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KLIMA/610: Vitaminspritze für EU-Emissionshandel - zu spät, zu schwach, zu bürokratisch (SB)


Vom europäischen Emissionshandel lernen, heißt siechen lernen


Wenn man bedenkt, daß das 2005 gestartete Europäische Emissionshandelssystem (ETS) eines der zentralen Elemente des Klimaschutzes der Europäischen Union sein soll und diese sich als Vorreiter in Sachen globaler Klimaschutz sieht, dann muß es um die Menschen und ihre Um- und Mitwelt wahrlich übel bestellt sein. Am Dienstag haben sich die Umweltminister der EU-Mitgliedstaaten auf eine gemeinsame Position zum ETS geeinigt, und die ist so weichgespült, daß sich auch in den nächsten Jahren nichts, rein gar nichts an klimawirksamen Effekten herbeischwadronieren läßt. Man kann sagen, die deutsche Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) und ihre Kollegen knüpfen lückenlos an die jahrelange Bedeutungslosigkeit des ETS an ...

Das ETS siecht dahin. Ursprünglich war vorgesehen, daß besonders emissionsstarke Industriezweige wie die Energiekonzerne, Zementfabriken und Stahlwerke als Äquivalent zur Höhe ihrer CO2-Emissionen handelbare Zertifikate erwerben. Könnten sie davon nicht genügend vorweisen, stünden Strafzahlungen an. Das sollte ein Anreiz für die Unternehmen sein, ihre CO2-Emissionen zu senken. Das System hat sich jedoch als Schildbürgerstreich erwiesen; man möchte sagen, erwartungsgemäß. Denn es wurden anfangs so viele Zertifikate ausgegeben, daß der Preis in den Keller rutschte und somit für die Unternehmen überhaupt kein Anreiz bestand - jedenfalls nicht aufgrund des ETS -, CO2-Einsparungen vorzunehmen. Auch zum Begleichen von Strafgebühren kam es so gut wie nicht, weil das Angebot an Zertifikaten deutlich größer war als die Nachfrage. Dem noch nicht genug. Anfangs wurden die Zertifikate den Unternehmen geschenkt. Einige von ihnen "bedankten" sich, indem sie sich beklagten, sie würden ja arg gebeutelt und seien nun gezwungen, wegen der Klimaschutzmaßnahmen ihre Preise anzuheben. Das nennt man doppelt abkassieren.

Mittlerweile werden die Zertifikate auf Auktionen verteilt, aber sie sind noch immer billig zu haben. So erweisen sich selbst die größten Dreckschleudern, Braunkohlekraftwerke, für die Energiekonzerne als so kostengünstig, daß sie ihre weniger schadstoffreichen Gaskraftwerke abschalten. Auch die gegenwärtig gültige Reduktion der jährlich neu ausgegebenen CO2-Zertifikate um 1,74 Prozent zeigte nicht die erhoffte Wirkung, daß sie an Wert zulegen. Das müßten sie aber, damit sich die Unternehmen veranlaßt sehen, anstatt teure Zertifikate zu kaufen, Maßnahmen zu ergreifen, daß ihre CO2-Emissionen abnehmen.

Nun hat sich der EU-Umweltrat darauf verständigt, daß ab dem Jahr 2021 jährlich 2,2 Prozent weniger CO2-Zertifikate ausgegeben und diese Zertifikate in eine gedeckelte Reserve geschoben werden. Hendricks versucht diese Vereinbarung, die noch vom EU-Rat nach Beratungen mit dem Europäischen Parlament abgesegnet werden muß, als Erfolg zu verkaufen. [1]

Man habe "hart" verhandelt und "einiges" bei den Kernforderungen erreicht. Mit anderen Worten: die Kernforderungen wurden trotz harter Verhandlungen nicht erfüllt. Es sei gelungen, "die Klimaschutzwirkung des Emissionshandels deutlich zu stärken". Pardon, aber Null mal Null gibt immer noch Null - von einer Stärkung kann keine Rede sein. Die Zeit der "dramatischen" Zertifikats-Überschüsse sei "bald" vorbei, so Hendricks. "Bald" heißt, in vier bis sieben Jahren, und anschließend wird es immer noch Zertifikats-Überschüsse geben, nur daß sie eben möglicherweise nicht "dramatisch" ausfallen.

Hier wird der Bevölkerung, die sich ernsthafte Sorgen über die globalklimatische Entwicklung macht, Sand in die Augen gestreut. Das ETS ist ungeheuer kompliziert. Dabei hätte es so viel einfacher gehen können, wenn man die Anzahl der Zertifikate von Anfang an gering gehalten hätte. Um mögliche Konkurrenznachteile der Industrie gegenüber Nicht-EU-Ländern zu kompensieren, hätte man versuchen können, beispielsweise im Rahmen des Klimaschutzprotokolls von Kyoto die Möglichkeit zu verankert, daß die an einem Emissionshandelssystem beteiligten Länder CO2-Importzölle erheben dürfen. Und zu guter Letzt war diskutiert (und verworfen) worden, eine CO2-Verbrauchssteuer einzuführen, so daß diejenigen, die einen ausgeprägten Konsumstil pflegen, stärker zur Kasse gebeten werden, als Menschen mit geringerem Einkommen.

Das alles hätten wirksamere Klimaschutzmaßnahmen als das ETS sein können, und dabei wären die wachstumsgetriebenen, kapitalistischen Produktionsverhältnisse, bei denen beispielsweise Stromkonzerne nicht nur vom Staat subventioniert werden, sondern erhebliche Umweltkosten externalisieren, also der allgemeinen Gesellschaft auflasten dürfen, noch nicht einmal in Frage gestellt worden. Würden sie es, wäre Klimaschutz sowieso eine Begleiterscheinung, die sich fast automatisch ergibt.


Fußnote:

[1] www.bmub.bund.de/N54047/

2. März 2017


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