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KLIMA/595: Beschleunigte Gletscherschmelze in der Westantarktis (SB)


Frühere Messungen zum Gletscherrückzug weit übertroffen


Selbst wenn es der internationalen Staatengemeinschaft gelänge, die Vereinbarungen des Klimaschutzabkommens von Paris zu erfüllen, würde zumindest eine Entwicklung nicht mehr aufgehalten, das Abschmelzen des Westantarktischen Eisschilds. Vor zwei Jahren hatten Wissenschaftler berichtet, daß der Vorgang angelaufen ist und eine Dynamik entfaltet hat, die trotz aller Bemühungen wahrscheinlich nicht mehr rückgängig zu machen sei. Seitdem werden die Beobachtungen der gesamten Region intensiviert, und die dabei zusätzlich gewonnenen Forschungsergebnisse bestätigen die brisante Mitteilung der Forscher nicht nur, sondern sie deuten sogar eine stärker zunehmende Geschwindigkeit der Entwicklung an als angenommen.


Grafische Darstellung der eisbedeckten Antarktis aus 'Weltraumperspektive' - Bild: NASA Goddard's Scientific Visualization Studio, eigene Bearbeitung

Fließgeschwindigkeit und Massenverlust von Pope-Gletscher (rot), Smith-Gletscher (grün) und Kohler-Gletscher (blau) der Westantarktis nehmen zu.
Bild: NASA Goddard's Scientific Visualization Studio, eigene Bearbeitung

In zwei jüngeren Studien berichten US-Forschergruppen, daß die drei antarktischen Gletscher namens Pope, Smith und Kohler, die in den Eisschelfen Dotson und Crosson der westantarktischen Amundsen-See münden, hohe Eisverluste verzeichnen. [1]

In einer bereits im August im Journal Geophysical Research Letters erschienenen Studie schreiben Hauptautor Bernd Scheuchl von der Universität von Irvine in Kalifornien und seine Kollegen, daß sich die Aufsetzlinie des Smith-Gletschers seit 1996 pro Jahr um zwei Kilometer und die des Pope-Gletschers um 0,5 Kilometer jährlich zurückgezogen hat. Die Aufsetzlinie des Kohler-Gletschers wiederum ist seit 2011 um insgesamt zwei Kilometer ins Landesinnere gewandert.

Als Aufsetzlinie wird der Bereich bezeichnet, an dem ein Gletscher Kontakt zum Festland hat und noch nicht zum Schelfeis geworden ist, das auf dem Meer schwimmt. Üblicherweise schmelzen die Gletscher der Antarktis vor allem von unterwärts ab, wenn warmes Meerwasser die Schelfeisunterseite und die Aufsetzlinie angreift.

Ergänzend dazu berichtete ein Co-Autor von Scheuchls Studie, Ala Khazendar vom NASA Jet Propulsion Laboratory in Pasadena, Kalifornien, am 25. Oktober im Journal Nature Communications, daß jene drei Gletscher auch sehr viel stärkere Massenverluste verzeichnen, als in früheren Messungen festgestellt worden war. Früher sei die Unterseite der Dotson- und Crosson-Eisschelfe um rund zwölf Meter pro Jahr geschmolzen. Nun aber zeige sich, daß der Smith-Gletscher im Zeitraum zwischen 2002 und 2009 nahe seiner Aufsetzlinie um bis zu 70 Meter pro Jahr geschrumpft ist. "Hätte ich nur die Daten eines einzigen Meßinstruments zur Verfügung gehabt, hätte ich das Ergebnis nicht geglaubt, so enorm kam es zum Ausdünnen", sagte Khazendar. Doch die Forschergruppe hatte im Rahmen der NASA-Forschungsaufgabe "Operation IceBridge" zwei verschiedene Beobachtungstechniken, Radar und Laser, verwendet, die jeweils die gleichen Resultate erbrachten.

Beim Abschätzen des Meeresspiegelanstiegs sind kumulative Effekte zu berücksichtigen. Zeitgleich schmelzen natürlich auch Gletscher der Ostantarktis, Grönlands und der Hochgebirge beschleunigt ab, was eine verstärkende Wirkung hat. Damit ist nicht allein gemeint, daß sie natürlich in der Summe zu einem höheren Anstieg des Meeresspiegels beitragen, sondern daß sie indirekt wiederum die Gletscherschmelze verstärken.

Vor zwei Jahren hatte der Glaziologe Eric Rignot vom NASA Jet Propulsion Laboratory im "Guardian" einen Kommentar verfaßt und geschrieben, daß in Folge des Klimawandels und des Ozonverlustes die Westwinde rund um die Antarktis stärker geworden sind. Dadurch seien wärmere Meeresströmungen an die von Schelfeis umsäumte Küste der Antarktis gedrückt worden. [2]

Wenn aber das Schelfeis wegbricht und zugleich die Aufsetzlinie der Gletscher ins Landesinnere verlegt wird, sorgen diese beiden Effekte für eine höhere Fließgeschwindigkeit der Gletscher. Beim Smithgletscher wurde das bisher noch dadurch verstärkt, daß das Gelände in Richtung Antarktisinnere abschüssig war und das Meerwasser noch kräftiger die Gletscherbasis unterspülen konnte. Inzwischen ist die Aufsetzlinie an einem Bereich angekommen, an dem das Gelände unter dem Eis wieder ansteigt.

Ein Abschmelzen des Westantarktischen Eisschilds würde weltweit zu einem Meeresspiegelanstieg von drei bis fünf Metern führen. Wenn in der Wissenschaft vermutet wird, daß dies in den nächsten 200 Jahren geschehen könnte, dann bedeutet das, daß die Entwicklung auch schon viel früher, also zu Lebzeiten der heutigen Generation, unübersehbare Folgen nach sich ziehen wird. Beispielsweise würde ein Anstieg des Meeresspiegels um einen Meter allein in Bangladesch mit seiner flachen Küste 15 Millionen Menschen zu Vertriebenen machen. Da die Klimafolge "Meerespiegelanstieg" zeitgleich auch in allen anderen Ländern bemerkbar wäre, läßt sich ahnen, zu welchen harten sozialen Verwerfungen es allein wegen des Schmelzens der Westantarktischen Gletscher kommen kann. Dagegen ist die heutige Flüchtlingskrise, in der weltweit mehr als 50 Millionen Menschen aus ihrer Heimat vertrieben sind, wahrscheinlich nur ein Vorgeplänkel.

Das Klimaabkommen von Paris wurde von den Beteiligten und vielen Beobachtern geradezu euphorisch gefeiert, obgleich es unverbindlich ist und sich die Teilnehmerstaaten lediglich auf das Versprechen eines gemeinsamen Antretens gegen die Verstärkung des Klimawandels und bei der Bewältigung seiner Folgen geeinigt haben. Zudem sollen dafür private Gelder von Unternehmen mobilisiert werden. Der Klimawandel wird also als günstiges Geschäftsmodell angesehen, mit dem Investoren Profite erwirtschaften können. Diese sind aber ohne Verluste an anderer Stelle nicht zu haben.


Fußnoten:

[1] http://climate.nasa.gov/news/2506/studies-offer-new-glimpse-of-melting-under-antarctic-glaciers/

[2] https://www.theguardian.com/commentisfree/2014/may/17/climate-change-antarctica-glaciers-melting-global-warming-nasa

27. Oktober 2016


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