US-Bundesstaat Virginia, ansässige Think Tank CNA (Center for Naval Analyses), dessen Wurzeln im Zweiten Weltkrieg liegen und ursprünglich eine wissenschaftliche Beratung bei der Abwehr der deutschen U-Bootgefahr lieferte, ins Gespräch gebracht. Am 16. April 2007 veröffentlichte die CNA Corporation den viel beachteten Report "National Security and the Threat of Climate Change". [1] In ihm äußern sich elf Admirale und Generäle im Ruhestand, die Mitglieder eines Military Advisory Board [2] sind, zu Fragen des Klimawandels und sprechen Empfehlungen aus, wie die US-Regierung darauf reagieren sollte.

Am 4. November 2009 hat CNA die eintägige "Climate Change, State Resiliance and Global Security Conference" (Klimawandel, staatliche Belastbarkeit und globale Sicherheit) [3] organisiert. Deutlich wird an diesem Titel wie auch den Programmpunkten und der Auswahl der Gäste, daß bei dem Treffen Werte etabliert und abgesichert werden sollten, die nicht dem Wohl aller Menschen, sondern der Sicherung der vorherrschenden Ordnung mit den USA als Weltführer dienen. Das bedeutet auf der anderen Seite, daß für einige Personen, Regionen oder Nationen nicht der vollumfängliche Schutz vor den verheerenden Folgen des Klimawandels vorgesehen ist.

In der Katastrophenmedizin hat man den Begriff der Triage. Mit ihm wird beschrieben, daß sich Ärzte und Rettungshelfer bei einer Katastrophe zunächst nicht den völlig hoffnungslosen Fällen zuwenden sollten, da hier knapp bemessene Zeit, in der mehrere andere Menschenleben gerettet werden könnten, womöglich unnötig "vergeudet" wird. Die Verletzten sollen zunächst nach der Schwere ihrer Schäden eingeteilt werden, um den bestmöglichen Nutzen aus den Rettungsmaßnahmen herauszuholen.

Bei der Bewertung der "Belastbarkeit" eines Staates vor dem Hintergrund der globalen Sicherheit und in Anbetracht des Klimawandels wird ebenfalls die Nützlichkeit von Rettungsmaßnahmen abgewogen. Geographische Schwerpunkte bei der CNA-Konferenz waren die USA, Lateinamerika und China. Vizeadmiral Dennis McGinn (ret.) erklärte, es ginge ihm vor allem um die Bedrohungen für "unsere nationale Sicherheit und die anderer Nationen". [3]

Mit "uns" und "wir" können allerdings nicht die Bewohner von New Orleans gemeint sein, die im August/September 2005 vom Hurrikan Katrina getroffen wurden. Insbesondere die ärmere Bevölkerung, die in sozialen Wohnungsbauprojekten der niedrig gelegenen Stadtteile Lower Ninth Ward und Saint Bernard Parish lebten, wurden wider besseres Wissen nicht ausreichend gegen die steigende Flut in den die Stadt durchziehenden Kanälen geschützt. Wenn McGinn jetzt davon spricht, daß es unverantwortlich wäre, die Hände in den Schoß zu legen und einfach nur auf das beste zu hoffen, und daß man die potentiellen Bedrohungen kennen müsse, um die Belastbarkeit aufzubauen, so daß ihnen in Zukunft begegnet werden könne, dann bleibt offen, wer sich hier aus welchen Motiven gegen welche Gefahren schützt ... und wer wie bestimmte Bewohner von New Orleans gegebenenfalls den katastrophalen Naturkräften überantwortet wird, weil "der Staat" angeblich nicht weiter belastbar ist.

