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KLIMA/629: Das "Generationen Manifest" - Bundesregierung erhält zivilgesellschaftlichen Anstupser (SB)


Brav und zahnlos


"Statt jetzt schon wieder den Stab darüber zu brechen, sollte man den Entscheidungsträgern und auch der Gesellschaft selbst eine Chance geben, Paris zu verarbeiten und neue Pläne zu entwickeln. In ein, zwei Jahren können wir ein erstes Urteil fällen, und dann werde ich selbst zu denen gehören, die den Mund aufmachen."
(Hans Joachim Schellnhuber, Leipziger Buchmesse, 17. März 2016) [1]

Der Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung hat schon einige Zeit eher angefangen, seinen Mund aufzumachen und die Umsetzung der nationalen Zusagen zum "Klimaschutzabkommen von Paris", von dem hier die Rede ist, anzumahnen, als er vier Monate nach dessen Verabschiedung den politischen Entscheidungsträgern noch zuzugestehen bereit war. Der vorläufige Gipfel der Mahnungen nicht nur dieses Klimawissenschaftlers, sondern einer zunehmenden Anzahl von Bürgerinnen und Bürgern, denen es ernst ist mit dem Kampf für eine lebenswerte Welt, ist das "Generationen Manifest". [2]

Ausgehend von der Feststellung, daß unsere Leistungsgesellschaft mit ihrem "Produktions- und Wachstumswahn" dabei ist, "die Erde für unsere Nachkommen unwirtlich und unbewohnbar zu machen", und der Aufforderung, sich zu entscheiden, "ob wir uns mit diesem kurzfristigen, egozentrischen Denken weiter der Verantwortung gegenüber zukünftigen Generationen entziehen oder umdenken und mit mutigem Handeln die Chancen künftiger Generationen auf Gesundheit, Erfüllung und Glück wiederherstellen" wollen, werden zwei Wochen vor der Bundestagswahl zehn Forderungen an die zukünftige Regierung gestellt.

Mit ihrem Appell geht es den Initiatoren des im Internet zu unterzeichnenden Manifests ''nicht um die isolierte Bekämpfung einzelner Krisen wie Armut, Hunger, Klimawandel oder Migration", sondern um ein "gemeinsames Handeln der Gesellschaft" und darum, Grundlagen "für ganzheitliche Lösungen" zu schaffen. Es solle ein neuer Generationenvertrag verabschiedet werden, "der zum ersten Mal die Bedürfnisse kommender Generationen und deren Herausforderungen" wirklich ernst nimmt. Denn die kommenden Generationen seien es, "die die Folgen unseres Handelns und Nichthandelns einmal tragen werden".

Hier wird eine schon ältere Idee der Klimaschutzbewegung aufgegriffen, von der Generationengerechtigkeit als weiterer Stützpfeiler neben der Nord-Süd-Gerechtigkeit gefordert wird. Dahinter steckt die Einsicht, daß die heute geborenen Kinder noch eine Welt erleben, in der den wissenschaftlichen Klimasimulationen zufolge - je nach Szenario - der Meeresspiegel weltweit ein bis zwei Meter höher liegen könnte als heute. In jener Welt würde die Zahl und Heftigkeit der Naturkatastrophen ein menschheitsgeschichtlich nie dagewesenes Ausmaß erreichen, und es werden neue, absolut lebensfeindliche Klimazonen entstehen. In Folge dessen entstünden Migrationsbewegungen, gegenüber denen die heutigen Flüchtlingsströme ein überschaubares, geordnetes Bild abgeben. Solche Konsequenzen der gegenwärtigen Klimapolitik unter anderem der Bundesrepublik Deutschland will die Initiative zum Generationen Manifest vermeiden (Forderung 7).

Ungeachtet der sicherlich unterstützenswerten Absicht der Initiatoren des Manifests fällt auf, daß es auf einer Analyse beruht, die oberflächlich bleibt. Vielleicht erhofft man sich davon einen breiteren Konsens und eine größere Zustimmung, doch erinnern die zehn Forderungen nicht nur an die von der Staatengemeinschaft bereits beschlossenen 17 UN-Nachhaltigkeitsziele, sondern sie bleiben teilweise sogar hinter diesen zurück. So erweckt der Aufruf den Eindruck, als stamme er aus der saturierten Mitte der Gesellschaft, die nicht sieht oder nicht sehen will, daß eben diese Gesellschaft, von der sie als relativ Wohlhabende profitieren, bereits hier und heute und nicht erst in Zukunft Not und Elend produziert, geschehen läßt, ignoriert, zum Schicksal verklärt, usw.

