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KLIMA/533: Schnellster Gletscher Grönlands schaltet Turbo ein (SB)


Jakobshavn Isbrae vervierfacht seine Fließgeschwindigkeit



Sollte der bis zu dreieinhalb Kilometer dicke Eispanzer auf Grönland vollständig abschmelzen, stiege der Meeresspiegel weltweit um sechs bis sieben Meter an, was mit einem folgenschweren Landverlust verbunden wäre. Dutzende Millionen Menschen müßten ihre Heimat verlassen, ausgedehnte landwirtschaftliche Flächen gingen verloren, urbane Infrastruktureinrichtungen in Metropolen wie New York, Manila und Schanghai müßten aufwendig gegen das Meer geschützt oder aber aufgegeben werden.

In Folge des Klimawandels beschleunigt sich der Eisverlust von Grönland, allerdings rechnen Wissenschaftler nicht in Hunderten, sondern Tausenden von Jahren, bis daß der Eispanzer frühestens komplett abgeschmolzen sein könnte.

Wenn man einmal annimmt, daß solche Prognosen nicht bloßen Wunschvorstellungen ihrer Urheber (oder deren Geldgeber ...) entspringen, sondern auf wissenschaftlichen Daten beruhen, müßten dann nicht die Voraussagen modifiziert werden, sofern neue, wesentlich andere Beobachtungen gemacht werden?

Der grönländische Gletscher Jakobshavn Isbrae, der in den Ilulissat-Eisfjord der Disko Bay "kalbt", wie das Abbrechen von Eisbergen an der sogenannten Gletscherzunge ins Meer genannt wird, fließt mit einer weltweit einmalig hohen Geschwindigkeit. Welche Auswirkungen das auf die Eisbilanz der Insel insgesamt hat, war nicht Gegenstand der Untersuchung der amerikanisch-deutschen Forschergruppe. Sie fand jedoch heraus, daß im Zeitraum 2000 bis 2010 allein dieser Gletscher, dessen Einzugsgebiet rund 6,5 Prozent des Inlandeises der Insel umfaßt, einen Millimeter zum globalen Meeresspiegelanstieg beigetragen hat.

"Wir beobachten sommerliche Geschwindigkeiten des Vierfachen von dem, was in den 1990er Jahren an einem Gletscher gemessen wurde, der damals als einer der schnellsten, wenn nicht sogar der schnellste von Grönland galt", sagte Ian Joughin vom Polar Science Center der University of Washington und Hauptautor der Studie, die am 3. Februar im Open-access-Journal "The Cryosphere" der European Geosciences Union (EGU) veröffentlicht wurde. [1]

Im Sommer 2012 hatte der Gletscher eine Spitzengeschwindigkeit von über 17 Kilometer pro Jahr erreicht, das waren mehr als 46 Meter pro Tag oder fast zwei Meter pro Stunde. Man hätte also zusehen können, wie der Jakobshavn Isbrae ins Meer fließt und dabei permanent Eisberge, die manchmal eine Länge von einem Kilometer aufweisen können, entläßt. Nach Einschätzung der Forscher ist das Geschwindigkeitsweltrekord für Ausflußgletscher, und zwar nicht nur von Grönland, sondern auch der Antarktis.

Obschon die Gletscher gewöhnlich im Sommer schneller fließen als im Winter, betrug auch die gesamte, übers Jahr gerechnete Durchschnittsgeschwindigkeit in letzter Zeit fast das Dreifache dessen, was noch vor zwanzig Jahren registriert wurde.

Der Jakobshavn Isbrae fließt durch ein tief ausgeschnittenes Tal, dessen Sohle rund 1300 Meter unter dem Meeresspiegel liegt. Trotz der extrem hohen Fließgeschwindigkeit des Gletschers zieht sich seine Front im Sommer ins Landesinnere zurück, allein in den Jahren 2012 und 2013 um mehr als einen Kilometer weiter als in früheren Jahren. Dadurch verliert er Eis, das ihn bis dahin ausgebremst hat und fließt um so schneller, je mehr er sich zurückzieht, stellt Joughin klar. Gegen Ende des Jahrhunderts könnte die Gletscherfront an der Fjordspitze 50 Kilometer weiter landeinwärts liegen, vermutet der Forscher.

Nicht alle Gletscher Grönlands verhalten sich wie der Jakobshavn Isbrae, was Anlaß zu der Vermutung gibt, daß seine extrem hohe Fließgeschwindigkeit mit den besonderen geomorphologischen Bedingungen zu tun hat. Bekannt ist allerdings auch, daß der Gletscher durch relativ warmes Meerwasser angeschmolzen wird und deswegen schneller gleitet. Und jüngste Hochrechnungen, die das Wissenschaftsmagazin "Nature" veröffentlicht hat, zeigen, daß das Eisvolumen Grönlands sowohl aufgrund vermehrter Schmelzwässer als auch kalbender Gletscher abgenommen hat. [2]

Die Eisverluste Grönlands bestätigen die Erwartungen, die Wissenschaftler mit der globalen Erwärmung verknüpfen. Von einer katastrophalen Entwicklung kann man jedoch zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht sprechen. So nehmen in der "Nature"-Studie die Eisverluste in einem von vier Szenarien, in dem eine globale Erwärmung um 4,5 Grad Celsius bis zum Jahr 2100 angenommen wird, um mehr als 50 Prozent zu. Das hätte einen Meeresspiegelanstieg von 29 bis 49 Millimeter bis zum Jahr 2200 zur Folge.

Ein solcher Wert erweckt nicht den Eindruck, als würde er schwerwiegende Katastrophen nach sich ziehen. Die wären aber ganz woanders zu verorten, nämlich nicht in der fernen Zukunft, sondern überall da, wo unter den gegenwärtigen klimatischen Verhältnissen Menschen ihrer Überlebensvoraussetzungen beraubt werden. In einer Welt, in der rund 850 Millionen Menschen chronisch Hunger leiden, braucht man den Klimawandel als Katastrophenverursacher gar nicht zu bemühen.


Fußnoten:

[1] http://www.the-cryosphere.net/8/209/2014/tc-8-209-2014.html

[2] http://www.nature.com/nature/journal/v497/n7448/full/nature12068.html

4. Februar 2014