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KLIMA/487: Globale Erwärmung - Dämpfungsfaktoren Böden und Ozeane überschätzt (SB)


Metastudie zur CO2-Absorptionsfähigkeit von Ökosystemen ab dem Jahr 2050


Beinahe könnte man an eine übergeordnet gesteuerte Koinzidenz zwischen den sich weltweit aufbauenden katastrophalen klimatischen Vorgängen und den gesellschaftlichen Verwerfungen im Rahmen der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise glauben. So wie gegenwärtig über die Schnittstelle der Ratingagenturen ganze Staaten erpreßt werden und deren Regierungen ihrerseits den immensen Druck auf einen Großteil der in die Verelendung gedrängten Bevölkerungen umlasten, beobachten Naturwissenschaftler Vorgänge in der Umwelt, die ihre Prognosen zur Klimaentwicklung als viel zu harmlos erscheinen lassen und vor allem im ärmeren Teil der Menschheit zahlreiche Opfer fordern werden.

Neuesten Erkenntnissen zufolge kommt den Böden und Ozeanen eine geringere Bedeutung als Dämpfungsfaktor gegen die Erderwärmung zu, als Wissenschaftler bislang annahmen. Das heißt, die Absorptionsfähigkeit der Böden für die Treibhausgase Methan (CH4) und Stickoxid (N2O) nimmt auf einer wärmeren Erde nicht zu, sondern ab. Die beiden Gase sind 25- bzw. 300fach wirksamere Treibhausgase als Kohlendioxid, und ihr Verbleib in der Atmosphäre wird etwa ab Mitte dieses Jahrhunderts zu einem deutlich schnelleren Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur führen. Das berichteten Studienleiter Kees Jan van Groeningen vom Trinity College in Dublin und seine Kollegen im Wissenschaftsmagazin "Nature" [1].

Die Forscher hatten eine Metastudie über 49 Einzeluntersuchungen, in denen sich mit der Frage auseinandergesetzt wurde, wie sich ein höherer CO2-Anteil der Atmosphäre auf verschiedene Bodenarten (Wald, Wiesen, Feuchtgebiete und landwirtschaftliche Flächen) auswirkt, ausgewertet. In den Szenarien war den verschiedenen Ökosystemen ein atmosphärischer CO2-Gehalt zwischen 463 und 780 ppm (parts per million) zugewiesen worden. Demzufolge können zwar einige Böden mehr Stickoxide absorbieren, wenn der CO2-Gehalt steigt, aber Hochlandböden, Reisfelder und natürliche Feuchtgebiete setzen jene sehr viel wirksameren Treibhausgase frei. Das gilt vor allem für das Methan, das im übrigen bereits heute in großen Mengen aus den auftauenden Permafrostböden entweicht und sich sogar von den submarinen Kontinentalhängen, an denen es im eisförmigen Aggregatzustand lagert, lösen kann, wenn sich die Ozeane erwärmen.

"Die Natur ist nicht so effizient hinsichtlich der Verlangsamung der globalen Erwärmung, als wir früher dachten", erklärt Hauptautor van Groeningen [2]. Demnach atmen im Boden lebende Mikroorganismen Kohlendioxid ein und geben Methan ab. In der Summe muß diesem Stoffwechselvorgang eine globale Klimarelevanz zugemessen werden.

Auch wenn sich die Forscher vorsichtig ausdrücken, machen sie sehr wohl klar, daß es sich bei der Vorstellung, ein Anstieg der CO2-Konzentration in der Atmosphäre beschleunige das Pflanzenwachstum, um eine Simplifizierung, um nicht zu sagen, einen Irrtum handelt. Van Groeningen: "Frühere Studien dürften die Fähigkeit von Ökosystemen, den Treibhauseffekt zu verringern, überschätzt haben, da die Schlüsselrolle jener zwei Treibhausgase übersehen wurde." Um rund 20 Prozent wurde die Wirkung zu hoch angesetzt, vermuten die Forscher.

Und nicht nur Böden, auch Ozeane werden auf einer wärmeren Erde weniger anthropogene CO2-Emissionen binden als zuvor berechnet. Im Journal "Nature Geoscience" [3] berichtete eine US-Forscherin, daß die heutige CO2-Aufnahmekapazität der Weltmeere in Höhe von 30 Prozent der menschengemachten Kohlendioxidemissionen nicht auf die Zukunft projiziert werden kann. Galen McKinley, Professorin an der Universität von Wisconsin in Madison, und ihre Kollegen werteten Meßdaten, die über einen Zeitraum von drei Jahrzehnten gingen, aus dem Nordatlantik aus und stellten fest, daß höhere Luft- und Wassertemperaturen die Geschwindigkeit reduzieren, mit der die Weltmeere in großen Teilen der Subtropen Kohlenstoff aufnehmen.

Die Ergebnisse der hier genannten Studien widersprechen der frohen Botschaft der sogenannten Klimaskeptiker, wonach die Ökosysteme einer wärmeren Erde angeblich eine zunehmende Menge an Treibhausgasen absorbieren können und deshalb keine Maßnahmen zur Verringerung der CO2-Emissionen ergriffen werden müßten. Dieser sozialfeindliche Standpunkt unterscheidet sich von seinen Konsequenzen her allerdings nicht sonderlich von dem jener Politikerinnen und Politiker, die vom Kampf gegen den Klimawandel predigen, aber das eigene, klimatisch privilegierte Territorium zur Festung gegenüber Klimaflüchtlingen ausbauen und ansonsten bei ihren seltenen Besuchen in den Dürrezonen jenseits des Festungswalls Almosen unter den Bedürftigen verteilen.

Fußnoten:

[1] "Increased soil emissions of potent greenhouse gases under increased atmospheric CO2", Kees Jan van Groenigen, Craig W. Osenberg und Bruce A. Hungate, Nature 475, S. 214-216, online veröffentlicht am 13. Juli 2011; doi:10.1038/nature10176.

[2] "Global warming: study finds natural shields being weakened", AFP, 13. Juli 2011
http://www.terradaily.com/reports/Global_warming_study_finds_natural_shields_being_weakened_999.html

[3] "Convergence of atmospheric and North Atlantic carbon dioxide trends on multidecadal timescales", Galen A. McKinley, Amanda R. Fay, Taro Takahashi und Nicolas Metzl, Nature Geoscience (2011), online veröffentlicht am 10. Juli 2011; doi:10.1038/ngeo1193.

14. Juli 2011