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KLIMA/755: Klimanotstand - Zwang der wirtschaftlichen Verhältnisse ... (SB)



Die menschengemachten Treibhausgase sind durch die Bekämpfung der Coronaviruspandemie deutlich zurückgegangen. Auch wenn die Wirtschaft und das öffentliche Leben bereits langsam wieder anlaufen, werden sich die CO2-Emissionen aufs Jahr gerechnet voraussichtlich um 4,2 bis 7,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr verringern. Um die globale Erwärmung auszubremsen, müßten die CO2-Emissionen über Jahrzehnte hinweg jedes Jahr ungefähr so stark sinken wie in diesem Jahr, geht aus einer in "Nature Climate Change" veröffentlichten internationalen Studie unter Federführung von Corinne Le Quéré von der University of East Anglia in Norwich hervor. [1]

Das ist eine schlechte Nachricht, lassen doch die massiven wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen der zurückliegenden nur rund zwei Monate ahnen, daß solche Einschränkungen unter den vorherrschenden Produktionsbedingungen und gesellschaftlichen Verhältnissen auf längere Sicht unerbittliche Verteilungskämpfe auslösen würden. Die setzen zwar nicht erst irgendwann in der Zukunft ein, sondern reichen schon weit in die Menschheitsgeschichte zurück, dennoch hat sich die soziale Lage in den letzten acht bis zehn Wochen sowohl innerhalb vieler Länder als auch in größeren Regionen signifikant verschärft.

Die Hauptarbeit der Forscherinnen und Forscher der "Nature"-Studie mit dem Titel "Temporary reduction in daily global CO2 emissions during the COVID-19 forced confinement" (z. Dt.: Vorübergehende Reduzierung der täglichen globalen CO2-Emissionen während der Zwangseindämmung von COVID-19) bestand darin, Parameter der nationalen CO2-Emissionen auszuwählen und trotz ihrer unterschiedlichen Voraussetzungen miteinander vergleichbar zu machen. Die administrativen Maßnahmen wurden in drei Kategorien eines sogenannten Eindämmungsindex CI (Confinement Index) eingeteilt, um diesem zugeordnet die täglichen CO2-Emissionen zu bestimmen.

Demnach gingen diese aufgrund der von den Behörden angeordneten Eindämmungsmaßnahmen wie Reise- und Ausgehverboten und Kontaktbeschränkungen um bis zu 25 Prozent zurück, im Durchschnitt immerhin noch um 17 Prozent. Obgleich das ein einmaliger Rückschritt innerhalb eines Jahres werden wird, der sogar das Ausmaß der Emissionsreduktionen während der Weltfinanzkrise 2008/2009 um ein Mehrfaches übertrifft, wird der pandemiebegründete Rückgang der Treibhausgasemissionen die Menschheit lediglich auf den Stand des Jahres 2006 zurückbringen. Und ein Reboundeffekt, bei dem im nächsten Jahr und darüber hinaus besonders viele Treibhausgase emittiert werden, wird in der Studie ausdrücklich nicht ausgeschlossen.

Wovon ging die Wissenschaft im Jahr 2006 aus? Schon damals hatte sie vor einem weiteren Anstieg der CO2-Konzentration in der Atmosphäre gewarnt, weil sich die Folgen der globalen Erwärmung deutlich genug abzeichneten. So wurde im Vierten Sachstandsberichts des Weltklimarats IPCC aus dem Jahr 2007 festgestellt, daß elf der zurückliegenden zwölf Jahre (1995 bis 2006) die wärmsten seit Beginn der regelmäßigen, flächendeckenden Temperaturmessungen ab Mitte des 19. Jahrhunderts waren. [2]

Zu den Folgen der globalen Erwärmung, wie sie teilweise schon sehr deutlich im Vierten Sachstandsbericht beschrieben wurden, zählten Anstieg des Meeresspiegels und Untergang ganzer Inselstaaten sowie flacher Küstengebiete, Verlust der Gletscher und damit einhergehend Trinkwassermangel, energiereichere Wirbelstürme, Versauerung der Meere mit Verlust der Korallen und anderer kalkbildender Meeresorganismen, Verstärkung von Unwettern und damit einhergehender Ernteverluste und Hunger sowie Zerstörungen existentieller Infrastrukturen, Artensterben und Verringerung der Biodiversität, Entstehung gänzlich neuer, unbewohnbarer Klimazonen, etc.

Daß eine jährliche Reduktion der Treibhausgasemissionen von rund fünf bis sieben Prozent, die laut der Studie erforderlich wären, damit die Menschheit noch die Kurve des Temperaturanstiegs zum Abflachen bringt, durchgesetzt werden kann, erscheint extrem unwahrscheinlich. Hat man es doch auch in den letzten vierzehn Jahren versäumt, das Ruder herumzureißen, obschon die Fakten auf dem Tisch lagen.

Ganz sicher würden sich große Teile der Gesellschaft gegenüber administrativen Vorgaben zur drastischen Einschränkung ihres Konsums zur Wehr setzen. Die in der Studie angedeutete Alternative, eine Transformation der Gesellschaft auf CO2-freie Technologien, damit der Energieverbrauch von den Treibhausgasemissionen entkoppelt wird, birgt zwar rechnerisch das Potential dazu, wird aber selbst von einem Land wie Deutschland - das sich gern als Vorreiter in Sachen Klimaschutz geriert, obgleich es Weltmeister bei der Verstromung von Braunkohle ist, dem emissionsreichsten unter den fossilen Energieträgern - nicht in der gebotenen Konsequenz umgesetzt.

Selbst wenn der Umbau der Gesellschaft auf emissionsarme, bzw. -freie Technologien weltweit gelänge, wäre der oben angedeutete Grundkonflikt der Menschen untereinander nicht gelöst, ja, nicht einmal in Angriff genommen. Die Lebens- und Überlebensvoraussetzungen der Menschen sind höchst unterschiedlich. Ideologisch begründet durch herrschaftsförmige Begriffe wie Recht und Eigentum und in der Konsequenz durch Polizei und Militär gegenüber anderen Lebensentwürfen gewaltsam gesichert, würden auch in einer utopischen Welt des perfekten Green Deal gesellschaftliche Verteilungskämpfe ausgetragen.

Beispielsweise würde eine Standortkonkurrenz aufgebaut, Lohnarbeit verteilt und von der erbrachten Arbeitsleistung der Mehrwert abgegriffen. Auch eine des Profitstrebens entledigte Wirtschaft würde davon nicht befreien, sondern statt dessen das bewährte Herrschaftsmittel der profitorientierten Wirtschaftsweise zugunsten eines mit Blick auf die Qualifizierung der administrativen Verfügungsgewalt noch effizienteren, da direkteren Ver- und Zuteilungssystems hinter sich lassen. Die obige Studie ist nicht die erste, die die Datenbasis für einen Ausblick liefert, bei dem die bereits in den heutigen wirtschaftlichen Verhältnissen angelegten Trends und manifestierten Herrschaftsinteressen lediglich fortgeschrieben werden.


Fußnoten:

[1] https://www.nature.com/articles/s41558-020-0797-x

[2] https://archive.ipcc.ch/pdf/assessment-report/ar4/syr/ar4_syr_full_report.pdf

20. Mai 2020


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