Überaus deutlich wird die Intention der eintägigen Konferenz, die von CNA-Vizedirektorin Sherri Goodman geleitet wurde und 23 handverlesene Gäste [4] zusammenbrachte, daß Klimawandel aus der Sicht der Eliten wahrgenommen wird. Einer der Veranstaltungspunkte sah vor, daß sich die Konferenzteilnehmer spielerisch mit einem vorgegebenen Szenario für das Jahr 2040 befaßten. Es wurde angenommen, daß der Klimawandel die bestehenden Entwicklungen (Meeresspiegelanstieg, Dürre, Hochwasser, Unwetter, Grundwasserverlust, Nahrungsmangel, etc.) verstärkt hat. Die Spieler sollten sich mit den Problemen auseinandersetzen und Entscheidungen über das Wohl und Wehe der Menschen treffen. Als Grundlage der Spiels wählte CNA das vor zwei Jahren vom Weltklimarat vorgestellte Szenario IPCC 2007 SRES A1B, das ab 2040 verschärfte Folgen des Klimawandels (Erderwärmung und Meeresspiegelanstieg) vorsieht. Angenommen wird ebenfalls, daß bis dahin ergriffene Klimaschutzmaßnahmen keinen nennenswerten Erfolg gebracht haben.

Der Bedarf an Hilfe und Unterstützung übersteige die verfügbaren Ressourcen. Die "Fähigkeit und Bereitschaft" der entwickelten Länder sei "nicht unbegrenzt", lautet eine Schlüsselvoraussetzung des Spiels. In dem vorgegebenen Szenario, das den Titel "The Future of Humanitarian and Disaster Relief under Climate Change: Political, Military, and International Perspectives" trug, wird so getan, als würden "die entwickelten Länder" zu realisieren beginnen, "daß sie nicht über die adäquaten Ressourcen verfügen, um Hilfe zur Stabilisierung der fragileren Teile der Welt zu leisten". Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR ist nicht mehr in der Lage, auf größere Katastrophen in Bangladesch und Myanmar zu reagieren. Dem Kongreß der Vereinigten Staaten liegt erstmals ein Posten von zehn Milliarden Dollar für humanitäre Hilfe in Übersee zur Abstimmung vor. Texas wurde von einem Hurrikan getroffen, und der Südwesten der USA kämpft weiter gegen die Folgen. In Kalifornien und im Nordwesten der USA brennen Wälder, der Nordosten wurde von einem Eissturm heimgesucht. An allen Schauplätzen wird die Nationalgarde eingesetzt.

Diese Katastrophen, die sich allesamt im Innern der USA zutragen, führen zu einem Rekordhoch bei den Ausgaben des Heimatschutzministeriums. Der Kongreß hat bereits angedeutet, daß das Office of Foreign Disaster Assistance (OFDA) und das Militär nicht erwarten können, im Jahr darauf keine Abstriche von der Höhe ihrer Budgets machen zu müssen. Darüber hinaus ist das US-Militär in langfristige Aufstandsbekämpfungsmaßnahmen involviert, wodurch 15 Kampfbrigaden gebunden sind. Außerdem liefern die USA logistische und andere Unterstützung für Operationen der Europäischen Union in Ägypten und Libyen. Und es reagiert auf drei größere internationale Katastrophen: die fortgesetzte humanitäre Not in Nordpakistan, ein Zyklon, der Myanmar und Bangladesch getroffen hat, sowie eine dauerhafte Lebensmittelknappheit und ein Aufstand in Marokko.

Keine dieser Katastrophen für sich genommen sei außergewöhnlich, aber aufgrund des Zusammentreffen der vielen Einzelereignisse sei das US-Militär, das sich weltweit im Einsatz befindet, in Sorge, ob es noch fähig ist, gegebenenfalls einen konventionellen Krieg führen zu können, lautet das von CNA entworfene Szenario, das die Konferenzteilnehmer bewältigen sollen.

