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KLIMA/732: Erderwärmung - Nahrungsmittelverknappung ... (SB)



Forscher warnen davor, daß Hitzewellen zeitgleich in mehreren wichtigen landwirtschaftlichen Anbaugebieten auftreten können. Das könnte die Nahrungsmittelpreise steigen lassen, einen Getreidemangel erzeugen und soziale Unruhen auslösen. Der Klimawandel würde die Gefahr noch verstärken, da er stabile Hochdrucklagen erzeugt, die sich über den "Brotkörben" der Welt wie den USA und Rußland wochenlang festsetzen.

Wenn im Kontext klimawandelbedingter Veränderungen von der Gefahr eines Nahrungsmittelmangels gesprochen wird, wird dabei häufig unterschlagen, daß bereits heute weltweit rund 850 Mio. Menschen nicht genügend zu essen haben und weitere zwei Milliarden Menschen mangelernährt sind. Vor diesem Hintergrund der verbreiteten Not von der Gefahr zu sprechen, daß gleichzeitig ablaufende Hitzewellen die Ernten von Weizen, Mais oder Soja beeinträchtigen könnten, bedeutet, daß auch die klimatisch und geographisch bevorzugten Weltregionen wie Nordamerika oder Westeuropa bedroht sind. Ohne günstige klimatische Voraussetzungen wären die erwähnten "Brotkörbe" gar nicht erst entstanden.

Das Wetter in Westeuropa wird wesentlich von der Westwindströmung bestimmt, die Bestandteil eines Jetstreams ist, einer kräftigen und breiten Windströmung, die sich in den mittleren Breiten um die Erde schlängelt. Die Bögen jenes Jetstreams (es gibt noch andere) können weit nach Norden und Süden auslenken. Manchmal kommt es zu einer Blockade der Strömung. Eine typische Folge davon kennt man auch in Deutschland: ein stabiles Hochdruckgebiet setzt sich tage- oder sogar wochenlang über Westeuropa fest. Im Winter schleust es womöglich sibirische Ostwinde herbei, die für Tiefsttemperaturen sorgen, im Sommer kann es Trockenheit und Hitze verursachen. Ein konkretes Beispiel ist der Sommer 2018, in dem es in Deutschland und anderen europäischen Ländern monatelang kaum geregnet hatte.

Die Forschergruppe um Kai Kornhuber, Atmosphärenwissenschaftler der Columbia Universität und des Potsdam-Instituts für Klimawandelforschung (PIK), schreibt nun im Journal "Nature Climate Change", daß sich unter bestimmten Blockadebedingungen des Jetstreams das Risiko gleichzeitig ablaufender Hitzewellen in den landwirtschaftlichen Hauptanbaugebieten um den Faktor 20 erhöht. Den Berechnungen nach könnte die Ernte in einer der von einer Hitzewelle betroffenen Regionen um bis zu elf Prozent oder, wenn man den Durchschnitt auch anderer von einer Blockade betroffener Gebiete hinzunimmt, um vier Prozent reduziert werden. Bezogen auf die globale Nahrungsmittelversorgung sind das relevante Größen. In normalen Jahren kann eine regional mangelhafte Ernte durch Handel mit anderen Weltregionen kompensiert werden. Wohingegen die spezifische Jetstream-Blockade mehrere Dürren auslöst und damit eine globale Mangellage entstehen läßt.

Der Klimawandel wird extreme Wetterlagen verstärken, ob es sich um Dürren, Hitzewellen, Überschwemmungen oder Schneefall handelt. Außerdem wird der Jetstream stärker ausschlagen und voraussichtlich häufiger einer Blockadesituation unterliegen. Das haben frühere Forschungsarbeiten ergeben.

Das Hauptanliegen der "Nature"-Studie besteht in der Darstellung der Berechnung gleichzeitiger Dürren in den landwirtschaftlichen Hauptanbaugebieten der Erde. Daß ein solches Ereignis gesellschaftliche Konsequenzen nach sich zieht, wird benannt, aber nicht ausgearbeitet. Insofern ist die Warnung vor Lebensmittelmangel, steigenden Preisen und sozialen Unruhen noch harmlos formuliert. Treffender wäre es wohl zu sagen, daß dann nicht mehr allein im Globalen Süden Hunger weit verbreitet sein wird, sondern dieser auch im Globalen Norden Einzug hält und in Zukunft möglicherweise Kriege zur Nahrungssicherung geführt werden.

Für Menschen, die von Einnahmen nahe des Existenzminiums leben müssen, erweist sich jede Lebensmittelverteuerung und jeder -mangel sehr schnell als lebensbedrohlich. Allerdings würde vermutlich auch der Mittelstand, der sich in vielen Ländern des Globalen Südens erst langsam entwickelt, den Mangel spüren. Bei der globalen Hungerkatastrophe 2007, 2008 kam es jedenfalls in mehreren Dutzend Staaten zu Unruhen oder Aufständen. Regierungen wurden gestürzt oder gerieten in starke Bedrängnis Es hatten sich damals nicht nur die Menschen erhoben, die wie in Ägypten gegen eine Verteuerung der Brotpreise demonstrierten, sondern auch die Mittelständler, die sich plötzlich statt drei Mahlzeiten pro Tag nur noch zwei oder eine Mahlzeit leisten konnten.

Nicht von der hungernden Landbevölkerung, sondern vom urbanen Prekariat gemeinsam mit dem Mittelstand geht für Regierungen die größte Gefahr aus, sollten wieder einmal Mißernten, steigende Benzinpreise, Spekulationsgeschäfte des Finanzkapitals und eine restriktive Handelspolitik eine Mangelsituation wie im vergangenen Jahrzehnt erzeugen, als die Lebensmittelpreise weltweit emporgeschnellt waren und nach Angaben der FAO, der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, mehr als eine Milliarde Menschen gehungert haben.

Die Sorge der Regierungen bestand nicht prioritär darin, die hungernden Menschen mit Nahrungsmitteln zu versorgen, sondern darin, die gesellschaftliche Ordnung und damit ihre privilegierte Position aufrechtzuerhalten. Mal wurde zu repressiven Mitteln gegriffen, um die Aufständischen in Schach zu halten, mal wurden - zum gleichen Zweck - staatliche Versorgungsprogramme aufgelegt.

Der Klimawandel wird die vorhandenen sozialen Spannungen verstärken. Hitzewellen, die möglicherweise zeitgleich ablaufen, sind nur einer von mehreren Streßfaktoren, die das gesellschaftliche Gefüge nicht etwa zu zerrütten drohen, sondern offenbaren, daß der sogenannte gesellschaftliche Zusammenhalt schon immer eine Fiktion war.


Fußnote:

[1] nature.com/articles/s41558-019-0637-z.epdf

12. Dezember 2019


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