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KLIMA/489: Globale Erwärmung um drei Grad Celsius kaum noch vermeidbar (SB)


UN-Klimaschutzkonferenz in Panama City

Forscher berichten, daß die Erde auf eine Erwärmung um deutlich über drei Celsius zusteuert


Ein Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur um zwei Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit hätte für Millionen Menschen verheerende Konsequenzen. Die Weltmeere würden sich aufgrund der Wärme physikalisch ausdehnen, ihre Masse nähme als Folge der Gletscherschmelze zu, der Meeresspiegel stiege an. Viele flache Inselstaaten im Pazifik sowie niedrig gelegene Küstengebiete beispielsweise in Bangladesh würden überschwemmt; Millionenstädte wie New York, Jakarta oder Hamburg müßten umfangreiche Maßnahmen zum Schutz vor den Fluten ergreifen. Deswegen fordern die ärmeren Länder, die besonders betroffen von dieser Entwicklung sind, bei internationalen Klimaschutzverhandlungen eine verbindliche Zusage der Staatengemeinschaft, das 1,5-Grad-Ziel nicht zu überschreiten. Der Vorschlag, so berechtigt er auch ist, hat sich nicht durchsetzen können, mehr noch, er wurde kaum zur Kenntnis genommen. Selbst für das 2-Grad-Ziel sprachen sich die Unterzeichner des UN-Klimaabkommens auf ihrer Konferenz 2009 in Kopenhagen nur unverbindlich aus, was bedeutet, daß mancher Inselstaat in den nächsten Jahrzehnten dem Meer zum Opfer fallen dürfte.

Die aktuellen Prognosen der Klimaforscher zeichnen sogar ein noch viel düstereres Bild. Es wird als extrem unwahrscheinlich angesehen, daß das 2-Grad-Ziel eingehalten werden kann, und es gilt sogar schon als schwierig, den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf drei Grad Celsius zu begrenzen. Die Organisation Climate Action Tracker berichtete auf der am Freitag zu Ende gehenden, einwöchigen UN-Klimawandelkonferenz in Panama City, daß zwischen den Zusagen der Länder und ihren tatsächlich erreichten Zielen oftmals eine breite Lücke klafft, wie die Internetseite TerraDaily.com berichtete. [1] Werde der gegenwärtige Trend zum Anstieg der CO2-Emissionen beibehalten, würde die Menschheit bis zum Jahr 2020 rund 54 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalente produzieren. Damit läge die Menschheit zehn bis vierzehn Milliarden Tonnen über dem Wert, der für die Einhaltung des 2-Grad-Ziels erforderlich wäre.

Von diesem Ziel ist der Planet "sehr, sehr weit entfernt", wird Bill Hare, Co-Autor der Studie und Mitarbeiter des Forschungsbereichs I "Erdsystemanalysen" des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung zitiert. "Wir bewegen uns zur Zeit auf eine Erwärmung deutlich über drei Grad zu, wenn nicht größere Anstrengungen zur Einhaltung der Zusagen unternommen werden." Hare rechnet damit, daß bei einem durchschnittlichen Temperaturanstieg von drei Grad Celsius "von einem Ende des Planeten bis zum anderen schwerwiegende Schäden an empfindlichen Ökosystemen auftreten". Besonders auf Afrika sieht der Klimaforscher "hochgefährliche Beeinträchtigungen" der Nahrungsmittelproduktion und -verfügbarkeit zukommen, falls sich die gegenwärtigen landwirtschaftlichen Methoden nicht schnell genug änderten.

Nun, sie ändern sich zur Zeit rasant, aber ganz sicher nicht in eine Richtung, die zur Verringerung des Hungers führt - zumindest nicht bei den Bewohnern Afrikas. Der schwarze Kontinent verkommt seit einigen Jahren zu einem Tummelplatz der Investoren, die landwirtschaftliche Flächen erwerben oder sich über langfristige Verträge sichern. Landraub, Landnahme oder Land Grabbing lauten die gängigen Bezeichnungen für dieses Phänomen, das von drei globalen Trends bestimmt wurde und weiterhin wird. Zum einen wird der Energieträger Erdöl knapp und teuer, was dazu beigetragen hat, daß die USA und die EU Produktion und Konsum von Agrosprit subventioniert haben. So wandern viele Pflanzen nicht mehr in die Futter- oder Nahrungsmittelherstellung, sondern in Destillerien und Raffinerien, in denen Treibstoff hergestellt wird. Das hat den Druck auf die afrikanischen Länder erhöht, Ländereien zu verpachten, selbst wenn - wie im Falle Äthiopiens - im eigenen Land Millionen Einwohner hungern. Die dritte globale Entwicklung betrifft staatliche und private Investoren, die nach dem Platzen der Immobilienblase nach sicheren, renditeträchtigen Anlagemöglichkeiten gesucht haben und im Agrarsektor fündig geworden sind.

Darüber hinaus tragen auch das Bevölkerungswachstum und Veränderungen der Eßgewohnheiten (Fleisch statt Pflanzenkost) zum Strukturwandel der Landwirtschaft in Afrika bei, ohne daß bislang erkennbar wäre, daß dies den Hunger lindern kann oder auch nur soll. Im Gegenteil, aktuell haben am Horn von Afrika etwa zwölf Millionen Menschen, verteilt auf mehrere Länder, nicht genug zu essen. Ungünstige klimatische Verhältnisse wie eine lang anhaltende Dürre haben zum Entstehen der Not beigetragen, aber es ist immer noch der Mensch, der den Mangel handhabt. Damit soll gesagt werden, daß die gesellschaftlichen Voraussetzungen, vor deren Hintergrund sich Dürre, Überschwemmungen und andere Naturkatastrophen ereignen, wesentlichen Einfluß auf Ausmaß und Bewältigung der Not haben. Das wird durch das Beispiel des dürregeplagten Somalia deutlich, in dem ein Bürgerkrieg herrscht und, mitunter innersomalische Clan-Rivalitäten ausnutzend, Stellvertreterkriege zwischen Eritrea und Äthiopien sowie zwischen muslimischen Fundamentalisten und der neokolonialen westlichen Wertegemeinschaft ausgetragen werden. Beides verschärft die Notlage der Menschen erheblich.

Als die internationale Staatengemeinschaft im Dezember 2009 auf der UN-Klimakonferenz in Kopenhagen ein Papier verabschiedete und der eigentliche Konsens darin bestand, dieses zur Kenntnis genommen zu haben, wurde unter Klimaexperten bereits über die schwerwiegenden Folgen des als viel zu niedrig anzusehenden 2-Grad-Ziels debattiert. Die aktuelle Studie zeigt, es wird inzwischen von Wissenschaftlern offen ausgesprochen, daß selbst eine globale Erwärmung um drei Grad Celsius kaum einzuhalten sein wird. Eine solche Hiobsbotschaft, mit der, übersetzt auf die vorherrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse, womöglich das Todesurteil für Millionen Menschen beschrieben wird, hätte vor einigen Jahren vermutlich noch beträchtliche Unruhe in der interessierten Öffentlichkeit ausgelöst. Es hat den Anschein, als würden die vermeintlich erst in ferner Zukunft eintretenden Folgen der Erderwärmung als vernachlässigbar im Verhältnis zu den akuten Sorgen und Nöten durch die aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise angesehen.


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Fußnote:

[1] "Planet 'far away' on climate goals: study", TerraDaily.com (AFP), 4. Oktober 2011
http://www.terradaily.com/reports/Planet_far_away_on_climate_goals_study_999.html

6. Oktober 2011