An diesen wenigen einleitenden Erklärungen läßt sich bereits ablesen, daß derjenige, der sich auf dieses Szenario, das keineswegs spielerisch, sondern sehr ernst ist, einläßt, längst bestimmte Voraussetzungen akzeptiert haben muß. Beispielsweise daß die entwickelten Staaten erst im Jahre 2040 ihren Mangel an Ressourcen für Hilfeleistungen erkennen, obwohl doch heute schon eine Milliarde Menschen hungern und es ihnen an vielem mangelt, beispielsweise an Medikamenten, Moskitonetzen, ausreichenden hygienischen Verhältnissen. Somit lenkt das angenommene Szenario von der realen, augenscheinlich längst akzeptierten Not ab.

Überhaupt impliziert der Maßstab "Belastbarkeit des Staates" von vornherein, daß es eine Grenze gibt, bis zu der Maßnahmen gegen den Klimawandel und seine Folgen ergriffen werden und ab der die betroffenen Menschen selber sehen müssen, wie sie ihr Überleben sichern. Die Belastbarkeitsgrenze ist jedoch keine, die sich nach einem unvermeidlichen materiellen Mangel richtete, sondern eine, die ausschließlich nach der politischen Bereitschaft, Hilfe zu leisten, zu bemessen ist.

Wenn nun der Think Tank CNA vor diesem Hintergrund "ein neues Paradigma im Umgang mit der veränderten Welt" fordert [3], dann ist damit ganz sicher nicht gemeint, man möge sich von der Idee der Belastbarkeit eines Staates an sich verabschieden. Statt dessen sollen Grenzen der Hilfeleistung und Unterstützung bestimmt und letztbegründet werden. Es geht dabei um moralische und ethische Werte, das heißt um Rechtfertigungen, warum es vernünftig sein soll, Menschen ab einem gewissen Punkt der angenommenen staatlichen Belastbarkeit den Kräften der Naturgewalten zu überlassen. Das betrifft nicht nur das Verhältnis der Staaten zueinander, sondern auch das Verhältnis der Bevölkerungsschichten innerhalb einer Gesellschaft. Nicht weniger als an einem neuen Menschenbild wird hier gearbeitet.

Für diejenigen, die aus der staatliche Versorgung herausfallen (ohne deswegen aus der staatlichen Kontrolle entlassen zu werden), stellen sich gänzlich andere Fragen, als sie auf der CNA-Konferenz aufgeworfen wurden. Unter ihnen herrscht eine völlig andere Interessenlage vor. Gäbe es heute noch so etwas wie Klassenbewußtsein, könnte man behelfsweise sagen, daß aus Anlaß des Umgangs mit dem Klimawandel ein Klassenkampf ausgetragen wird. Das bedeutet, daß die herrschende Klasse zwar behauptet, sie sorge sich über den Klimawandel, aber eigentlich genau weiß, daß nicht sie es ist, die von den zu erwartenden katastrophalen Folgen betroffen sein wird. Wohingegen die untere Klasse, das globale Proletariat, die Wanderarbeiter und die Bewohner marginalisierter Regionen mit allen Mitteln, selbstverständlich auch militärischen, davon abgehalten werden sollen, in die klimatisch begünstigten oder relativ geschützten Regionen zu fliehen. Im weltweiten Vergleich sind das die Staaten des Nordens, respektive Europa, Nordamerika und Japan.

Die von der herrschenden Klasse beschlossenen Maßnahmen gegen den Klimawandel dienen somit nicht, wie auf den UN-Vorbereitungstreffen zum Klimagipfel in Kopenhagen behauptet, primär dem Schutz von Menschenleben und der Bewahrung oder Verbesserung der Lebensqualität der Unterprivilegierten, sondern dem Klassenerhalt. Dazu gehören dann auch bestimmte Befriedungsmaßnahmen, die den vorhandenen Klassenkampf verschleiern, indem eine Scheinbeteiligung von Vertretern der unteren Klasse an der Herrschaft zugelassen und gewisse Hilfsmaßnahmen, vergleichbar mit der heutigen Hungerhilfe, die nur für einen geringen Teil der Bedürftigen vorgesehen ist, etabliert wird.