Weltweit sind rund 800 Millionen Menschen chronisch hungrig. Sie wissen morgens nach dem Aufwachen nicht, ob sie bis zum Abend irgend etwas zu essen erhalten. Je nach Einschätzung zwischen 15 und 30 Millionen Menschen verhungern jedes Jahr. Mehr als zwei Milliarden Menschen gelten als verarmt, und damit ist nicht jene Armut gemeint, die zweifellos auch in einem Wohlstandsland wie Deutschland existiert, sondern die Armut, die Menschen in großer Zahl unmittelbarer Existenznot aussetzt. Diese Not entsteht nicht außerhalb der Gesellschaft und ganz sicher nicht ohne ihr Mitwirken.

Wenn nun das Manifest auf die Not "zukünftiger" Generationen verweist, entsteht der Eindruck, als scheuten die Initiatoren davor zurück, Roß und Reiter zu nennen, also den offensichtlichen Zusammenhang zwischen der "akuten" Not in der Welt in der jetzigen Generation und der vorherrschenden gesellschaftlichen Ordnung aufzuzeigen. In der Forderung 10 des Manifests wird von der Bundesregierung die Aufnahme der "Generationengerechtigkeit" ins Grundgesetz verlangt - es wird jedoch nicht bedacht, daß das hier beschworene Recht Voraussetzung der Aufrechterhaltung der oben erwähnten gesellschaftlichen Widersprüche ist.

Bereits in der Verwendung von Begriffen wie "wir" und "unser" wird die Gemeinsamkeit einer Gesellschaft unterstellt, die für die einen Not und Elend und für die anderen das Privileg bereithält, sich über den Klimawandel und die möglichen Verluste ihres Besitzstands Sorgen machen zu können. Das mag in manchen Ohren spitzfindig klingen, ist jedoch insofern erwähnenswert, als daß der Verweis auf zukünftige Generationen zu Forderungen führt, die auf halber Strecke stecken bleiben, wie im folgenden beispielhaft aufgezeigt werden soll.

Forderung 1 - Frieden
"Eine Zukunft ohne Krieg ist nicht selbstverständlich. Wir fordern die Bundesregierung auf, sich für eine endgültige Abschaffung aller Atomwaffen einzusetzen und ein Ende des Exports von Kriegswaffen in Spannungsgebiete zu beschließen." [2]

Diese Forderung würden Bundeskanzlerin Merkel und Vizekanzler Gabriel ohne weiteres unterschreiben und dabei erklären, daß die Bundesrepublik sowieso keine Waffen in Spannungsgebiete exportiert. Das sei im Kriegswaffenkontrollgesetz so festgelegt und daran halte man sich selbstverständlich. Darüber hinaus würde die Regierung darauf verweisen, daß sie sogar noch viel mehr tue, als im Generationen Manifest gefordert wird. Denn das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) überprüfe inzwischen sogar in den Empfängerländern, ob sich die exportierten Waffen an ihrem rechtmäßigen Ort befinden und nicht an Dritte weiterverkauft werden. Man unternehme also einiges, um möglichst zu verhindern, daß Kriegswaffen in Konfliktgebiete gelangen, und sei damit weltweit Vorreiter.

Also eins zu null für die Regierung. Diese weiß selbstverständlich, daß Kriegswaffen nicht nur der Abschreckung dienen, sondern eben auch im Krieg oder in Konflikten eingesetzt werden. Schätzungsweise 50.000 bis 100.000 Menschen werden jedes Jahr direkt von Kleinwaffen getötet, schreibt die Bundeszentrale für politische Bildung. [3] Deutschland zählt zur Spitzengruppe der Waffenexporteure weltweit und Kleinwaffen sind einer der Schwerpunkte der deutschen Rüstungsindustrie.

Sieht man einmal davon ab, daß sich gar nicht verhindern läßt, daß deutsche Kriegswaffen auch in Konfliktgebieten auftauchen, auf Schwarzmärkten gehandelt werden oder auf andere Weise in die Hände feindlicher Kämpfer gelangen, hätten sich die Initiatoren des Manifests nicht allzu weit aus dem Fenster gelehnt, wenn sie die Bundesregierung aufgefordert hätten, den Export von Kriegswaffen vollständig einzustellen. Das wird beispielsweise von Organisationen wie terre des hommes, die der Verbreitung radikalen Gedankenguts unverdächtig ist, gefordert. Darüber hinaus mangelt es auch nicht an Forderungen zur Rüstungskonversion und damit zur kompletten Abschaffung der Rüstungsproduktion.

Forderung 4 - Armutsbekämpfung: Hunger, Armut und Überbevölkerung beenden.
"Wir fordern die Bundesregierung auf, hier entschlossener zu handeln und die bereits gemachten Zusagen einzuhalten. Die Lösung liegt in der Durchsetzung von fairen Löhnen, einer fairen Arbeitsteilung und fairen Regeln für die Produktion des globalen Konsums. Deutschland soll hier Vorreiter werden."

