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KLIMA/749: CO2 - fortgesetzte Ignoranz ... (SB)



Nun ist es "amtlich": Laut der Weltmeteorologieorganisation der Vereinten Nationen (WMO) wurden 2019 weltweit neue Klimarekorde aufgestellt, vom Meeresspiegelanstieg über die Ozeantemperatur bis zum CO₂-Gehalt der Atmosphäre. Was die Menschen rund um den Globus deutlich spüren und sich in häufig zu vernehmenden Formulierungen wiederfindet wie, so ein Wetter habe man zeit seines Lebens nicht erlebt, wird durch die physikalischen Meßparameter bestätigt.

Im 44seitigen "WMO Statement on the State of the Global Climate in 2019" [1] werden die Entwicklungen in den verschiedenen Natursystemen innerhalb eines Jahres zusammengefaßt. Damit bilden diese Stellungnahmen eine aktuelle Ergänzung zu den nur alle fünf bis sieben Jahre erscheinenden Berichten des Weltklimarats IPCC.

Die Kernaussagen des WMO-Zustandsberichts des globalen Klimas beziehen sich auf die "klassischen" Parameter, anhand derer versucht wird, jenseits des teils generationenübergreifenden Erfahrungshorizonts lokaler Bevölkerungsgruppen die klimatischen Veränderungen meßbar und vergleichbar zu machen. Beispielsweise die atmosphärische Konzentration der drei wichtigsten menschengemachten Treibhausgase Kohlenstoffdioxid (CO₂), Methan (CH⁴) und Distickstoffmonoxid (N₂O), auch Lachgas genannt.

Der Gehalt von CO₂ beträgt 407,8 ppm (parts per million - Teile pro Million), der von Methan 1869 ppb (parts per billion - Teile pro Milliarde) und von Lachgas 331,1 ppb. Ausgehend von der vorindustriellen Zeit, in der die CO₂-Konzentration bei 280 ppm lag, wurde somit ein großes Stück in Richtung des international anerkannten "Grenzwerts" von 450 ppm zurückgelegt. Dieser Wert entspricht einer globalen Erwärmung von zwei Grad C gegenüber der vorindustriellen Zeit. Von diesem Temperaturanstieg wird gesagt, daß er auf keinen Fall überschritten werden sollte, andernfalls fielen die zu erwartenden Schäden an Mensch und Umwelt inakzeptabel groß aus. In dem 2015 vereinbarten Übereinkommen von Paris wird sogar festgelegt, die globale Erwärmung bis Ende des Jahrhunderts bei deutlich unter zwei Grad C, möglichst bei 1,5 Grad C zu halten.

Mit dem Treibhausgas Methan hat es eine besondere Bewandtnis. Im Unterschied zu Kohlenstoffdioxid wird es relativ rasch abgebaut, man weist ihm eine Halbwertszeit von 12 bis 15 Jahren zu. Daß der Methangehalt der Atmosphäre heute 259 Prozent über dem des vorindustriellen Niveaus liegt, wie die WMO angibt, bedeutet, daß es laufend neu entsteht. Es bildet sich auch auf natürliche Weise, jedoch haben vergleichende Untersuchungen gezeigt, daß die Zunahme des Methangehalts auf menschliche Aktivitäten zurückgeht. Methan hat in den ersten 12 bis 15 Jahren nach seiner Entstehung ein 87mal so großes Treibhausgaspotential wie CO₂.

CO₂, Methan und Lachgas hindern die langwellige Rückstrahlung der von der Sonne eingebrachten Wärmeenergie daran, in den Weltraum zu entweichen. 90 Prozent der so eingefangenen Wärme wird von den Ozeanen absorbiert. Insofern sind die 2019 gemessenen ozeanischen Temperaturhöchstwerte ein geeigneter Indikator für den allgemeinen Wärmehaushalt der Erde.

Die globale Durchschnittstemperatur, die aus den Daten der landgestützten Wetterstationen errechnet wird, lag 2019 bei 1,1 Grad über dem vorindustriellen Niveau. Das war angesichts des CO₂-Anstiegs auch so zu erwarten. 2019 war das zweitwärmste Jahr seit Beginn der regelmäßigen Wetteraufzeichnungen, nur übertroffen von 2016. Damals herrschte die Klimaumkehr El-Niño vor, was stets mit einer stärkeren Erwärmung einhergeht. Wäre 2019 ein El-Niño aufgetreten, hätte es einen Rekord gegeben, schreibt WMO-Generalsekretär Petteri Taalas im Vorwort der Stellungnahme seiner Organisation.