Jährlich sterben rund 35 Millionen Menschen, weil sie nicht genügend zu essen haben, und mehr als eine Milliarde Menschen hungert regelmäßig. Das Welternährungsprogramm, das weltweit die umfangreichste Hungerhilfe leistet und vollständig auf Spenden angewiesen ist, versorgt nur rund 90 Millionen Personen, also nicht einmal jeden zehnten Bedürftigen. Von einer Befriedungsfunktion kann deshalb gesprochen werden, weil, wenn keinerlei Hungerhilfe geleistet würde, der Klassenwiderspruch deutlich zutage träte und als Antwort mit Widerstand der Unterdrückten und Ausgebeuteten zu rechnen wäre. Für die Herrschenden bringt es mehr Vorteile, den Anschein zu wahren, daß sie sich um den Hunger in der Welt kümmern, als wenn sie sich vollständig aus der Versorgung der in Not geratenen Menschen herauszöge. Der pseudobesorgte Umgang mit dem globalen Nahrungsmangel läßt sich beinahe eins zu eins auf den Kampf gegen den Klimawandel übertragen - zumal die Beeinträchtigung der Landwirtschaft und Nahrungsproduktion eine der schwerwiegendsten Folgen der Veränderung der klimatischen Verhältnisse sein wird.

Bei einem "Klimagipfel von unten" bestände eine wesentliche Aufgabe darin, die gegenwärtige Lage und die vorherrschenden Interessen zu analysieren und sich klar zu machen, daß es einen Klassenkampf gibt. (Wie gesagt, der Begriff wird hier behelfsweise mangels eines griffigeren und weniger "vorbelasteten" Obertitels für das Lumpenproletariat, die weltweit Marginalisierten, Verworfenen, Ausgebeuteten, Unterdrückten und Vergessenen verwendet.) In diesem Sinne wäre es wichtig, Klassenbewußtsein zu entwickeln, was zunächst einmal bedeutete, herauszuarbeiten, daß Klimaschutzmaßnahmen nicht die Aufgabe haben, die untere Klasse vor den Naturgewalten zu schützen, sondern statt dessen die vorherrschende Klassen-Weltgesellschaft auch in Zeiten globaler natürlicher Umwälzungen zu bewahren und unter dem Vorwand, den Klimawandel bekämpfen zu müssen, die Verfügungsgewalt zu vertiefen.


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Anmerkungen:

[1] http://www.cna.org/nationalsecurity/climate/report/National%20Security%20and%20the%20Threat%20of%20Climate%20Change.pdf

[2] Mitglieder des Military Advisory Board sind:
General Gordon R. Sullivan, USA (Ret.)
Admiral Frank "Skip" Bowman, USN (Ret.)
Lieutenant General Lawrence P. Farrell Jr., USAF (Ret.)
Vice Admiral Paul G. Gaffney II, USN (Ret.)
General Paul J. Kern, USA (Ret.)
Admiral T. Joseph Lopez, USN (Ret.)
Admiral Donald L. "Don" Pilling, USN (Ret.)
Admiral Joseph W. Prueher, USN (Ret.)
Vice Admiral Richard H. Truly, USN (Ret.)
General Charles F. "Chuck" Wald, USAF (Ret.)
General Anthony C. "Tony" Zinni, USMC (Ret.)


[3] http://www.cna.org/news/releases/091105.aspx

[4] Die Gäste stammen unter anderem aus der Regierung (Generalmajor der US-Luftwaffe Richard Engel (ret.) - er leitet im Nationalen Sicherheitsrat NIC das Programm für Klimawandel und Staatliche Stabilität -, Politik (Ex-Senator John Warner) und Militär (wie der britische Botschafter für Klimawandel und Energiesicherheit des Verteidigungsministeriums, Konteradmiral Neil Morisetti)

9. November 2009