Liegt nicht der Widerspruch bereits darin, daß mittels des Begriffs "fair" eine Bewertung vorgenommen wird, die anderen aufgenötigt und von diesen nicht geteilt wird? Wenn heute Menschen am Fließband, Bildschirm, an der Supermarktkasse oder auch hinter dem Lkw-Steuer den ganzen Tag repetitive Tätigkeiten verrichten, so daß sie als Folge solcher spezifischen Belastungen erkranken und womöglich vorzeitig sterben, dann haben sie ihr Leben lang vielleicht einen "fairen" Lohn erhalten, aber sich für fremdnützige Interessen den Rücken krumm gemacht. Wenn osteuropäische Arbeiterinnen und Arbeiter in den westdeutschen Fleischfabriken täglich im Blut stehen und unermüdlich Tier auf Tier auf Tier schlachten, dann fällt auch das unter "faire Arbeitsteilung", und doch kann man sich ziemlich sicher, daß wohl niemand, der das Generationen Manifest initiiert oder unterzeichnet hat, mit diesen Personen tauschen wollte - selbst dann nicht, wenn sie nicht im Wald oder in abstoßend kalten Baracken hausen müßten wie einige der Schlachter beispielsweise am Rande der niedersächsischen Fleischfabriken.

Der Begriff "fair" wird vorzugsweise dann eingesetzt, wenn es darum geht, Menschen zu Tätigkeiten zu bewegen, die sie niemals freiwillig und ohne eine sozioökonomische Zwangslage, in die sie von der arbeitsteiligen Gesellschaft hineinmanövriert wurden, ausführen würden. Damit meint fair eigentlich sogar etwas ähnliches wie Lohn. Der vergesellschaftete Mensch wird entweder unmittelbar oder durch "die Umstände" - eine verschleiernde Bezeichnung der strukturellen Gewalt, die Mitglieder der Gesellschaft zu erleiden haben - genötigt, fremdnützige Lohnarbeit zu verrichten.

Forderung 5 - Gerechtigkeit: Die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich verringern.
"Die Altersarmut ist für einen wachsenden Teil der Bevölkerung eine reale Bedrohung. Wir fordern die Bundesregierung auf, unter Berücksichtigung der demographischen Entwicklung, eine Planung für das Renten- und Sozialsystem bis 2050 vorzulegen. Wir fordern eine Steuerreform für ein gerechtes Steuersystem, mit fairen Vermögens-, Erbschafts- und Finanztransaktionssteuern und der Entlastung kinderreicher Familien, sowie eine ernsthafte Diskussion über das bedingungslose Grundeinkommen."

Eine "wachsende Kluft" zu verringern, bedeutet nicht, die Kluft und die Voraussetzungen ihrer Entstehung zu beseitigen. Der soziale Widerspruch wird mit dieser Forderung geglättet, jedoch nicht behoben. Hier wird offenbar in den Chor jener eingestimmt, die warnen, daß jene Kluft der Bildung rechten Gedankenguts Vorschub leistet. Es wird jedoch nicht versucht, das Problem an der Wurzel zu fassen. Summa summarum wird eine gesellschaftliche Umverteilung verlangt, wobei dann wiederum eine "faire" Besteuerung ins Spiel gebracht wird, als läge die Definitionshoheit über diesen Begriff nicht in den Händen bestimmter gesellschaftlicher Interessengruppen aus Politik, Unternehmertum und Gewerkschaften, die davon profitieren, daß sie Arbeit, welche andere verrichten, verwalten.

Fazit: Das Generationen Manifest erhebt den Anspruch, "ganzheitliche Lösungen" anzustreben, legt aber die Parameter, in denen diese Ganzheitlichkeit formuliert wird, so eng, daß kaum zu erkennen ist, worin der Unterschied zwischen dem, was die Bundesregierung sowieso zu ihren Zielen erklärt hat, und den zehn Forderungen besteht. So liegt ein Nutzen des Manifests bestenfalls darin, die Regierung anzustupsen. Ob diese den Stupser überhaupt wahrnimmt unter den von vielen Seiten erfolgten Anstößen ähnlicher Art, steht allerdings zu bezweifeln.


Fußnoten:

[1] http://schattenblick.de/infopool/d-brille/report/dbri0050.html

[2] https://www.generationenmanifest.de/manifest/

[3] http://sicherheitspolitik.bpb.de/konventionelle-waffen/hintergrundtexte-m5/kleinwaffen-die-wahren-massenvernichtungswaffen

10. September 2017


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