Bemerkenswerterweise waren die letzten fünf Jahre die wärmste Periode seit Beginn der Aufzeichnungen, und der Zeitraum 2010 - 2019 das wärmste Jahrzehnt. Seit den 1980er Jahren war jede Dekade wärmer als die vorangehende.

Solche eindeutigen Trends in den physikalischen Meßreihen werden von für die menschlichen Sinne anschaulicheren Phänomenen begleitet. Im vergangenen Jahr besaß das Meereis sowohl in der Arktis als auch der Antarktis eine sehr geringe Ausdehnung. Nur die Meereisfläche im August/September 2012, als ein Sturm das dünne, auf dem Meer schwimmende Eis zerschlagen und es somit der rascheren Auflösung zugetrieben hatte, war die Meereisfläche geringer als 2019.

Die globale Erwärmung läßt sich auch am Anstieg des Meeresspiegels ablesen. Zwar hebt sich der seit der letzten Eiszeit an, weil riesige Eismassen abgeschmolzen sind und sich das Wasser erwärmt und damit physikalisch ausgedehnt hat. Doch seitdem der Mensch zur treibenden Kraft der globalen Erwärmung wurde, nimmt die Geschwindigkeit, mit der sich das Niveau des Meeresspiegels hebt, zu. Auch hier stellt 2019 mit einem Anstieg um 3,2 mm einen Rekord seit Beginn der Präzisionsmessungen im Jahr 1993 auf. Wobei hinzugefügt werden muß, daß der Anstieg nicht linear verläuft, sondern Jahr für Jahr zunimmt.

Für die Menschen, die auf flachen Inselstaaten oder an niedrigen Küsten leben, macht es schon etwas aus, ob der Meeresspiegel im Laufe von zehn, zwanzig Jahren um mehrere Zentimeter ansteigt oder nicht. Denn bei seicht abfallenden Strandabschnitten geht ungefähr das Zehnfache an Fläche verloren, also bei einem Anstieg des Meeresspiegels um zehn Zentimeter würde das Meer einen Meter weiter ins Landesinnere vorrücken. Wenn der seitliche Druck aufgrund des Salzwassers steigt, schrumpfen dadurch gegebenenfalls die Süßwasserlinsen unter den Inseln oder es versalzen die Süßwasservorkommen. Das Mündungsgebiet des Nils im Mittelmeer ist hierfür ein Beispiel.

Zwischen 2009 und 2018 haben die Ozeane rund 23 Prozent der jährlichen CO₂-Emissionen absorbiert. Das hat einen noch größeren Temperaturanstieg, als er sowieso schon stattfindet, verhindert. Der Preis hierfür besteht in der Zunahme der Versauerung des Meerwassers, was alle Kalkbildner, von Mikroorganismen bis zu Korallen, gefährdet. Kalk löst sich in einem sauren Ambiente auf. Deswegen rückt man Kalk in der Kaffeemaschine oder auf den Badarmaturen mit Essig oder Essigessenz zu Leibe. Seit Ende der 1980er Jahre sinkt der pH-Wert des Meerwassers um 0,017 bis 0,027 Einheiten pro Dekade. Eine scheinbar langsame Entwicklung, jedoch so schnell wie in den letzten 300 Mio. Jahren nicht.

Dieser in vielfacher Hinsicht erdgeschichtlich besonders schnell ablaufenden Klimaentwicklung, wie sie im vergangenen Jahr gleich in einer Reihe von Klimarekorden manifest wurde, wird seitens der Politik nicht angemessen begegnet. Sie nimmt es in Kauf, daß diejenigen Menschen, die am verletzlichsten sind, als erstes und am härtesten von den Klimawandelfolgen getroffen werden. Wer von ihnen aus solchen Verhältnissen zu fliehen versucht, wird daran gehindert, klimatisch vorteilhaftere Weltregionen aufzusuchen, sei es vor der Küste Australiens, an den Außengrenzen der EU oder an der mexikanisch-US-amerikanischen Grenze. Das Klima ist gewiß nicht der einzige Fluchtgrund, aber es spielt zumindest indirekt eine Rolle.


Fußnote:

[1] https://library.wmo.int/doc_num.php?explnum_id=10211

12. März 2020


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